2040 Essay Contest

Im Frühlingssemester 2021 hat das SFH den "2040 Essay Contest: A day in [y]our life" lanciert. Die ETH Community wurde auf eine Reise ins Jahr 2040 eingeladen und dazu angeregt, einen Tag aus der vorgestellten Zukunft zu beschreiben.

Illustration: Niels Blaesi
Illustration: Niels Blaesi

Aus den eingesendeten Essays hat das Team des SFH vier Essays ausgewählt, welche weiter unten auf dieser Seite publiziert sind. Kriterien für die Auswahl waren die Relevanz in Bezug auf die Fragestellung, Kreativität und der Lesefluss.

Der Publikumspreis wurde durch eine öffentliche Abstimmung bestimmt. Weiter wurde ein Essay vom SFH Team ausgezeichnet. Diese beiden Essays wurden überarbeitet und als Booklet veröffentlicht. 

Der SFH Preis geht an:

Illustration: Niels Blaesi
Illustration: Niels Blaesi

"Die Zukunft von heute geschieht morgen"

Elizabeth Rembelska

Download Essay 4 (PDF, 627 KB)

 

Der Publikumspreis geht an:

Illustration: Niels Blaesi
Illustration: Niels Blaesi

"Überwachung und Selbstoptimierung"

Katja Abrahams-Lehner

Download Essay 2 (PDF, 760 KB)

Essay 1: Ein Blick in eine Zukunft nach Corona

ins Deutsche übersetzt

«Sujin, wie ist das Wetter heute?»
«Guten Morgen! In Zürich ist es heute 14°C und ab 18 Uhr besteht eine 60%ige Wahrscheinlichkeit für Regen. Sie haben 5 Minuten Zeit, um das Haus zu verlassen, wenn Sie pünktlich zum Meeting sein wollen!»

Ich nippe am Rest meines Kaffees und stürme vom Tisch weg. Bevor ich rausgehe, muss ich noch meinen täglichen Test machen. Ich nehme einen Clip an meinen Finger. «Dein Test ist registriert. Du kannst gehen!», bestätigt Sujin.

Ich verlasse das Haus und setze mich auf den Rücksitz meines Autos. Auf dem Weg nach Höngg habe ich 20 Minuten Zeit, meinen Bluttest durchzublättern und meine Termine vorzubereiten, während mich mein selbstfahrendes Auto zur ETH fährt. Meine Uhr liest das Ergebnis des Bluttests vor, während ich mein Tablet starte: Mein Blutzucker ist etwas zu hoch, und meine Virusanfälligkeit liegt bei 5 %, was bedeutet, dass ich heute keine Maske tragen muss. Was für eine Erleichterung, mit einem Klick alles über seinen Körper zu wissen! Ich hatte die ganze Zeit der Unsicherheit während der COVID-Situation fast vergessen! Ich schaue durch das Fenster: Wir verlassen das Wohngebiet und fahren durch die vertikalen Farmen: Hohe Gewächshäuser, einige für aquaponische Vegetation und andere für Rinder, trennen das Wohngebiet vom Stadtzentrum. Vor zehn Jahren erreichten wir den kritischen Wert für Ozon in der Atmosphäre. Seitdem bauen wir diese Gewächshäuser, da die exzessive Erdbauindustrie zu umweltschädlich wurde und in ihrer Flächenbelegung nicht mehr nachhaltig war.

Auf dem Parkplatz angekommen, schliesse ich mein Auto an ein Ladegerät an und mache mich auf den Weg zu unserem Büro. Am Eingang muss ich einen leuchtenden Korridor mit UV-Sterilisationslicht durchqueren, das die öffentlichen Zonen von jeglichen Bakterien säubert, die ich einschleppen könnte. Ich arbeite für den Lehrstuhl für KI-Strukturen, und heute Morgen muss ich beim Testen der Bauroboter helfen, die alle gefährlichen manuellen Aufgaben auf der Baustelle übernehmen könnten.

Heute ist der einzige Tag in der Woche, an dem ich physisch auf dem Campus sein muss, um bei einigen wichtigen Besprechungen zu assistieren, die nicht per Video möglich sein werden. Die meiste Zeit muss ich nicht im Büro sein, was mich in meiner Zeiteinteilung sehr flexibel macht. Wir sind völlig unabhängig von physischen Orten und Zeitplänen geworden und konzentrieren uns auf die Qualität und den Umfang unserer Arbeit.

