Leinwand oder Tafel? Kreide oder digitaler Stift? In der aktuellen «life»-Ausgabe diskutieren Meike Akveld und Andreas Steiger vom Mathematikdepartement über Vor- und Nachteile der klassischen Wandtafel im Unterricht. Und was ist Ihre Meinung? Diskutieren Sie mit.
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Pro
Dr. Meike Akveld, Senior Scientist mit Schwerpunkt Lehre am D-MATH
Meine Liebe zur Wandtafel begann in Warwick und Cambridge, wo ich studiert habe. Dort hängen sie überall – sogar auf den Toiletten. Und auch bei mir zu Hause gibt es eine schöne grosse Schiefertafel.
Aber es geht gar nicht um meine Vorlieben. Sondern um die Mathematik selbst. Man lernt sie Schritt für Schritt. Man muss sehen können, wie eine Theorie zustande kam. Man muss den Weg zur Lösungsmethode selber erfahren. Nichts wird dem so gerecht wie die Fläche einer Wandtafel, bei der ich am Ende einer Herleitung den Anfang immer noch im Blick habe. Ich kann am Schluss noch einmal auf etwas verweisen, was ich vor 30 Minuten erklärt habe – weil es immer noch da ist, Weiss auf Schwarz.
Man könnte ins Feld führen, Wandtafeln seien von gestern, weil sie sich schlecht ins Internet streamen und aufzeichnen lassen. Oder weil alle Studierenden meinem Tempo folgen müssen. Nur: Mit einem Tablet ist das nicht gelöst. Meine Erfahrung zeigt, dass man als Dozierende auf einem solchen Gerät viel schneller schreibt. Die brüchige Kreide an der Wandtafel hingegen zwingt mich zur Langsamkeit. Zudem bleibe ich beim Unterrichten körperlich aktiv; ich stelle mir das als Student:in spannender vor, als einem digitalen Strich auf einem Bildschirm zu folgen.
«Man muss sehen können, wie eine Theorie zustande kam.»Meike Akveld
Natürlich: Digitale Notizen lassen sich zur Repetition als Video oder als PDF abspeichern. Aber dann fehlt etwas, denn beim Mitschreiben oder – genauer – dem Mitentwickeln mit dem eigenen Stift geschieht bei den Studierenden der erste Schritt zum Verstehen.
Also Wandtafel für immer und nichts als Wandtafel? Mitnichten. Gerade arbeiten wir im D-MATH an digitalen Übungssequenzen, mit denen Studierende Aufgaben und Lösungswege so oft durchspielen können, wie sie wollen, mit Feedback auf Knopfdruck. Das kann gewisse Sequenzen an der Wandtafel ablösen, auch in meinen Vorlesungen. Aber ich persönlich fühle mich an der Wandtafel auch einfach so wohl wie ein Fisch im Wasser – und das ist ebenso wichtig für guten Unterricht.
Kontra
Dr. Andreas Steiger, Dozent am D-MATH
Am Ende der Vorlesung war der Kreidestaub jeweils überall: nicht nur auf der Wandtafel, sondern auch am Boden, an den Händen, den Hosen, den Vorlesungsnotizen und im Gesicht. Nein, ich vermisse das Schreiben an der Wandtafel wirklich nicht. Man sieht aus, als käme man direkt aus der mehligen Backstube; die Haut auf den Händen ist spröde, die sorgfältig erstellten Notizblätter nass und unleserlich, weil man nach dem Tafelwischen die Hände mal wieder nicht ordentlich abgetrocknet hat.
Tatsächlich waren dies aber nicht die Gründe, weshalb ich vor fünf Jahren auf einen digitalen Notizblock umgestiegen bin. Die grossen Vorlesungssäle an der ETH sind mit einem riesigen Grafiktablett samt integriertem Display ausgestattet. Am Laptop angeschlossen, fungiert es als externer Touch-Bildschirm, auf dem sich hervorragend digital-handschriftlich schreiben lässt. Dies eröffnet mir viele Möglichkeiten, die ich nicht missen mag. Das fängt an bei kleinen Dingen wie dem einfacheren Korrigieren von Fehlern, was an der Wandtafel in der Regel in einem «Gschmier» endet. Weiter sind Farben digital nicht nur schneller verwendet, man erkennt sie auf die Leinwand projiziert auch besser als auf der Tafel.
Der für mich wichtigste und grösste Vorteil der digitalen Hilfsmittel ist aber, dass ich multimediale Inhalte nahtlos einbinden kann. In meiner Vorlesung über mehrdimensionale Analysis verwende ich in fast jeder Doppelstunde mindestens eine interaktive Visualisierung. So kann ich beispielsweise demonstrieren, wie ein kugelförmiges Koordinatengitter die Geometrie einer gebogenen Fläche aufnimmt oder wie ein kompliziertes Strömungsfeld in 3D aussieht. Und das ganz ohne Wegschieben der Wandtafeln, Beamer einschalten, Animation abspielen, Beamer aus, Tafeln wieder arrangieren.
«Die Tafel macht die Mathematik flach und statisch.»Andreas Steiger
Die Notizsoftware unterstützt mich auch beim Illustrieren der Aufgaben. Einerseits macht sie in gezeichneten Skizzen automatisch die gewünschten Kreise aus meinen unförmigen Eiern, andererseits kann ich auch vorbereitete Grafiken einfügen und diese direkt erklärend ergänzen. Ein weiterer Vorteil: Die Studierenden erhalten meine Notizen im Anschluss an die Vorlesung als PDF und können daher meinen Erklärungen folgen, statt mit Abschreiben beschäftigt zu sein.
Viele Mathematiker lieben die Wandtafel für ihre Fläche, die es ihnen erlaubt, Theorien zu entwickeln. Ich sage: Stimmt schon, aber die Tafel macht die Mathematik auch flach und statisch. Dabei beschreibt diese doch so viel Dynamisches, was räumlich und interaktiv visualisiert viel verständlicher wird.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3/2023 des Mitarbeitendenmagazins «life» erschienen.
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