Insekten und Algen statt Rinder und Hühner
Der steigende Eiweissbedarf der Weltbevölkerung lässt sich mit herkömmlicher Tierzucht allein nicht decken. Alexander Mathys, Professor für Nachhaltige Lebensmittelverarbeitung, sucht deshalb nach Alternativen.
Alexander Mathys ist ein gefragter Mann. Obwohl erst seit ein paar Monaten an der ETH Zürich als Professor für Nachhaltige Lebensmittelverarbeitung tätig, hat er schon einige Auftritte in Schweizer Medien hinter sich. Gerade eben hat sich das Schweizer Radio mit einer Interviewanfrage bei ihm gemeldet. Dass Mathys bei Journalisten gefragt ist, liegt nicht nur an seiner Eloquenz und Begeisterung, mit der er über sein Fach spricht, sondern auch daran, dass er sich mit einem Thema befasst, das in den Medien gerade en vogue ist: Insekten als Lebensmittel. Dabei geht es nicht einfach nur um einen modischen Foodtrend. Insekten sind eine interessante Möglichkeit, den Proteinbedarf der wachsenden Weltbevölkerung auf nachhaltigere Weise zu decken. Denn im Vergleich zur klassischen Tierzucht kann man mit Insekten auf weniger Platz und mit weniger Ressourcen mehr Proteine herstellen, bestehen die kleinen Tiere doch bis zu 80 Prozent aus Proteinen.
Doch während in Asien oder Südamerika der Verzehr von Insekten bereits verbreitet ist, betritt die Lebensmittelindustrie hierzulande damit Neuland. Insekten gelten als «Novel Food» und sind bisher für den menschlichen Verzehr noch nicht zugelassen. Doch das könnte sich schon bald ändern: Bereits nächstes Jahr soll der Verzehr von gewissen Insekten in der Schweiz zugelassen werden. Und auch in anderen Ländern Europas dürften sie schon bald vermehrt auf dem Speiseplan stehen.
Genauer hinschauen
«Es herrscht eine regelrechte Aufbruchstimmung », stellt Mathys fest. Ganz so euphorisch wie gewisse Exponenten ist er aber nicht. Im Vergleich zu Schweinen, Hühnern und vor allem Rindern schneiden Insekten zwar in vielen Punkten deutlich besser ab. Doch Insekten pauschal als nachhaltigste Lösung zu verkaufen, sei unredlich, findet er. Wie werden die Tiere gefüttert? Wie werden sie gehalten? Und wie werden sie nach der Zucht verarbeitet? «Da gibt es viele Aspekte, die man genau anschauen muss», meint der Forscher. «Und man sollte nicht vergessen, dass auch Algen und Hülsenfrüchte einen wichtigen Beitrag leisten könnten, um den steigenden Proteinbedarf zu decken. Und diese pflanzlichen Quellen schneiden punkto Nachhaltigkeit in vielen Szenarien besser ab als die Insekten.»
Bei seiner Argumentation stützt sich Mathys auf eine kürzlich veröffentlichte Publikation, in der er mit seinen Kollegen in einer Lebenszyklusanalyse verschiedene Proteinquellen miteinander verglichen hat. «Diese Studie gibt einen guten Überblick über die wichtigsten Punkte», erklärt er. «Sie ist für mich ein idealer Ausgangspunkt, denn wir wissen nun, welche Prozesse zuerst verbessert werden sollten.» In den nächsten Jahren will der Forscher zusammen mit der Firma Bühler, die seine Professur zusammen mit dem Migros-Industrieunternehmen mit einer Anschubfinanzierung unterstützt, sowie mit weiteren Partnern die Verarbeitung von Insekten optimieren. «Bühler hat bereits eine hohe Kompetenz im Bereich Lebensmitteltechnologie », erklärt Mathys. «Das Ziel ist nun, die bereits bestehenden Prozesse so zu optimieren, dass wir die hochwertigen Inhaltsstoffe der Insekten möglichst schonend herausfiltern und konservieren können.»
Möglichst viel Biomasse
Genauso wichtig wie die Insekten sind für Mathys die Algen. «Da sehe ich noch viel Potenzial», ist er überzeugt. «Zum einen haben gewisse Algen einen sehr hohen Proteingehalt. Zum anderen ist die Züchtung derzeit noch auf einem technisch tiefen Niveau, so dass wir noch viel optimieren können.» Die Hauptaufgabe besteht darin, in einer vorgegebenen Wassermenge möglichst viel Biomasse zu züchten. Die Frage ist: Wie gestaltet man die Züchtungsanlage, damit die Algen möglichst viel Licht und CO2 aufnehmen können? Und wie gelingt es danach, die Algen effizient und schonend aufzuschliessen, um die wertvollen Proteine weiterzuverarbeiten?
«Interessant sind Algen und Insekten zudem, weil man sie auch auf unproduktiven Flächen kultivieren kann. Mit ihnen lassen sich also auch auf Brachland Nahrungsmittel herstellen », erläutert Mathys. Das würde gut ins Konzept des «Urban Farming» passen, das darauf abzielt, auch in Städten Nahrungsmittel herzustellen. «Immer mehr Menschen leben in Megastädten, und die Versorgung dieser Menschen mit qualitativ guten Lebensmitteln ist eine grosse Herausforderung», ordnet Mathys das Problem ein. Doch mit «Urban Farming» allein ist es noch nicht getan. «Wir können ja nicht alles roh essen, sondern müssen die Nahrungsmittel zu haltbaren und sicheren Lebensmitteln verarbeiten. Deshalb müssen wir auch über ‹Urban Food Processing › sprechen, also wie wir Nahrungsmittel direkt vor Ort in kleinen Anlagen verarbeiten können.»
Viele neue Ideen
Ein interessanter Ansatz dazu ist die Mikroverfahrenstechnik. Sie erlaubt es, auch mit kleinen Mengen an Ausgangsstoffen einen kontinuierlichen Produktionsprozess zu gestalten. Das Prinzip wird bereits eingesetzt, um mit kleinen Anlagen hochwertige Chemikalien herzustellen. Auch für die Lebensmittelverarbeitung ist dieses Konzept sehr interessant. «Wir verlieren viele gute Ideen, weil Ansätze, die im Labormassstab bestens funktionieren, im kontinuierlichen Industriebetrieb nicht mehr zum gewünschten Resultat führen», erklärt Mathys. «Mit der Mikroverfahrenstechnik erkennen wir mögliche Probleme bereits im Labor und können die Prozesse dementsprechend optimieren.» Die Firma Nestlé hat ihm eine Apparatur für die Forschung zur Verfügung gestellt, mit der er neue Ideen im Bereich Haltbarmachung und Verarbeitung von sensiblen Inhaltsstoffen testen kann.
Doch Mathys hat darüber hinaus noch ganz andere Pläne: «Insekten sind auch als Futtermittel eine interessante Option», hält er fest. «Unsere Vision ist, auf Fäkalabfällen dezentral Maden zu züchten, die danach Nutztieren verfüttert werden.» Gerade für Entwicklungsländer wäre dies interessant, haben die dortigen Bauern doch häufig keinen Zugang zu proteinreichen Futtermitteln. Einen ersten Erfolg kann Mathys bereits vermelden: Gerade eben erhielt er von der Sawiris-Stiftung im Rahmen des «Engineering for Development (E4D) Scholarship»-Programms eine Projektfinanzierung zugesichert, die ihm nun ermöglicht, mit der südafrikanischen Stellenbosch University, der chinesischen Huazhong Agricultural University und der Eawag in Dübendorf diesen Ansatz weiterzuentwickeln.