Mittags nehme ich das «Tele-Tram», das mich in 5 Minuten runter zum Limmatpatz bringt. Das Stadtzentrum ist nur noch mit dem elektrischen ÖV erreichbar. Allerdings gibt es jetzt viele attraktive Coworking-Center in der Stadt, die für die Öffentlichkeit frei zugänglich sind, und um dorthin zu gelangen, muss man sich einen Eintritt buchen, um Überfüllung zu vermeiden. Sie haben die früheren altmodischen Büros umfunktioniert und hierarchiefreie Arbeitszonen mit zahlreichen Cafés, Sportzentren und anderen sozialen Einrichtungen eingerichtet. Coworking-Zonen sind Orte des sozialen und fachlichen Austauschs und bieten die Möglichkeit, neue Leute ausserhalb des täglichen Bekanntenkreises kennenzulernen.

Heute, im Jahr 2040, betonen wir mehr denn je das Bedürfnis nach Räumen, um der häuslichen Routine zu entfliehen und die Szenarien unseres täglichen Lebens zu verändern.

 

Essay 2: Überwachung und Selbstoptimierung

«Guten Morgen, es ist 8h12», flötet eine androgyne Stimme mir sanft ins Ohr. Geweckt werde ich durch ein Neuroimplantat (NI) in meinem Gehirn, das aus meinen Vitalwerten errechnet hat, dass nach genau 7 Stunden und 33 Minuten der richtige Moment gekommen ist, mich zu wecken. Als Aufwachstimulans habe ich heute Vogelgezwitscher und Vanilleduft gewählt.

Noch in meinem Naturlatex-Bett liegend, das mit Hilfe von Smart Dust-Sensoren meine Schlafbewegungen aufzeichnet und Härte und Temperatur optimiert, durchforste ich die News, die mir direkt auf die Retina projiziert werden. Es macht mir Sorge, dass die Schweizer KI-Armee schon wieder im Aufstand ist. Eine Gruppe von Cyber-Soldaten hat Masterbefehle einfach übersteuert und zum Glück vergeblich versucht, Killerdrohnen so umzuprogrammieren, dass sie bestimmte Menschen erkennen und gezielt töten. Dieter Bohlen ist gestorben und hat sein Gehirn in die Cloud hochgeladen. Auch nicht viel besser.

Ich bin zwar schon 65, aber noch lange nicht pensioniert. Statistisch gesehen habe ich ja noch 45 Jahre vor mir. Durch die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens vor zehn Jahren kann ich mich nun endlich dem widmen, was mich wirklich interessiert, kreativ sein, mich um die Familie kümmern. Überwachung und Selbstoptimierung sind uns allen in Fleisch und Blut übergegangen. Doch wie viele Menschen meiner Generation schalte ich immer wieder mal mein Brain-Computer-Interface einfach ab.

Da mein Cortisolspiegel heute hoch ist, bekomme ich als Frühstücksvorschlag lauwarmes Seetangmüesli. Ich seufze, lehne mich aber nicht dagegen auf. Mein Robutler ist noch am Aufladen, daher stehe ich auf und bereite mir mein Zmorge selbst zu. Manuelle Tätigkeiten machen mir zum Glück Freude, wie mir mein NI bestätigt. Auf der Fensterbank habe ich einen Bioreaktor stehen, der mir verschiedenste Algensorten und Fleisch züchtet.

Beim Aufräumen finde ich einen analogen Zeitungsartikel aus dem Jahr 2020. Darin geht es um die damals neue Corona-Pandemie. Ich lächle ein wenig spöttisch. Wie naiv wir doch waren! Die Coronaviren hatten sich Mitte der 20er zwar endgültig in harmlose Erkältungsviren verwandelt. Doch in 2035 haben Rückkehrer aus den Marsferien einen sehr resistenten Super-Fungus eingeschleppt, der in unserem subtropischen Klima prächtig wächst und gedeiht. Zum Glück wird am Department for Pandemic and Suprahuman Technologies der ETH Zürich, an dem ich ehrenamtlich arbeite, ein vielversprechendes Gegenmittel entwickelt. Mein Mann setzt sich derweil seit nunmehr 20 Jahren dafür ein, dass die Prüfungssession im Sommer um zwei Wochen nach vorne geschoben werden kann.

