Wiederaufbau spaltete Gesellschaft

Im Jahr 2004 verwüstete ein Tsunami weite Teile der indonesischen Stadt Banda Aceh. Ein internationales Forschungsteam untersuchte nun, wie sich der Wiederaufbau an der Küste langfristig auf die Gemeinschaft auswirkte.

Vergrösserte Ansicht: Banda Aceh
Der Tsunami machte an der Küste gelegene Stadtteile Banda Acehs dem Erdboden gleich. Dennoch erfolgte der Wiederaufbau im betroffenen Gebiet. (Bild: US Navy)

Am Stephanstag, dem 26. Dezember 2004, wurde die indonesische Küstenstadt Banda Aceh von einem Tsunami verwüstet. Die gigantische Flutwelle machte fast die Hälfte des Stadtgebiets dem Erdboden gleich, rund 160’000 Menschen kamen in der gesamten Provinz in den Fluten um, Unzählige verloren Angehörige, ihr Haus und ihre gesamte Habe.

In den Jahren danach bauten Hilfsorganisationen die Häuser auf den Parzellen, die vom Tsunami voll getroffen wurden, wieder auf, um eine erzwungene Umsiedlung von Menschen zu vermeiden. Damit folgten die Hilfsorganisationen einem humanitären Grundsatz, der beim Wiederaufbau nach Naturkatastrophen zum Tragen kommt: Die Versehrten sollen möglichst an ihren vorherigen Lebensmittelpunkt zurückkehren können.

Weil zahlreiche Betroffene es vorzogen, sich im Landesinnern niederzulassen, der Wiederaufbau jedoch vor allem an der Küste vorangetrieben wurde, kam es unwillentlich zu einer Segregation der Bevölkerung in reich und arm. Dadurch wurde das Katastrophenrisiko auf die Armen übertragen. Dies zeigt ein internationales Forschungsteam in einer Publikation in der Fachzeitschrift externe SeiteNature Sustainability auf.

Wiederaufbau-Richtlinie «Building back better»

«Der Wiederaufbau in Banda Aceh hatte zum Ziel ‘Build back better’», sagt Jamie McCaughey, Erstautor der Studie und Doktorand bei ETH-Professor Anthony Patt. Dieses Motto habe sich nicht nur auf die neu gebauten Häuser und Infrastruktur bezogen, sondern auch auf das Wohlergehen der Menschen. «Trotz einiger Erfolge konnte der Wiederaufbau diesen Anspruch nicht in jeden Fall einlösen», so McCaughey. Zu diesem Schluss gelangten er und das Team von Forschern des Earth Observatory of Singapore, der Technischen Universität Nanyang Singapur und der Syiah Kuala Universität von Banda Aceh.

Das Forschungsteam untersuchte in den Jahren 2014 bis 2015, also zehn Jahre nach der Katastrophe, wie sich der Wiederaufbau auf die Stadt und ihre Bewohner langfristig auswirkte. Dazu analysierten sie einerseits die sozioökonomischen Besonderheiten in den wiederaufgebauten und den intakt gebliebenen Wohngebieten, andererseits interviewten sie hunderte von Leuten: Tsunami-Überlebende, Neuzuzüger, aber auch Gemeindevorsteher und Behördenvertreter sowie Offizielle der Regierung.

Unbeliebte Küste

Dadurch fanden die Wissenschaftler heraus, dass zehn Jahre nach der Katastrophe fast alle Häuser, die in den vom Tsunami betroffenen Gebieten gebaut wurden, bewohnt waren. Aber nur die Hälfte der Bewohner waren Tsunami-Überlebende. Über 40 Prozent der Leute, die die Neubauten bewohnten, waren Neuzuzüger mit tieferem Einkommen aus anderen Regionen. Diese Leute hatten die Flutwelle nicht miterlebt.

Vergrösserte Ansicht: Satellitenbilder Banda Aceh
Satellitenbilder verdeutlichen, dass der Wiederaufbau in den vom Tsunami betroffenen Küstenstrich erfolgte. (Bilder: Google Earth)

Viele Tsunami-Überlebende kehrten laut den Forschern gar nicht erst in die auf ihren Parzellen zur Verfügung gestellten Häuser zurück. Einige kehrten zwar zurück, verliessen die Gegend aber bald wieder. Leute mit genügend Mitteln siedelten sich in Stadtteilen im Landesinnern an und vermieteten ihre wiederaufgebauten Häuser an Dritte. «Und einige Tsunami-Überlebende, die zurückgekehrt und an der Küste geblieben sind, wollten sich im Landesinnern ansiedeln, konnten es sich aber nicht leisten», sagt McCaughey.

