Was der Blick aus dem All enthüllt

Kriegsverbrechen dokumentieren, Impfkampagnen unter­stützen, Schneehöhen identifizieren, den Klimawandel verfolgen: Das Potenzial der Erdbeobachtungen mit Satelliten ist enorm. Das machen sich auch ETH-Forschende zunutze.

Satelliten im All unter ihnen der Planet Erde
Sentinel-Satelliten der ESA sind öffentliche Erdbeobachtungssatelliten, mit denen auch Forschende der ETH arbeiten. (Bild: ESA)

Aus 700 Kilometern Höhe senden Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation ESA Radarstrahlen zur Erde. Diese werden zurückgestreut und liefern selbst bei bedecktem Himmel Bilder der Erdoberfläche. Konrad Schindler und sein Team interessieren sich besonders für die Radarbilder der Ukraine. «Die Satelliten überfliegen das Land alle paar Tage und liefern so eine Art Zeitlupenvideo», erklärt der Leiter des Instituts für Geodäsie und Photogrammetrie an der ETH Zürich. «Dabei ändert sich das Signal, wenn intakte Häuser zu einem Trümmerfeld werden.» Denn die Radarstrahlen werden an glatten Oberflächen stärker reflektiert als an rauen.

Allerdings wären Menschen überfordert bei der Analyse der frei zugänglichen Bilderflut. Diese Aufgabe erfüllt ein automatisches Monitoring-System, das auf künstlicher Intelligenz (KI) basiert. «Das heisst, man überlässt es dem Computersystem, typische Muster in den Daten statistisch zu erkennen», erklärt Schindler. Für dieses maschinelle Lernen wird das KI-System mit Beispielbildern trainiert, bei denen man mit Sicherheit ein zerstörtes Gebäude sieht, das vorher noch ganz war.

Diese Referenzdaten stellte das Satellitenzentrum der UNO (UNOSAT) zur Verfügung. Dort identifizieren Expertinnen und Experten solche Gebäudeschäden punktuell in mühsamer Handarbeit anhand hochaufgelösten Bildmaterials kommerzieller Anbieter, um Kriegsverbrechen wie die Bombardierung ziviler Einrichtungen zu dokumentieren. «Unser Monitoring-System ersetzt diese Fachleute keineswegs», sagt Schindler. «Aber weil es grosse Flächen abdecken kann, gibt es ihnen wichtige Hinweise, wo sie genauer hinschauen sollten.»

«Globe» Eine Reise ins All

Globe 24/04 Titelblatt

Dieser Text ist in der Ausgabe 24/04 des ETH-​​​​Magazins Globe erschienen.

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Karten für Hilfsorganisation

Die Kartierung von Kriegsschäden ist eines von zwei Projekten, welche die ETH-Forschenden in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) durchführten. «Beim zweiten Projekt ging es um die scheinbar sehr einfache Frage: Wo sind die Leute?», erzählt Schindler. Plant das IKRK eine Impfkampagne oder eine Hilfsaktion nach einer Naturkatastrophe, braucht es Daten zur Bevölkerungsdichte, die jedoch in weniger entwickelten Ländern oft fehlen. Diese Lücke füllen die Bevölkerungskarten, welche Schindlers Gruppe anhand von Satellitendaten erstellt.

Die ETH-Forschenden nutzen Satellitenbeobachtungen in Kombination mit maschinellem Lernen für verschiedenste Bereiche. So entwickelten sie in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Start-up ExoLabs ein System, das die Schneehöhe schneller und präziser misst als bisher möglich. Satellitenbilder und digitale Höhenkarten lieferten erste Schätzungen der Schneebedeckung in der Schweiz. Aus Vergleichen mit genauen Daten, gesammelt von einem Flugzeug und Messstationen am Boden, lernte das System, die Schätzung aufgrund der Satellitenbilder zu verbessern. Nun liefert es tagesaktuelle Schneehöhenkarten, die demnächst auf den Markt kommen sollen.

Bereits frei verfügbar ist eine globale Karte der Baumhöhen, die vor allem ökologischen Zwecken dient und ebenfalls auf Satellitendaten basiert. «Aus dem Weltall sieht man zwar nicht, wo ein Baum anfängt und aufhört, doch das reflektierte Signal enthält dennoch überraschend viel Information, vor allem im Infrarotbereich, in dem die Vegetation besonders aktiv ist», erklärt Schindler. Wie diese lokalen Beleuchtungsmuster mit der Baumhöhe zusammenhängen, lernte ein Computerprogramm anhand von Beispielen, die ein Laserscanner an Bord der Internationalen Raumstation (ISS) lieferte. Je nachdem, ob die Laserpulse von den Baumkronen oder dem Boden reflektiert werden, verschiebt sich deren Laufzeit minimal. Daraus lässt sich die Höhe der Vegetation ableiten.

Frühwarnsystem für Wälder

«Die weltweite Kartierung der Baumhöhen ist äusserst interessant, weil sie Informationen über das Alter der Bestände enthält», sagt Verena Griess, Leiterin des Instituts für Terrestrische Ökosysteme an der ETH Zürich. Auch sie und ihr Team arbeiten mit Satellitendaten, um Informationen zum Zustand von Bäumen zu erhalten. «Mit dem Klimawandel befinden wir uns in einem Zeitalter des rapiden Umschwungs, auch was unsere Wälder angeht, und Probleme durch Schädlingsbefall, Windwürfe, Feuer und Trockenstress werden häufiger», sagt die Professorin für das Management Forstlicher Ressourcen.

