Der eigene Körper als Kraftwerk
Die Technologie des ETH Spin-offs «Mithras Technology» könnte aus einem Science-Fiction-Film stammen: Mit der eigenen Körperwärme kann der Nutzer über einen sogenannten thermoelektrischen Generator Wearables und andere elektronische Geräte laden.
Hörgeräte sind eine praktische Sache. Doch für betagte Menschen, welche die winzigen kleinen Batterien alle zwei Wochen austauschen müssen, sind sie häufig sehr umständlich zu bedienen. Es ist feinmotorisch anspruchsvoll, die Batterien zu wechseln, und hin und wieder geht es auch vergessen. Was wäre nun, wenn Hörgeräte komplett wartungsfrei und autonom funktionieren würden? Ist das überhaupt realistisch?
Die Antwort darauf hat das ETH Spin-off «Mithras Technology». Erst im November 2018 gegründet, hat das Tech-Startup Grosses vor. Die beiden Gründer Franco Membrini und Moritz Thielen wollen Geräte mit umweltfreundlicher, dezentraler Energie versorgen – mit einem einfachen Ansatz: Sie nutzen den menschlichen Körper als Energiequelle.
Im Schnitt strahlt der menschliche Körper kontinuierlich etwa 100 Watt an thermischer Energie ab. Der grösste Teil dieser Energie geht ungenutzt an die Umgebung verloren. Genau diese «vergeudete» Energie will sich Mithras nun zunutze machen. Über thermoelektrische Generatoren, sogenannte TEGs, will die Firma Wärme in Strom umwandeln. Die eine Seite des TEGs ist dabei mit dem Körper verbunden, die andere mit der Umgebung. Aus der Temperaturdifferenz erzeugt das Gerät Strom, der in einer Batterie gespeichert werden kann. Bereits mit einem Temperaturunterschied von nur einem Grad können die thermoelektrischen Generatoren emissionsfrei Strom erzeugen.
Mit Körperwärme Energie ernten
Aktuell befinden sich die Gründer von Mithras Technology noch in der Prototyping-Phase. Sie bauen dabei auf der Dissertation von Moritz Thielen auf, der an der ETH Zürich im Bereich Mikro- und Nanosysteme promoviert hat und einer der wenigen Spezialisten auf diesem Gebiet ist.
Das Mithras-Team hat zwei Konzepte entwickelt, wie TEG-Sensoren auf dem Körper getragen werden können: Als eigenständiges Wearable, das wie eine Armbanduhr getragen wird, oder als integrierte Lösung eines mobilen Geräts. Einzige Bedingung für die Stromproduktion ist, dass das Gerät direkt auf dem Körper getragen wird. Eine mögliche Anwendung der Technologie im Consumer-Bereich sind Fitnesstracker, die mit einem integrierten TEG-System völlig autonom funktionieren. «Es ist unerheblich, ob man Kaffee trinkt, Sport treibt oder am Schlafen ist – solange die TEG die Körperwärme ‹anzapfen› können, wird die Batterie von selbst aufgeladen», erklärt Membrini.
Die Bande von Mithras Technology und der ETH
Ganz auf sich allein gestellt konnten Membrini und Thielen die Kommerzialisierung der Technologie jedoch nicht umsetzen. Sie wurden von verschiedenen Coachs und Beratungsgremien unterstützt. Ohne deren Ratschläge wäre die Umsetzung von Mithras’ Vision nicht möglich gewesen. Zudem holten sie auch noch Michele Magno, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Departement Informationstechnologie und Elektrotechnik, als dritten Partner ins Boot. «Als wir dann von ETH Transfer das Label ‹ETH Spin-off› erhielten, war das ein technologischer Ritterschlag», blickt Membrini zurück. Durch die Zertifizierung der ETH nahmen Investoren das Projekt ernst; die Gründer erhielten Zugang zu wichtiger Infrastruktur und konnten auf ein grosses Netzwerk zugreifen. «So ein Projekt wie unseres wäre ohne die Unterstützung der ETH nur schwer möglich», sagt Membrini.
Das Mithras-Team musste im Laufe der Entwicklungsphase viele technische Hürden überwinden. Denn die Geräte müssen nicht nur möglichst kompakt sein und einfach in der Anwendung, sondern auch wasserfest, damit sie auch dann funktionieren, wenn der Mensch Schweiss absondert. Nur wenn das alles erfüllt ist, können die TEGs problemlos in kleineren Geräten wie beispielsweise einem Biosensor verbaut werden.
Von der Geschichte zur Technik
Auch wenn die Technologie nach Zukunftsmusik klingt, ganz neu ist die Idee nicht. Thermoelektrische Effekte wurden erstmals 1822 von Thomas Johann Seebeck beschrieben. Er fand heraus, dass sich die Kompassnadel bewegt, sobald sie in die Nähe von zwei Metallverbindungen kommt, die unterschiedliche Temperaturen aufweisen. Die Umwandlung von Wärme in Elektrizität wurde später als «Seebeck-Effekt» bezeichnet und beschreibt einen Teil der physikalischen Prozesse, die wir heute als Thermoelektrik kennen.
Die Frage lautet nun: Wie kommt Historiker Franco Membrini dazu, ein Tech-Startup zu gründen und neue Formen der Energieproduktion zu entwickeln? «Es ist ein längerer Entstehungsprozess. Man steht nicht eines Tages auf und denkt: Jetzt gründe ich ein Startup», meint Membrini. Schon als Kind wollte der gebürtige Bündner eines Tages sein eigenes Unternehmen gründen. Seine Neugier kam ihm zupass, als er eines Tages bei der Suche nach einer Geschäftsidee auf das Thema «Human Body Energy Harvesting», die menschliche Energieproduktion, stiess. «Ich sah von Anfang an viel Potenzial in dieser Form der dezentralen Energieproduktion», erklärt Membrini.
Der Schlüssel zum Erfolg
Ohne die Unterstützung seines Partners Moritz Thielen wäre die ganze Umsetzung des Projektes jedoch schon in den Kinderschuhen gescheitert. Als die Idee in seinem Kopf konkrete Formen annahm, brauchte Membrini einen Co-Gründer, der sich mit der Domäne der Energiegewinnung aus Körperwärme auskannte. «Moritz’ Bereitschaft mitzumachen war ein erster Meilenstein», meint Franco Membrini zu seinem Partner.
Seither haben die beiden wechselvolle Zeiten hinter sich. «In enthusiastischen Momenten denkt man: In den nächsten zwei Jahren habe ich die Welt erobert. Zwei Tage später fragt man sich: Oh Gott, was habe ich mir da nur angetan?», blickt Membrini zurück.
Ein Blick in die Kristallkugel
Nach dem erfolgreichen Abschluss der sogenannten «Seed»-Investorenrunde will das Mithras-Team nun richtig loslegen. Ziel ist es, das erste Produkt im vierten Quartal 2021 auf den Markt zu bringen. Mit dem Fokus auf den Medtech-Bereich soll die Mithras-Technologie künftig in Hörgeräten, Insulinpumpen und anderen medizinischen Gerätschaften verbaut werden. «Unsere Technologie bietet dutzende Applikationsmöglichkeiten», sagt Membrini. Ein erster Fokus liegt dabei auf Biosensoren zur Überwachung von Körperfunktionen. Funktionieren wird das über sogenannte Smartpatches, die auf dem Körper angebracht werden. «Es wären die ersten Geräte dieser Art, die nur mit Körperwärme funktionieren.»