Ein Vibrieren in meiner Stirn erinnert mich an mein Tagesprogramm. Mit dem selbstfahrenden «Rüber» geht es ans andere Ende der Stadt zum Enkelhüten. Meine Tochter möchte sich heute Grundkenntnisse in Norschwegisch ins Sprachzentrum laden. Sie braucht diese für ein Umweltprojekt in Skandinavien, bei dem sie die Umsiedlung aufs Festland von Bewohnern der mittlerweile unter dem Meeresspiegel liegenden Schären-Inseln koordiniert. Wenn sie Glück hat, wird sie die Ministerpräsidentin des vor zwei Jahren neu gebildeten Staats Norschwegen, Greta Thunberg-Musk, persönlich treffen können. Der Mann meiner Tochter muss sich im Moment schonen: Sie haben entschieden, dass er das zweite Kind austrägt, damit sie sich um ihre Karriere kümmern kann.

Essay 3: Der Geruch von Kaffee bleibt gut

Die Sonne geht pünktlich um 7:54 Uhr auf, ich sehe sie aber nicht. Winterlicher Nebel liegt heute, am 2. Dezember 2040, über der Stadt Zürich. Meine 20-jährige Kaffeemaschine tut ihren Dienst immer noch – eine der Konstanten in meinem Tagesablauf. Meine Töchter Hannah und Leah kommen verschlafen aus ihren Zimmern. Ihr Tagesablauf ist immer eine Wundertüte für mich. Beide sind Unternehmerinnen. Hannah entwickelt neue Angebote für Dauergäste, die in der Schweiz Hideaways suchen, Leah bietet über eine Plattform Lerneinheiten für Kinder an. Der Arbeitsort spielt eine Rolle und doch keine. Die Interaktion mit den Kunden, ah nein, Partnern, ist online, physisch oder eine Kombination davon. Wobei Leah und Hannah meinen, ohne physischen Kontakt sei noch nie eine gute Beziehung aufgebaut worden. Ich gebe ihnen recht. Wie stärken wir Beziehungen? Mit gemeinsamen Erlebnissen. Dafür sind möglichst alle Sinne involviert, was selbst unsere Roboter-Buddies nicht umfassend kompensieren können. Die doch so wichtige menschliche Essenz fehlt. Item.

Beim Morgenkaffee führen wir mal wieder die Werte-Diskussion – welche eigentlich keine ist, da es für uns nichts dazu zu diskutieren gibt: Wir arbeiten nur mit Leuten zusammen, mit welchen wir unsere Werte teilen, und die sind seit 20 Jahren dieselben. Was sich in den 20 Jahren geändert hat, ist der Umgang mit dem Raum – wir lieben das rasante Leben in der Stadt, in der engen, fast unbezahlbaren Wohnung. Die ETH hat den Hauptstandort längst verlegt, übrig geblieben ist die graubraune Fassade. In deren Innern pulsiert das Nachtleben, auch am Tag. Ich freundete mich nie damit an... Wie dem auch sei, die Hälfte der Zeit verbringen wir sowieso in unserem Hideaway in den Bergen, auch unbezahlbar – verbunden mit den Liebsten, verbunden mit den Freunden. Mobilität? On demand, dann wenn es am günstigsten ist. Möglichst ungestört und sicherlich nicht selber am Steuer. Meine Daten? Das neue Gold – ich bestimme über einen Grossteil davon und mache gutes Geld damit. Dessen Währung? Irrelevant, da hier geografische Grenzen keine Rolle mehr spielen. Die meisten Staaten haben ihre eigene Währung aufgegeben. Das Gute daran? Wir sind nahe daran, dass globale Umweltbelastungen internalisiert und die Kosten effizient verteilt sind. Ist es zu spät für uns Menschen? Nein, ich bin zuversichtlich und freue mich, falls sich meine Töchter bei Gelegenheit für eine weitere Generation entscheiden.

