Schweizer Unternehmen sind gute Prozessinnovatoren
Die Schweizer Wirtschaft steht vor grossen Herausforderungen: Technologien entwickeln sich rasant weiter, Prozesse in- und ausserhalb von Produktionsstätten werden zusammengeführt und sämtliche Firmeneinheiten stärker vernetzt. Dies verlangt von Betrieben stete Anpassungen. Forscher der Professur für Strategisches Management und Innovation der ETH Zürich und der KOF, Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, haben sich diesem Sachverhalt angenommen.
Die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich führt seit den 1990er-Jahren bei rund 6000 Schweizer Unternehmen regelmässig Innovationsumfragen durch. Im Zentrum dieser Studie steht, wie Firmen den Zugang zu externem Wissen und moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) nutzen – denn diese Faktoren unterstützen die Innovation von Prozessen, um Produktionskosten zu senken. Im Interview mit ETH-News erklären Georg von Krogh, Professor für Strategisches Management und Innovation und Autor der Studie, sowie Co-Autor Martin Wörter, Leiter der Sektion Innovationsökonomik der KOF, wie gut Schweizer Firmen bei den Prozessinnovationen wirklich sind.
Herr Von Krogh und Herr Wörter, wie gut sind die Schweizer Unternehmen bei der Einführung neuer Prozesse?
Georg Von Krogh: Die Schweizer Unternehmen schneiden sehr gut ab: Rund die Hälfte der untersuchten Firmen hat in den letzten zwei Jahren neue Prozesse eingeführt. Dadurch konnten sie im Durchschnitt 4,8 Prozent der Kosten sparen.
Ist das ein guter Wert?
Martin Wörter: Ja, das ist ein guter Wert. Grund ist auch, dass sich die Schweizer Industrie durch die relativ starke Aufwertung des Schweizer Frankens in einer wirtschaftlich angespannten Lage befindet. Ausserdem gibt es viele neue Technologien, die in Unternehmen eingesetzt werden können. Eine mögliche Reaktion darauf sind Prozessinnovationen, durch die sich die Kosten senken lassen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Von Krogh: Ich sehe Prozessinnovationen zudem auch als Gegentrend zur Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Mit optimierten Prozessen stärken Firmen den Werkplatz Schweiz.
Haben Sie dieses Resultat erwartet?
Von Krogh: Wir haben in der Schweizer Industrie eine Kultur, die auf Optimierung und Verbesserung ausgerichtet ist, und deshalb kann man von der Schweiz auch Stärke in der Prozessinnovation erwarten. Im Gespräch mit Führungskräften stellt sich oft heraus, dass sie offen für neue Technologien sind und gerade auch die Digitalisierung aufgreifen wollen.
Ein Thema Ihrer Studie ist der Wert moderner Informations- und Kommunikationstechnologien. Inwiefern sind diese wichtig und nötig für Prozessinnovationen?
Wörter: Die IKT können für verschiedene Zwecke im Unternehmen eingesetzt werden. Wir haben uns zwei davon angesehen: Datenzugangssysteme und Netzwerksysteme. Erstere ermöglichen es, den Prozessablauf quantitativ zu begleiten und Informationen zu erheben. Netzwerke können die Kommunikation im Unternehmen effizienter gestalten. Beide Systeme fördern den Effekt externer Wissensquellen auf die Prozessinnovation.
Von Krogh: Wenn Firmen Netzwerktechnologien vermehrt nutzen, können sie damit die Verbreitung von Wissen innerhalb des Unternehmens beschleunigen. Als Konsequenz wird neues Wissen von Unternehmen schneller absorbiert, und genau diese Absorptionsfähigkeit ist essentiell für Prozessinnovationen. Kurz: Die Integration von externem Wissen ist der Schlüssel zur Senkung der Produktionskosten.
Was verstehen Sie konkret unter externem Wissen?
Von Krogh: Wir unterscheiden zwischen implizitem und explizitem Wissen. Für Herstellungsprozesse genutzte Routinen basieren auf implizitem Wissen und sind deshalb schwer zu fassen. Um diese Wissensquellen verstehen und nutzen zu können, ist ein hoher Aufwand nötig.
