Bedenkliche Gesprächsverweigerung
ETH-Präsident Lino Guzzella verurteilt in seinem Kommentar die Attacke auf einen Pflanzenzüchtungs-Kongress an der ETH Zürich.
«Je ne suis pas d'accord avec vous, mais je me battrai pour que vous puissiez le dire.»
Auch wenn dieser Satz wohl nie genau so von Voltaire ausgesprochen wurde, fasst er doch sehr gut seine Gedanken zusammen und formuliert damit eine der wichtigsten Errungenschaften der Aufklärung: Das Recht zur freien Meinungsäusserung und das Primat des Arguments über die Gewalt. Beide Grundprinzipien wurden gestern an der ETH Zürich von anonym auftretenden Personen gebrochen. Das ist inakzeptabel. Die ganze ETH und die Gemeinschaft aller Forschenden verurteilt geschlossen solche Attacken.
Die externe Seite Eucarpia ist eine seit 60 Jahren bestehende Organisation, die sich der Wissenschaft der Pflanzenzüchtung widmet. Alle drei Jahre führt sie einen Kongress durch, an dem neuste Resultate präsentiert und daraus abzuleitende Fragestellungen diskutiert werden. Kartoffeln, Früchte, Futtergräser und viele andere für die Menschheit zentralen Nahrungsmittel werden wissenschaftlich untersucht und Verbesserungen für deren Herstellung vorgeschlagen. Zentrale Fragen sind die Steigerung der Erträge bzw. des Nährwerts und die gleichzeitige Reduktion des Einsatzes von Pestiziden, Düngemitteln und Wasser.
Angesichts der Tatsache, dass viele Menschen auf unserer Erde unter- oder fehlernährt sind, sind die von dieser Gemeinschaft erarbeiteten Resultate zweifellos von grosser Bedeutung. Speziell in ärmeren Weltgegenden, in denen die Bevölkerung stark wächst, sind die Ergebnisse für die Lebenssituation dieser Menschen unmittelbar relevant und jeder Fortschritt ist zu begrüssen.
Die über 400 Teilnehmenden der Konferenz kommen aus vielen Ländern der Welt und stellen ihre Intelligenz und ihre Energie in den Dienst der Wissenschaft der Pflanzenzüchtung. Die dabei verwendeten Methoden gehen von molekularbiologischen Grundlagen bis hin zum Feldversuch auf Bauernhöfen. Ältere erfahrene Kolleginnen und Kollegen und junge mit Begeisterung an die Probleme herantretende Forscherinnen und Forscher wollten einen wissenschaftlichen Dialog führen, kontroverse Fragen miteinander diskutieren und neue Theorien und experimentelle Erkenntnisse austauschen.
All dies wurde durch eine kleine Gruppe von Personen gewaltsam verhindert, indem diese in das Auditorium Maximum eindrangen, Kongressteilnehmer mit Fäkalien bewarfen und Sachschäden anrichteten. Statt sich der Diskussion zu stellen, ihre Argumente der Validierung durch das Experiment zu unterwerfen, andere Argumente und Erkenntnisse anzuhören und diese kritisch zu analysieren, haben diese Personen den Dialog unter friedlichen Menschen gewaltsam abgewürgt.
Krawall und das Verbergen des Gesichts und der Meinung in der Anonymität widersprechen der Idee eines konstruktiven Dialogs fundamental. Die komplexen Themen der Welternährung und der Weiterentwicklung der Landwirtschaft werden an der ETH facettenreich und kritisch diskutiert. Dieser Dialog und konstruktive Meinungsaustausch muss weitergehen.
Ich appelliere an alle Forschenden, sich solchen Tendenzen und Entwicklungen, wo immer sie stattfinden, entgegenzustellen. Die ETH ist wie alle Hochschulen ein Ort des freien und respektvollen Gedankenaustausches, ein Ort, wo das experimentell validierte Argument zählt, ein Ort schliesslich, an dem an Lösungen für die Probleme der Menschheit gearbeitet wird. Das muss so bleiben.