Brücken bauen für den Mittelbau
Seit 50 Jahren setzt sich die AVETH für die Interessen von Doktorierenden, Postdoktorierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitenden ein. Vertretung in der Hochschulpolitik ist dabei genauso wichtig wie konkrete Hilfestellungen.
Was einst als vage Idee begann, ist in 50 Jahren zu einem tragenden Pfeiler der Hochschule herangewachsen: Die «Akademische Vereinigung des Mittelbaus der ETH Zürich» (AVETH) vereint heute Vertreter und Vertreterinnen aus allen Departementen sowie des Singapore-ETH Centre. Sie vertritt die Interessen von Doktorierenden, Postdoktorierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitenden in der Hochschulversammlung und in einer Reihe von hochschulinternen Kommissionen. Heute zählt die Organisation 2300 Mitglieder. Das entspricht einem Drittel des rund 6000 Mitarbeitende umfassenden Mittelbaus, wovon der grösste Anteil (rund 4000 Personen) Doktorierende sind. «Die Mitgliederzahl ist im Vergleich zu anderen Hochschulen sehr hoch», freut sich Martin Roszkowski, seit 2017 Präsident der AVETH.
Die Vereinigung bietet konkrete Hilfestellungen und engagiert sich politisch für den Mittelbau. Als Beispiel nennt Roszkowski die vor einigen Jahren aufgekommene Praktik einzelner Professoren, aufgrund von Budgetengpässen Teilzeitstellen auf dem Papier für Postdocs einzurichten. Die AVETH wehrte sich entschieden dagegen und bekämpfte auch erfolgreich den Vorschlag, anstelle von Teilzeitstellen Lohnabstufungen einzuführen, um das Budget zu entlasten.
Die breite Vertretung und Akzeptanz der AVETH an der Hochschule basiert auf zigtausend Stunden Freiwilligenarbeit und konkreten Dienstleistungen: Heute werden neu in die Hochschule eintretende Doktorierende, Postdoktorierende und wissenschaftliche Mitarbeitende an Informationsevents begrüsst. Sie werden von AVETH-Departementsvertretern persönlich kontaktiert und erhalten hilfreiche Informationen zum Leben an der ETH. Seit 1996 finden Doktorierende auf der Website der AVETH einen «Survival Guide», der Tipps und konkrete Hilfestellungen für die oft anspruchsvolle Doktoratszeit bietet. Mit dem AVETH-Ableger «Telejob» wurde vor 30 Jahren die Grundlage für die heutige Online-Jobplattform «ETH get hired» gelegt. Und zum 50-Jahre-Jubiläum organisierte die AVETH dieses Jahr eine Reihe von Workshops und «Take Away Talks».
Betreuung als zentrales Thema
Zu den oft genutzten Dienstleistungen gehört das «Counselling». Angehörige des Mittelbaus können sich mit allen Belangen rund um ihre Anstellung und bei privaten Schwierigkeiten vertraulich an die Organisation wenden. Mitglieder der AVETH beraten dann oder vermitteln Experten, zum Beispiel für die Deeskalation von Konflikten oder die Vorbereitung eines schwierigen Gesprächs. Häufigste Ursache, weshalb Doktorierende ein Counselling in Anspruch nehmen, seien Konflikte mit Betreuerinnen oder Betreuern, weiss Roszkowski.
Deshalb initiierte die AVETH 2017 eine Studie zur Qualität der Betreuung von Doktorierenden an der ETH. Die Ergebnisse schlugen im April 2018 hohe Wellen. Zwar waren 62 Prozent der fast 1600 Befragten generell zufrieden mit ihrer Betreuung. Doch fast ein Viertel gab an, Machtmissbrauch durch die Betreuungsperson erfahren zu haben. «Das Thema Betreuung wurde bis zu diesem Zeitpunkt ähnlich wie das Thema Lohn behandelt: Niemand wollte darüber sprechen; alles drehte sich um die Forschung.» Roszkowski warnt jedoch vor zu einseitigen Schuldzuweisungen: «Vieles hängt von den Doktorierenden selbst ab», ist er überzeugt. «Sie müssen für ihre Rechte einstehen und artikulieren, wie sie sich die Betreuung vorstellen.» Deshalb wurde Anfang 2019 an der ETH ein Programm für Neueintretende lanciert, das einerseits Führungskompetenzen an Professorinnen und Professoren vermittelt, andererseits auch die Doktorierenden besser über ihre Rechte und Pflichten informiert.
Der AVETH-Vorstand sei inzwischen grundsätzlich zufrieden, wie die Hochschule auf die seit 2017 bekannt gewordenen Betreuungsprobleme reagiert hat, sagt Roszkowski. Neben einem zweitägigen Symposium, an dem die Problematik in der Schweiz erstmals von Experten und ETH-Angehörigen breit diskutiert wurde, begann eine Vernehmlassung über neue Regeln und Massnahmen für die Betreuung von Doktorierenden, an der sich die AVETH intensiv beteiligte. «Ein guter Anfang. Nun müssen wir schauen, dass die Massnahmen überall umgesetzt und kultiviert werden.»
Neubewertung des Doktorats
In Zukunft werde ein weiteres Thema für die AVETH prägend sein, so Roszkowski: «Die Aussichten auf eine Professur verringern sich zusehends und die Konkurrenz unter Doktorierenden und Postdoktorierenden wird weiter zunehmen.» Viele würden das Doktorat heute mit unrealistischen Hoffnungen auf eine eigene Professur antreten. Er plädiert für eine Neubewertung der wissenschaftlichen Laufbahn: «Die Dissertation ist nicht nur im Hinblick auf eine Professur relevant, sondern auch für andere berufliche Tätigkeiten und gesellschaftliche Engagements.» Roszkowski selbst doktoriert an der Professur für Neuroepigenetik zu molekularen Mechanismen epigenetischer Vererbung und wird seine Dissertation voraussichtlich nächstes Jahr abschliessen. «Ich weiss, dass ich weiterforschen will und ein Team führen möchte», sagt er. «Nicht nur die Hochschule, auch die Privatwirtschaft bietet dafür spannende Möglichkeiten.»
Dieser Text ist in der aktuellen Ausgabe des ETH-Magazins Globe erschienen.