Bei Umweltfragen ist der Stadt-Land-Graben geringer als oft vermutet

Thomas Bernauer

In Umweltdebatten wird gerne eine Kluft zwischen städtischer und ländlicher Gesinnung kolportiert, die es so nicht gibt, sagt Thomas Bernauer. Faktisch weise nur wenig auf einen grundsätzlichen Stadt-Land-Graben in der Schweizer Umweltpolitik hin.

Hier die konservativen Landmenschen. Sie geben vor allem im Auto Gas und treten beim Schutz von Klima und Biodiversität auf die Bremse. Dort die links-grünen Stadtmenschen, die viel fliegen aber Klimaschutz predigen. Zur Deutung umweltpolitischer Debatten und Abstimmungen werden oft solche Stadt-Land-Klischees bemüht. Sie befördern das Bild eines gesellschaftlichen Grabens zwischen ländlichen Verhinderern (die lieber eigene Interessen als die Umwelt schützen) und scheinheiligen Städtern (die viel Öko fordern aber wenig dafür tun).

Hochkonjunktur hatte die umweltpolitische Grabendiagnose jüngst etwa beim CO2-Gesetz sowie der Trinkwasser- und der Pestizidinitiative. Und auch bei der bevorstehenden Initiative gegen die Massentierhaltung3 erkennen Meinungsforschung und Medien bereits eine Kluft zwischen ablehnender Landbevölkerung und zustimmenden Städtern.

Abstimmungsplakat zur Trinkwasser– und Pestizid-Initiative vom Juni 2021
Bei Umwelthemen mit Fokus Landwirtschaft stimmen Stadt und Land jüngst eher unterschiedlich ab. Im Bild: Ein Abstimmungsplakat zur Trinkwasser– und Pestizid-Initiative vom Juni 2021. (Bild: Keystone / Urs Flueeler)

Was ist dran an diesem (vermeintlichen) Stadt-Land-Graben bei Umweltfragen? So viel vorab: Ich halte solche Rhetorik für irreführend, weil es nur wenig empirische Evidenz für diesen Gegensatz gibt. Doch der Reihe nach.

Das Heu mehrheitlich auf derselben Bühne

Ob es einen umweltpolitischen Graben zwischen Stadt- und Landbevölkerung gibt, hat meine Forschungsgruppe im Rahmen des Schweizer Umweltpanels (siehe Kasten) anhand von Umfragen und Abstimmungsresultaten untersucht.

Schweizer Umweltpanel

Seit 2018 befragen Forschende der ETH Zürich zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt zwei Mal pro Jahr mehrere Tausend zufällig ausgewählte Personen in der Schweiz zu ihren Einstellungen zu verschiedenen umweltpolitischen Themen und zu ihrem Verhalten. Weitere Informationen und ein Kurzbericht zu Stadt-Land-Unterschieden finden sich beim Schweizer Umweltpanel.

Unsere Umfragedaten zeigen: Bei den umweltbezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen finden sich kaum relevante Unterschiede zwischen den Siedlungsräumen.2 Zwar sind die Umwelteinstellungen im sehr ländlichen Raum ein wenig schwächer ausgeprägt als in grösseren Städten. Auch besitzen und nutzen Befragte auf dem Land tendenziell häufiger ein Auto und essen etwas mehr Fleisch, während in der Stadt etwas mehr geflogen wird. Insgesamt sind sich umweltbezogene Einstellungen und Verhaltensweisen aber sehr ähnlich – ein genereller Stadt-Land-Graben ist praktisch nicht nachweisbar.

Punktuelle Differenzen an der Urne

Bei nationalen Abstimmungen zu Umweltthemen beobachten wir hingegen seit 2010 ein leicht unterschiedliches Stimmverhalten – allerdings nur zwischen stark ländlichen Regionen und stark urbanisierten Gebieten. Bei einer mittleren Abweichung von maximal acht Prozentpunkten im Fünfjahresmittel bis 2020 (12 Prozentpunkte von 2020 bis 2021) zwischen diesen beiden Siedlungsraumtypen an den Extremenden der Verteilung lässt sich jedoch schwerlich von einer fundamentalen Kluft zwischen Stadt und Land sprechen.

«Wo wir wohnen, hat generell wenig damit zu tun, wie umweltbewusst wir sind und uns verhalten.»
Thomas Bernauer

Betrachten wir die letzten 20 Jahre und beziehen alle neun Raumtypen mit ein, fällt der Stadt-Land-Unterschied also nur gering aus – erstaunlicherweise sogar leicht geringer als bei allen nationalen Abstimmungen zusammen.

Allerdings gab es in jüngerer Zeit einzelne Vorlagen mit Bezug zur Landwirtschaft oder fossilen Treibstoffen, bei denen Stadt und Land deutlich anders stimmten:3 Dazu zählt etwa das Jagdgesetz mit einem Unterschied von 18,9 Prozentpunkten, aber auch das CO2-Gesetz (17,8 Prozentpunkte), die Trinkwasserinitiative (15,4 Prozentpunkte) und die Pestizidinitiative (14,5 Prozentpunkte).

Daraus nun aber zu schliessen, in der Schweiz sei eine umweltpolitische Polarisierung zwischen Stadt und Land im Gang, halte ich mit Blick auf die Gesamtheit der Abstimmungen der letzten 20 Jahre sowie Umfragedaten des Schweizer Umweltpanels seit 2018 für spekulativ und weitgehend falsch.

Wie weiter mit der Schweizer Umweltpolitik?

Die Erkenntnisse aus dem Schweizer Umweltpanel stimmen mich eher zuversichtlich. Wo wir wohnen, hat generell gesehen wenig damit zu tun, wie umweltbewusst wir sind und uns verhalten – jedenfalls weniger, als politische Debatten und einige Abstimmungsresultate uns vermuten lassen. Wenn Umweltvorlagen an der Urne scheitern, dann also meistens nicht wegen einem Stadt-Land-Graben.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass wir Stadt-Land-Gegensätze einfach pauschal ausblenden können, wenn wir Lösungen für Umweltprobleme entwickeln – im Gegenteil: Wir sollten gezielt nach den Gründen suchen. So können zum Beispiel die Kosten eines stärkeren Umweltschutzes in ländlichen Regionen punktuell tatsächlich höher ausfallen als in urbanen Gebieten, insbesondere wenn die Massnahmen die Landwirtschaft oder die Mobilität betreffen. Bei den vier fraglichen Vorlagen führten denn auch die Kosten zu den unterschiedlichen Stimmen von Stadt und Land.

Künftig gilt es also, mehrheitsfähige Vorlagen zu gestalten, welche die Kosten und Nutzen zwischen Stadt und Land möglichst gerecht verteilen. Wissenschaftlich gut fundierte Befragungen der Schweizer Bevölkerung könne dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.

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