Mithilfe von Satellitendaten wollen die Forschenden ein Frühwarnsystem erstellen, das bei Handlungsbedarf in einem gestressten Wald anschlagen soll, selbst wenn die Signale mit dem menschlichen Auge noch nicht sichtbar sind. Ein solches System könnte in dünn besiedelten Gebieten bereits kleine Feuerherde entdecken oder in der Schweiz aufzeigen, wo Massnahmen nötig sind, damit uns der Wald weiter vor Naturgefahren schützt. Satellitendaten könnten aber auch Gebiete identifizieren, die sich besonders für die Produktion von Holz eignen, oder solche, die man wegen der hohen Biodiversität unter Schutz stellen möchte. «Wir wollen sicherstellen, dass man für jeden Ort die richtige Entscheidung trifft», erklärt Griess.

Zurzeit arbeiten die Forschenden an einem Modell, das auf Satellitenbildern Baumarten automatisch erkennen kann. Anhand von verifizierten Standorten bestimmter Arten wie Buchen, Fichten oder Lärchen lernt das Modell, die entsprechenden Muster auf den Satellitenbildern zu erkennen. Mit sogenannten Hyperspektralsensoren sammeln Satelliten aber auch Informationen, die in einem durch Menschen nicht sichtbaren Bereich liegen und Aufschluss über den Gesundheitszustand von Bäumen geben. Denn damit kann man den chemischen Gehalt bestimmter Substanzen in den Blättern messen und wie sich deren Konzentration verändert, was zum Beispiel in frühen Stadien von Befall durch Schädlinge der Fall sein kann.

Zu den Personen

Verena Griess ist Professorin für das Management Forstlicher Ressourcen am Departement Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich.

Konrad Schindler ist Professor für Photogrammetrie und Fernerkundung am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich.

Benedikt Soja ist Professor für Weltraumgeodäsie am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich. Diese Professur wurde durch den Dr. Alfred und Flora Spälti Fonds gefördert.

Die zweidimensionalen Satellitenbilder können zudem verknüpft werden mit 3D-Daten, die Laserscanner aus dem All sowie von Flugzeugen oder Drohnen und vom Boden aus liefern. Mit dem kürzlich in Betrieb genommenen Supercomputer Alps der ETH sollen die Datenanalysen beschleunigt und die Modelle noch besser trainiert werden. «Damit, mit den hervorragenden Studierenden und der guten Zusammenarbeit zwischen den Professuren und den anderen Institutionen des ETH-Bereichs hat die Schweiz eine Expertise, die man sonst nirgends so geballt findet», sagt Griess.

GPS-Technik umfunktioniert

Der Zustand von Waldbäumen lässt sich auch anhand von Signalen untersuchen, die von GPS-Satelliten ausgesendet werden. Platziert man eine Empfangsstation unter einem Baum und eine zweite weiter entfernt, so lässt sich aus der Differenz der empfangenen Signale berechnen, wie viel Biomasse im Baum gespeichert ist. «Es ist erstaunlich, was man mit einer Technik machen kann, die eigentlich für etwas ganz anderes – die Navigation – entwickelt wurde», sagt Benedikt Soja, Professor für Weltraumgeodäsie.

So installierten Soja und sein Team in Zusammenarbeit mit MeteoSchweiz bei mehreren Wetterstationen, die überall in der Schweiz verteilt sind, günstige GPS-Empfangsstationen. Damit lässt sich messen, wie viel Wasserdampf in der Atmosphäre vorhanden ist, denn dieser verlangsamt die Radiosignale, welche die Satelliten aussenden. So lässt sich die Feuchtigkeit über einer Station berechnen und damit Regenprognosen verbessern.

Eine Analyse der Messreihen über einen längeren Zeitpunkt liefert zudem Aussagen über den Klimawandel. Wird es wärmer, kann die Atmosphäre mehr Feuchtigkeit, also mehr Wasserdampf, aufnehmen. «Dies wiederum verstärkt den Klimawandel, weil Wasserdampf auch ein Treibhausgas ist – sogar das am häufigsten vorkommende», erklärt Soja. «So lässt sich der Einfluss des Klimawandels auf die Atmosphäre lokal besonders gut bestimmen.» Die GPS-Messungen zeigen, dass es im Durchschnitt feuchter, in einigen Regionen aber auch trockener geworden ist.

Mithilfe einer anderer Messtechnik verfolgen die Forschenden das Abschmelzen der Eisschilde in Grönland und der Antarktis. Zwei Satelliten, die knapp hintereinander fliegen, erfassen das Schwerefeld der Erde. Dieses variiert, je nachdem, wie viel Masse an einem bestimmten Ort vorhanden ist. «So können wir aus dem Weltraum Massenverlagerungen messen», erklärt Soja. Mithilfe anderer Satelliten, die Höhenmessungen durchführen, lassen sich diese Messungen weiter verfeinern. «Wir sehen, dass Jahr für Jahr in den Polarregionen riesige Mengen an Eis abschmelzen und den Meeresspiegel ansteigen lassen – Hunderte Gigatonnen, einen riesigen Eiswürfel, so gross wie die Stadt Zürich und über 3000 Meter hoch», sagt Soja. «Diese Beobachtung aus dem All ist die beste Technik, um die Folgen des Klimawandels in Bezug auf die Eisschilde zu verfolgen.»

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