Ein schärferes Bild der Erdstruktur
Dank Erdbebenwellen wissen wir heute recht genau, wie die feste Erde aufgebaut ist. Der Geophysiker Andreas Fichtner geht nun einen Schritt weiter: Er gewinnt aus scheinbar nutzlosen Daten neue Einblicke in das Innere unseres Planeten.
Wie sieht die Erde tief in ihrem Inneren aus? Wenn man bedenkt, dass dieser Teil der Welt völlig unzugänglich ist, haben wir inzwischen doch ein bemerkenswert differenziertes Bild, welche Strukturen sich unter der Erdoberfläche verbergen. Schon lange ist man hinweg über die grobe Unterteilung der Erde in einen festen inneren und einen flüssigen äusseren Kern aus Metall, der von einem Erdmantel aus siliziumhaltigen Gesteinen und einer dünnen Erdkruste als äusserste Hülle umgeben ist. Geophysiker sind zum Beispiel daran, die gewaltigen Konvektionsströme im äusseren Erdkern, die das Erdmagnetfeld erzeugen, im Detail zu rekonstruieren. Und man weiss beispielsweise heute auch, dass sich unter der Vulkaninsel Island eine heisse Zone befindet, die bis in eine Tiefe von 1000 Kilometern reicht.
Möglich wurden diese Einblicke in das Erdinnere durch geophysikalische Messungen an der Erdoberfläche. Ein wichtiges Instrument sind beispielsweise seismische Wellen: Wenn sich irgendwo auf der Welt ein Erdbeben ereignet, pflanzen sich die Erschütterungen als seismische Wellen quer durch die ganze Erde hindurch fort. Registriert man nun diese Wellen an verschiedenen Orten mit entsprechenden Messgeräten, kann man aufgrund der Ausbreitungsgeschwindigkeit Rückschlüsse auf die Strukturen ziehen, die diese Wellen im Erdinneren durchquerten.
Botschaften aus dem Rauschen
Die Methode hat aber einen Nachteil: Erdbeben kommen auf der Erde nicht gleichmässig vor, sondern bevorzugt entlang der Grenzen der tektonischen Platten. Auch die Messstationen sind nicht gleichmässig verteilt. Deshalb ist das Bild, das man vom Inneren der Erde hat, nicht überall gleich differenziert. Andreas Fichtner, Assistenzprofessor für rechnergestützte Seismologie und Leiter des Solid Earth Dynamics Network, das die rechenintensiven geophysikalischen Aktivitäten in der Schweiz koordiniert, ist nun daran, im Rahmen des Projekts «GeoScale» ein Verfahren zu entwickeln, das diese Lücke schliessen soll.
Dazu verwendet der Forscher Daten, die auf den ersten Blick nutzlos scheinen: das chaotische Hintergrundrauschen, das die Seismometer kontinuierlich aufnehmen. «Die meiste Zeit nehmen die Erdbebenmessgeräte nur feine Schwingungen auf, aus denen sich kein klares Signal erkennen lässt», erklärt er. «Diese Erschütterungen entstehen durch verschiedene Faktoren: Meereswellen beispielsweise, Turbulenzen in der Atmosphäre, aber auch menschliche Aktivitäten.»
Zusammen mit seiner Doktorandin Laura Ermert wendet Fichtner nun einen Trick an, um aus diesen Daten trotzdem ein Signal herauszufiltern: Sie nehmen die Datensätze von jeweils zwei Stationen und gleichen sie mit einer Korrelationsfunktion miteinander ab. «Wenn man die Daten einer Station mit denjenigen von vielen anderen korreliert, ergibt sich ein Muster, als wenn sich an der entsprechenden Station ein Erdbeben ereignet hätte», erklärt Fichtner. «Diese synthetischen Erdbebensignale können wir dann genau gleich verarbeiten wie normale Erdbebensignale.»
Hunderttausende Korrelationen
Bis es so weit ist, braucht es allerdings viel Rechenarbeit. Jedes Seismometer nimmt 20 Mal pro Sekunde ein Signal auf. Über mehrere Jahre hinweg summiert sich das zu Dutzenden von Gigabytes. Diese grossen Datenmengen müssen dann zuerst aufbereitet werden, zum Beispiel weil die Messdaten durch die Instrumente leicht verzerrt werden. Liegen die Werte bereinigt vor, müssen die Korrelationen durchgeführt werden. «Wenn man 1000 Messstationen paarweise miteinander korrelieren will, braucht es 500 000 Rechengänge», erläutert Fichtner.
Das Resultat der Rechnerei, so ist der Forscher überzeugt, wird zu einem viel genaueren Bild der Erde führen. «Insbesondere die Strukturen unter wenig untersuchten Regionen wie Afrika, Südamerika oder Sibirien werden wir viel genauer auflösen können.» Und noch eine andere ungelöste Frage möchte Fichtner klären. «Dank der neuen Daten können wir vielleicht besser verstehen, welche Faktoren das chaotische Hintergrundsignal eigentlich erzeugen. Möglicherweise verstehen wir so auch besser, welche Wechselwirkung zwischen den Meeren, der Atmosphäre und der festen Erde besteht.»
Dieser Artikel wurde ungekürzt aus dem aktuellen Globe übernommen.