Wege aus der Unsicherheit
Anders als langfristige Klimavoraussagen sind Prognosen über die nächsten 20 bis 50 Jahre von grossen Unsicherheiten bestimmt. Letzeren zum Trotz konnten ETH-Wissenschaftler nun Aussagen machen zur künftigen Verteilung von Hitze- und Niederschlagsextremen.
Bei der Diskussion um den Klimawandel stehen oft die langfristigen und durchschnittlichen Veränderungen im Vordergrund – es wird global gesehen am Ende des Jahrhunderts auf der Erde wärmer sein. Die verschiedenen wissenschaftlichen Klimamodelle sagen dies übereinstimmend voraus. Für vom Klimawandel Betroffene und für Entscheidungsträger sind jedoch Hinweise auf Häufigkeit und Intensität von Extremereignissen wie Hitze- und Kälteextremen, Starkniederschlägen oder Dürreperioden mindestens so wichtig wie Hinweise auf Durchschnittswerte. Ausserdem sind Aussagen zu den nächsten zehn, zwanzig, dreissig oder vierzig Jahren für sie in der Regel relevanter als die langfristige Sicht bis zum Ende des Jahrhunderts. Das Problem: Über den kurz- und mittelfristigen Zeitraum liefern die Modelle stark auseinanderklaffende Ergebnisse.
Sind die Modelle deshalb schlecht? Nein, sagt Erich Fischer, Oberassistent am Institut für Atmosphäre und Klima. Er suchte nach den Ursachen für die starken Unterschiede in den Kurz- und Mittelfristprognosen. In einer jüngst in der Fachzeitschrift «Nature Climate Change» veröffentlichten Studie kommt er zum Schluss, dass sie zum Grossteil von den natürlichen chaotischen und daher unvorhersehbaren Schwankungen im Klimasystem verursacht werden. Zwar gebe es durchaus Potenzial, die Klimamodelle zu verbessern, sagt Fischer. «Doch selbst wenn wir ein perfektes Modell hätten, blieben die mittelfristigen Unsicherheiten bestehen.»
Nur bei langfristiger Betrachtung ist die vorhergesagte menschgemachte Klimaveränderung ausreichend gross, sodass sie sich von den natürlichen Klimaschwankungen abhebt. Dies ist auch der Grund, warum es in der Klimamodellierung – auf den ersten Blick paradoxerweise – einfacher ist, Aussagen zum Jahr 2100 zu machen als zu den Jahren 2030 oder 2040.
Schmetterlingseffekt simuliert
Die Forscher gewannen ihre Erkenntnis aus einer Simulation des bekannten Schmetterlingseffekts. Dieser besagt, dass leicht unterschiedliche Anfangsbedingungen eine Entwicklung längerfristig sehr stark beeinflussen können («Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?»): Die Wissenschaftler berechneten das künftige Klima 21-mal mit einem der führenden Klimamodelle, wobei sie die Temperaturen am Tag 1 der Berechnung für jeden Punkt der Erde absichtlich extrem geringfügig veränderten – um maximal hundert Billiardstel Grad Celsius.
Dabei zeigte sich: Die Unterschiede der Jahresmaximal- und -minimaltemperaturen und der Intensivniederschläge in den Jahren 2016 bis 2035 waren in den Wiederholungen dieses einen Modells beinahe so gross wie die bekannten Unterschiede zwischen den verschiedenen Modellen. Aus diesem Umstand schlossen die Forscher, dass ein Grossteil der Unterschiede den Anfangsbedingungen und somit dem Chaos geschuldet ist, und nicht den Unsicherheiten der Modelle.
Was sich vorhersagen lässt und was nicht
«Unsere Studie zeigt, dass wir bei lokalen Mittelfristprognosen mit Unsicherheiten leben müssen», sagt Fischer. Ein Schweizer Bauer könne beispielsweise keine genauen Vorhersagen zu den Änderungen von Klimaextremen im Schweizer Mittelland in den nächsten 30 bis 40 Jahren erwarten, auch wenn es klar sei, dass die Hitzeextreme und Starkniederschläge im langfristigen Trend bis Ende Jahrhundert intensiver ausfallen würden.
Das heisst jedoch nicht, dass gar keine wissenschaftlichen Aussagen über die kommenden Jahrzehnte möglich sind. Die ETH-Wissenschaftler haben Wege gefunden, um solche Aussagen machen zu können – indem sie Grossregionen oder die ganze Welt betrachteten. So können sie beispielsweise aufzeigen, dass die Intensität von Hitzeextremen und Starkniederschlägen nicht an allen Orten der Erde gleichermassen zunehmen wird: Auf zwei Drittel der Landoberfläche werden Hitzeextreme innert drei Jahrzehnten signifikant stärker, auf einem Drittel der Fläche wird es keine signifikanten Änderungen geben. Was die Starkniederschläge angeht, werden sie auf einem Viertel der Fläche um zehn Prozent zunehmen, auf drei Viertel der Fläche um weniger als zehn Prozent.
Risiken abschätzbar
Ähnliche Aussagen machen die ETH-Forscher für einzelne Grossregionen wie Europa, die USA, China oder Australien. In allen diesen Regionen sagen die Klimamodelle eine Zunahme der Stärke von Hitzeperioden in den nächsten 30 Jahren und von Starkniederschlägen in den nächsten 50 Jahren voraus. Für Institutionen mit globalem Fokus wie zum Beispiel Rückversicherer oder Nahrungsmittelmultis sind solche Vorhersagen durchaus nützlich, selbst wenn unklar ist, wo genau es zu Extremereignissen kommen wird. Trotz der Unsicherheiten ist es möglich, gewisse Risiken abzuschätzen.
«Die Modelle sind sich einig, dass Änderungen in extremen Wetterereignissen auftreten, und wie stark sie sein werden, sie sagen aber nicht, wo sie am stärksten sein werden. Dies wird grösstenteils vom Chaos bestimmt», sagt Fischer. In der Physik sei es oft so, dass ein einzelner Zustand nicht vorhersagbar sei, wohl aber der Durchschnitt. Fischer vergleicht es mit dem Strassenverkehr: Wenn Geschwindigkeitsbegrenzungen erhöht werden, lässt sich voraussagen, dass es mehr Verkehrsunfälle gibt. Wo genau der nächste Unfall stattfinden wird, lässt sich hingegen nicht vorhersagen.
Literaturhinweis
Fischer EM, Beyerle U, Knutti R: Robust spatially aggregated projections of climate extremes. Nature Climate Change, Online-Vorabveröffentlichung 17. November 2013, doi: externe Seite 10.1038/nclimate2051