Ein Abend im Zeichen der Fields-Medaille
Die Natur ist eine Quelle der Inspiration für den Mathematiker. Mit dieser Botschaft führte Fields-Medaillengewinner Alessio Figalli am Montag durch seine Ehrenvorlesung. Mit seinen Doktorvätern, Luigi Ambrosio und Cédric Villani, feierte die ETH Zürich die ausserordentliche Leistung des Italieners und diskutierte die wachsende wissenschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der Mathematik.
Nur 70 Minuten dauerte es, dann war Alessio Figallis Ehrenvorlesung im Auditorium Maximum der ETH Zürich ausgebucht. Auch die Übertragung im zweiten Hörsaal sowie die Live-Übertragung im Web stiessen auf reges Interesse. Die Studierenden, Forschenden und Mitarbeitenden wollten den Fields-Medaillengewinner erleben und von ihm hören, was ihn in seiner Forschung antreibt.
Mit der Ehrenvorlesung feierte die ETH Zürich die ausserordentliche Leistung des Italieners und seinen Gewinn der Fields-Medaille, die in der Mathematik einen Stellenwert wie ein Nobelpreis in den Naturwissenschaften hat. Insgesamt befanden sich vier Träger der Fields-Medaille im Audi Max: Alessio Figalli, Artur Avila (Universität Zürich), Cédric Villani (Universität Lyon 1) und Wendelin Werner (ETH Zürich).
Das Erstaunliche an der Mathematik sei, sagte ETH-Präsident Lino Guzzella, der zu dem Ehrenanlass eingeladen hatte, dass sich ihre Erkenntnisse – und mögen sie noch so abstrakt sein – immer wieder für Mensch und Technik als äusserst nützlich und wirkungsvoll erwiesen.
Differentialgleichungen wie die Monge-Ampère-Gleichung, die eine wesentliche Rolle in Alessio Figallis Forschung spielt, beschreiben Bewegungen und Veränderungen. Sie seien ein mächtiges Werkzeug der Natur- und Ingenieurwissenschaften und eine unersetzliche Voraussetzung für viele technische Errungenschaften der modernen Gesellschaft. Seine Gratulation trug Guzzella, selber ein Sohn italienischer Einwanderer, auf Italienisch vor.
Diese vereinigende Kraft der Mathematik
Alessio Figalli betrat die Bühne und erfüllte die Erwartungen des Publikums. Für ihn ist es diese «vereinigende Kraft», die die Mathematik zu einer besonderen Disziplin macht. Mit derselben Art von Gleichungen, die zum Beispiel beschreibt, wie elastische Membranen ihre Form verändern, wenn sie auf ein Hindernis treffen, lässt sich auch beschreiben, wie Eis im Wasser schmilzt. Figalli stellte dies anschaulich anhand eines Tennisrackets und eines Kopfball spielenden Fussballers vor.
Ebenso lässt sich die Theorie des optimalen Transports schier unbegrenzt auf neue Themen anwenden – neben klassischen Anwendungen in der Stadtentwicklung oder Ressourcenverteilung auch auf Fragen der Ausdehnung des Universums in der die Astrophysik oder zur meteorologischen Analyse von Wolkenbewegungen in einer Grosswetterfront. Für seine originellen Beiträge zu dieser Theorie und deren Anwendung hat Figalli im August die Fields-Medaille gewonnen.
Auf den Schultern von Riesen
Auch wenn Durchbrüche in der Mathematik eine individuelle Höchstleistung erfordern, so ereignen sie sich doch selten in völliger Abgeschiedenheit: Alessio Figallis Doktorväter, der Italiener Luigi Ambrosio und der Franzose Cédric Villani, zählen ebenfalls zu den Spitzenkennern auf dem Feld des optimalen Transports, wie Mete Soner, der Vorsteher des ETH-Mathematikdepartements darlegte.
Cédric Villani gewann 2010 die Fields-Medaille für seine Beweise in der mathematischen Physik und schrieb zwei Referenzwerke über den optimalen Transport. In Frankreich ist Villani ein regelrechter Popstar, dessen Markenzeichen eine historisierende Kleidung ist. Mittlerweile engagiert er sich in der Wissenschaftspolitik: Er ist Mitglied der Partei «La République en Marche» und der französischen Nationalversammlung, Vize-Präsident der Kommission für Wissenschaft und Technologie und Verfasser eines Grundlagenberichts für die französische Strategie der Künstlichen Intelligenz.