Essay 4: Die Zukunft von heute geschieht morgen

ins Deutsche übersetzt

Ein weiterer schöner, aber heißer Apriltag. Vor etwa 20 Jahren war der April der Beginn des Frühlings mit milden Temperaturen, und die Natur erwachte langsam nach dem Winter. Im Jahr 2040 ist der Sommer die einzige Jahreszeit... Ich bin 36 Jahre alt und arbeite an der Universität Zürich. Meine Rolle als Veranstaltungskoordinatorin hat nach dem Ende der Covid-19-Pandemie an Bedeutung gewonnen, denn gesellschaftliche Veranstaltungen sind die einzige Gelegenheit, anderen Menschen die Hand zu schütteln. Alle anderen Aspekte des Studiums und der Arbeit auf dem Campus werden aus Gründen der Kosteneffizienz, Flexibilität und CO2-Reduzierung online abgehalten.

Wenn Sie sich nicht mehr an diese alten Zeiten erinnern können, in denen Unterricht und Prüfungen auf dem Campus stattfanden, oder Sie sich das nicht einmal vorstellen können, weil Sie innerhalb der letzten 2 Jahrzehnte geboren wurden, besuchen Sie das Hauptgebäude der ETH Zürich - es hat seine Bibliothek und einige Klassenzimmer in Ausstellungen mit Hologrammen verwandelt, die sich bewegen, sprechen und sich verhalten wie Menschen aus der Zeit vor 2020.

Als Angestellter der UZH und Student der ETH kann ich von zu Hause aus arbeiten und studieren, oder ich kann eine von Hunderten von Kabinen nutzen, die sich in der gesamten Region Zürich befinden: in einem belebten Stadtzentrum, an einem ruhigen Seeufer, mit Blick auf das Opernhaus Zürich oder eine endlose Wiese mit Kühen - unterschiedliche Orte, die eine Vielzahl von Inspirationsquellen bieten.

Heute brauche ich den hektischen Geist des Paradeplatzes, um mich zu inspirieren, also wähle ich dort einen Stand. Die Kabinen sind aus Glas und mit allem ausgestattet, was man braucht, um produktiv zu sein und sich wohl zu fühlen. Noch nie war das Reisen in Zürich so bequem wie heute: Zürich ist endlich eine Nichtraucher- und werbefreie Stadt. Oh, und die öffentlichen Verkehrsmittel sind kostenlos!

Die Welt im Jahr 2040 ist eine Graphen-dominierte Welt. Geräte, Kleidung, fast alles, was wir tagtäglich benutzen, basiert auf Graphen. Selbst mein Walkman, der sich eines zweiten Lebens und einer enormen Beliebtheit erfreut. Übrigens, wer den ersten Walkman, den Sony im 20. Jahrhundert auf den Markt gebracht hat, noch hat, kann ihn jetzt verkaufen und ein Vermögen machen. Ich sollte wohl mal auf dem Dachboden meiner Eltern nachsehen...

Kommen wir wieder zurück in die Stadt. Es gibt sicherlich weniger Fahrzeuge als je zuvor; vor allem Lastwagen, weil Galaxus, COOP (ja, die gibt es noch) und andere das Cargo-Sous-Terrain-System (CST) nutzen und Waren unter der Erde transportiert werden. Auch die Art, wie wir einkaufen, hat sich verändert. Auf meinem heutigen Heimweg werde ich an einer der vielen interaktiven Tafeln vorbeikommen, die buchstäblich überall stehen. Ich wähle die Artikel aus, die ich für das Abendessen am Abend benötige, lege meinen Finger mit einem eingebauten Chip mit persönlichen Daten auf einen Sensor und ... voilà! Ich habe gerade bezahlt und die Adresse bestätigt, an die die Ware geliefert werden soll. Vielleicht stehen sie schon vor meiner Tür, bevor ich ankomme, geliefert von einem Roboter von der CST-Station an meine Wohnadresse. Roboter sind sehr freundlich. Sie sind fleißig und haben daher eine sehr starke Vertretung, die sich für ihre Rechte einsetzt. Einige Leute sagen, dass wir uns keine Sorgen machen sollten, da Rechte für Roboter ein Lied der Zukunft sind. Aber die Zukunft von heute findet schon morgen statt.


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Illustration: Niels Blaesi
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