Wohnung mit Dreh

Die Architektin und ETH-Professorin Elli Mosayebi entwickelt neue Wohnformen. Auf dem ETH-Campus Hönggerberg testet sie während eines Jahres eine Kleinwohnung mit flexiblem Grundriss.

Bewohnbares 1:1-Modell mit variablem Grundriss auf dem Dach des HIL-Gebäudes. (Bild: ETH Zürich / Michael Stirnemann)
Bewohnbares 1:1-Modell mit variablem Grundriss auf dem Dach des HIL-Gebäudes. (Bild: ETH Zürich / Michael Stirnemann)

Ein schwarz verkleideter Holzbau steht derzeit auf dem Dach eines ETH-Gebäudes, darauf steht in pinken neonbuchstaben «vacancy». Das Ganze erinnert an ein Motel aus einem amerikanischen Film. Das Innere des Baus hat mit einem Motel jedoch ästhetisch nichts gemein: Es öffnet sich ein grosszügig wirkender Raum, in der Mitte eine drehbare Wand.

Ein Wohn-Experiment

Der ungewöhnliche Bau ist ein Projekt der ETH-Architekturprofessorin Elli Mosayebi. Sie experimentiert mit diesem Modell in realer Grösse mit neuen Wohnformen. Ihr Ziel sind Kleinwohnungen, die sich dank beweglicher Elemente ihren Bewohnern anpassen und dadurch einem breiteren Spektrum an Lebensformen gerecht werden. Die Idee folgt einem aktuellen Bedürfnis: Ein Drittel der Wohnungen im Kanton Zürich werden von alleinstehenden Menschen mit den unterschiedlichsten Lebenssituationen bewohnt, darunter Studierende, Geschiedene, Reisende oder Verwitwete.

Genau diese Personengruppen - und zusätzlich Paare - suchen Mosayebi und ihr Team nun für ihr Experiment. Testbewohner können für je eine Woche in die Modellwohnung auf dem Hönggerberg einziehen (siehe Box). Im Gegenzug halten sie ihre Erfahrungen in Tagebüchern fest. Drehwinkelsensoren ermitteln zudem, wann und wie oft die Bewohnerinnen die drehbaren Elemente bewegt haben. Die Resultate bieten Aufschluss darüber, ob und in welchen Situationen die Nutzerinnen und Nutzer Veränderungen wollen - aber auch darüber, wie Grundrisse neu gestaltet werden können, damit sie neuen Lebensformen ermöglichen.

Auf der Suche nach neuen Grundrissen

Mosayebi reagiert mit dem Forschungsprojekt auf einen Widerspruch. Das dominante Wohnmodell sei heute noch immer die Familienwohnung, die sich in ihren Belegungsplänen - Küche, Wohnzimmer, Elternschlafzimmer, Kinderzimmer - an der bürgerlichen Kleinfamilie orientiere. «Davon haben sich unsere Wohnformen aber längst entfernt, weil die Lebensläufe und -formen individueller und die Einzelhaushalte häufiger geworden sind», sagt die ETH-Professorin.

Nach flexibler Architektur werde in vielen Wettbewerben gefragt, sagt Mosayebi weiter. Gebaut würden aber nur Wohnungen, die einfach umzubauen sind. Wohnungen mit beweglichen Elementen fehlten bislang. Das liege an baulichen Herausforderungen - drehbare Wände sind aufwändiger in Bau und Unterhalt - und in der fehlenden Bereitschaft von Investoren für Experimente.

Zur Lösung der baulichen Herausforderungen will Mosayebi ebenfalls beitragen. Das Modell dient dazu, die beweglichen Elemente zu entwickeln und zu verbessern. Die Erkenntnisse aus dem Projekt fliessen danach direkt auf die Baustelle: Geht alles gut, will ein Bauherr Mosayebis bewegliche Kleinwohnungen in einem Neubau in der Stadt Zürich realisieren.

Vergrösserte Ansicht: Der Grundriss.
Der Grundriss.

Probewohnen im Living Lab

Während eines Jahres ziehen 40 ausgewählte Probandinnen und Probanden für jeweils eine Woche in den voll ausgestatteten Wohnungs-Prototyp auf dem Dach des HIL-Gebäudes. Gesucht werden Testbewohnerinnen und -bewohner aus allen Altersgruppen zwischen 18 und 90 Jahren: Studierende, Berufstätige oder Rentnerinnen und Rentner, Singles oder Paare.
Informationen und Bewerbung: https://mosayebi.arch.ethz.ch/forschung/

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