Luigi Ambrosio, Träger des Fermat-Preises von 2003, wiederum hat mit seinen wegweisenden Beiträgen zur Variationsrechnung, geometrischer Masstheorie und der Theorie des optimalen Transports ganze Generationen von Mathematikern inspiriert. Nicht zuletzt dank ihm entwickelte die Scuola Normale Superiore di Pisa, an der Alessio Figalli studierte, einen eigenen Stil der Mathematik. Die «Seele» dieser italienischen Tradition ist der legendäre Mathematiker Ennio di Giorgi, dessen Arbeiten in der Analysis auch Alessio Figalli stark beeinflusst haben.
Verantwortung und jungfräuliche Unschuld
Moderiert von ETH-Mathematikprofessor Peter Bühlmann diskutierte das Trio angeregt darüber, was Alessio Figalli als Mathematiker auszeichnet. Beide Doktorväter erinnerten sich, wie er schon als junger Student und Doktorand durch seine stupenden Fragen auffiel sowie durch einen ausgeprägten Wissensdurst und ein unglaubliches Vermögen, komplexe mathematische Problem extrem schnell zu lösen – man gab ihm am Morgen eine Aufgabe und erhielt am Nachmittag eine Antwort.
Ausserdem besitze Alessio Figalli die Fähigkeit, mit unterschiedlichsten Forschenden zusammenzuarbeiten. Alessio Figalli lobte die Zusammenarbeit mit der Universität Zürich in der Mathematik als eine Stärke des Standorts: «Die ETH und die Universität Zürich handeln als wären sie eine einzige Hochschule.»
Die vier diskutierten auch die wachsende wissenschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der Mathematik und deren Konsequenzen für Unterricht und Ausbildung: Nicht nur Techniken vermitteln, sondern auch begriffliche Bedeutungen. Aus dem Publikum kam die Frage, ob die Mathematik wegen der Künstlichen Intelligenz nicht drauf und dran sei, ihre «jungfräuliche Unschuld» zu verlieren so wie die Physik in den 1940er-Jahren beim Bau der Atombombe. «Die Mathematik ist eine ewige Jungfrau», erwiderte Villani schlagfertig und räumte zugleich ein, dass die die jeweilige Anwendung von künstlicher Intelligenz in jedem Fall genau anzuschauen sei.
Impressionen der Ehrenvorlesung
ETH-Präsident Lino Guzzella im Gespräch mit Alessio Figalli und dessen Doktorvater, Luigi Ambrosio. (Bild: PPR / Christian Merz) Cédric Villani war Alessio Figallis Doktorvater in Lyon. In Zürich zeigte er unter anderem auf, welche Bedeutung Mathematik für die künstliche Intelligenz hat. (Bild: PPR / Christian Merz)
Luigi Ambrosio bemerkte schon früh Alessio Figallis Talent. In Zürich plädierte er dafür, Mathematik nicht zu sehr von den Anwendungen her zu beurteilen. (Bild: PPR / Christian Merz) Der Vorsteher des ETH-Departements für Mathematik, Mete Soner, stellte Alessio Figallis Doktorväter dem Publikum vor. (Bild: PPR / Christian Merz)
Mikaela Iacobelli, die Ehefrau von Alessio Figalli, ist ebenfalls eine Professorin für Mathematik an der ETH Zürich. (Bild: PPR / Christian Merz)
Das Auditorium Maximum war dicht gefüllt, und sowohl Studierende als auch Forschende und Mitarbeitende folgten der Vorlesung gespannt. (Bild: PPR / Christian Merz)
Nach der Ehrenvorlesung nutzten zahlreiche Studierende und Forschende die Chance, sich einmal selber mit dem Träger der Fields-Medaille zu unterhalten. (Bild: PPR / Christian Merz)
Ein Dessert der besonders feinen Art für Alessio Figalli: Schokoladekuchen mit Fields-Medaille. (Bild: PPR / Christian Merz).