Denn die steigende Nachfrage nach Grundstücken und Häusern in Tsunami-sicheren Lagen hatte eine Preisspirale in Gang gesetzt. Immobilien- und Grundstückspreise stiegen stark an, sodass sich ärmere aber wegzugswillige Küstenbewohner Häuser in Tsunami-sicheren Lagen nicht mehr leisten konnten. Gleichzeitig sanken die Mietkosten für die Häuser an der Küste aus dem Wiederaufbau, was vor allem ärmere Leute anzog.

Hier arm und riskant, dort reich und sicher

Dies spaltete die Stadtbevölkerung: an der Küste die Armen, die sich eine sichere Wohnlage nicht mehr leisten können, ausserhalb der Gefährdungszone die Wohlhabenden. «Vor dem Tsunami wussten die Menschen nichts von diesem Risiko, und in Tsunami-gefährdeten Gegenden war die Bevölkerung durchmischt. Nun leben überproportional viele Arme an der Küste», sagt der ETH-Doktorand.

Eine Möglichkeit, wie diese ungewollte Segregation hätte vermieden werden können, ist laut McCaughey, die Menschen wählen zu lassen, wo sie nach der Katastrophe Wiederaufbauhilfe erhalten, und zwar unabhängig von ihrer Finanzkraft: «Man sollte es den Betroffenen erlauben, den Ort ihres Wiederaufbaus selbst zu wählen. Dies würde denjenigen, die wirklich an die Küste zurückkehren wollen, dabei helfen, dies zu tun; gleichzeitig könnte dies Probleme vermeiden, die entstehen, wenn mehr Häuser in gefährdeten Zonen gebaut werden als erwünscht», sagt der Forscher. Neun von zehn Befragten hätten in Interviews erklärt, dass sie keine Wahl gehabt hätten.

Man müsse aber auch sehen, dass es viele gegeben habe, die sich aktiv für eine Rückkehr in die Küstenzone entschlossen hätten. «Sie waren dankbar für die geleistete Hilfe, die ihnen eine Rückkehr in ein normales Leben im gewohnten Umfeld ermöglichte. Angesichts der vielfältigen Vorlieben stellen wir fest, dass es eine Lösung, die allen passt, nicht gibt».

Wer soll Standort für Wiederaufbau wählen?

Bei einem Wiederaufbau in von Naturkatastrophen betroffenen Gebieten müssen Hilfsorganisationen und Behörden entscheiden, ob sie Menschen umsiedeln, um sie aus den Gefahrenzonen zu bringen oder ob sie sie dort lassen, wo sie ihren Lebensmittelpunkt und Arbeitsplatz hatten.

Im Fall von Banda Aceh habe man sich, auch um einen raschen Wiederaufbau zu ermöglichen, für Letzteres entschieden, erklärt der Forscher. «Nach der Katastrophe herrschte zudem ein grosser Druck auch von Seiten der Geldgeber, die zerstörten Stadtteile rasch wieder aufzubauen.» Ein weiterer Faktor war, dass die lokalen Behörden kein Geld für Landkäufe gehabt hätten. «Dies schränkte eine potenzielle Umsiedlung von vornherein ein», sagt McCaughey.

Umsiedlungen haben allerdings auch Nachteile: In ebenfalls von diesem Tsunami zerstörten Ortschaften auf Sri Lanka schufen die Behörden Pufferzonen, die nicht mehr bebaut werden durften. Die früheren Bewohner dieser Gebiete wurden umgesiedelt. Die neuen Häuser und Menschen sind zwar vor weiteren Flutwellen sicher, dafür müssen die Bewohner nun lange Wege und hohe Mobilitätskosten in Kauf nehmen, um zur Arbeit zu gelangen.

Der Fall Banda Aceh sei jedoch nicht repräsentativ für alle wiederaufgebauten Tsunami-Katastrophengebiete. «Andere Fälle müssen separat betrachtet werden», sagt der Umweltsozialwissenschaftler.

Humanitären Konsens hinterfragt

«Unsere Ergebnisse stellen allerdings den humanitären Konsens in Frage, dass es im Allgemeinen am besten ist, vor Ort wieder aufzubauen», sagt McCaughey. Möglicherweise wäre es besser, jedem Haushalt die Möglichkeit zu geben, den Ort für seine Umsiedlung selbst zu wählen. Dies hatte die indonesische Regierung ursprünglich für den Wiederaufbau von Aceh auch so vorgeschlagen. Das hätte die Hilfsorganisationen jedoch vor viele schwierige Herausforderungen gestellt.

«In einer Zeit, in der die Küstenbevölkerung wächst und die Meeresspiegel steigen, beeinflussen Entscheidungen nach einer Katastrophe, wie verwundbar wir gegenüber der nächsten sind», betont der Wissenschaftler.

Literaturhinweis

McCaughey JW, Daly P, Mundir I, Mahdi S, Patt A. Socio-economic consequences of post-disaster reconstruction in hazard-exposed areas. Nature Sustainability 1, 38–43 (2018). doi:externe Seite10.1038/s41893-017-0002-z

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