Wörter: Das Wissen, welches in Prozessen steckt, ist nicht so offensichtlich wie bei einem Produkt. Bei diesem kann man nachverfolgen, wie und wo es hergestellt wurde, aber um Prozesse aufzudecken, ist ein intensiver Kontakt zur Wissensquelle essentiell. Je stärker ein Unternehmen solche Quellen erschliesst, umso grösser ist der daraus resultierende Effekt.
Wie können sich Unternehmen Zugang zu diesem Wissen verschaffen, wenn es doch implizit ist?
Von Krogh: Eine Möglichkeit sind «Open Innovation»-Plattformen, auf denen Firmen mit Leuten verbunden werden, die über Spezialkompetenz verfügen und damit dringende Probleme von Firmen lösen können. Man kann auch langjährige Forschungsbeziehungen aufbauen. Das machen viele Unternehmen zum Beispiel mit der ETH Zürich, wodurch ein effizienter Technologietransfer entsteht. Man kann Wissen zudem in Teilbereichen der eigenen Versorgungskette ausfindig machen oder die Kunden miteinbeziehen.
Im Fazit Ihrer Studie raten Sie Unternehmen, durch einen offenen Innovationsprozess von Technologien und Abläufen anderer Firmen zu lernen. Widerspricht dies nicht dem in der Wirtschaft vorherrschenden Wettbewerbsprinzip?
Wörter: Neu geschaffenes Wissen ist ein halböffentliches Gut, und durch Wissensanreicherung erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Neues entsteht. Deswegen ist das Teilen von Wissen ein effizienter Weg, zu Innovationen zu gelangen.
Gibt es auch Faktoren, welche Prozessinnovationen hemmen?
Wörter: In der Schweiz zählen die Innovationskosten und das damit verbundene Risiko sowie fehlende Eigenmittel und lange Amortisationszeiten mit zu den wichtigsten Innovationshemmnissen.
Von Krogh: In unserer Studie zu «Open Innovation» haben wir auch aufgezeigt, dass ein beschränkter Zugang zu internationalen Märkten Innovationen hemmen kann. Von anderen Studien kennen wir das «Not-Invented-Here»-Syndrom: Wir setzen nicht gerne Dinge um, die jemand anders erfunden hat. Diese Haltung kann «Open Innovation» blockieren.
Sie empfehlen, vermehrt auf Prozessinnovationen zu setzen, um Produktionskosten zu senken. Müssen Betriebe nun diesen Teil der Zitrone stärker auspressen, um marktfähig zu bleiben?
Wörter: Nein, so ist das nicht gemeint. Ich kann die Produktivität erhöhen, indem ich mehr verkaufe oder indem ich die vorhandenen Produkte günstiger produziere – am besten beides. Wenn aber eine Technologie eine gewisse Reife erreicht hat, wird es immer schwieriger, sie weiter zu optimieren, weil die Kosten einer weiteren Verbesserung des Produktes stark steigen. Deshalb ist es ratsam, an den Prozessen zu arbeiten. Wenn dann ein neues Produkt auf den Markt gebracht wird, ist der Preis oft ähnlich hoch wie der des Vorgängermodells. Das Unternehmen kann aber dank optimierten Prozessen günstiger produzieren und dadurch seine Produktivität steigern.
Gibt es bei den Schweizer Firmen auch Handlungsbedarf?
Von Krogh: Die nächste grosse Herausforderung ist die Digitalisierung. Prozessinnovationen werden möglich, indem Unternehmen bereits existierende Prozesstechnologien verbessern oder digitale Technologien neu einsetzen. Bereits heute beschäftigen sich viele Firmen mit der Digitalisierung. Wenn Führungskräfte dies noch nicht getan haben, wird es höchste Zeit, denn sie wird die Schweizer Wirtschaft fundamental verändern. Das Erfreuliche an der Schweiz ist, dass die Politik sich dessen bewusst ist und eine sehr pragmatische Haltung ausübt, indem sie die Industrie unterstützt.