Studium für die Wirklichkeit

Ob beim Bau eines Exoskeletts für Paraplegiker oder eines autonomen Bauroboters – bei den Fokus-Projekten lernen Maschinenbaustudierende, eine komplexe technische Aufgabe zu bewältigen. Neben viel neuem Wissen erwerben sie dabei Soft Skills und üben sich in Teamarbeit und Arbeitsorganisation.

Team Varileg enhanced
Damit Paraplegiker wieder laufen können: Das Team Varileg enhanced baut ein motorisiertes Exoskelett. (Bild: ETH Zürich / Team Varileg enhanced)

«Schon bei der Projektvorstellung stand für mich fest: dies ist mein Projekt», sagt Shuaixin Qi. Seit September 2018 baut der Maschinenbaustudent im sechsten Semester mit 14 weiteren Studierenden ein motorisiertes Exoskelett, das querschnittgelähmten Personen ermöglicht zu gehen. Qi begeistert vor allem, dass er anderen Menschen mit seinem fachlichen Können helfen kann.

Das Projekt mit Namen externe Seite Varileg enhanced zählt zu den Fokus-Projekten. Angeboten werden diese vom Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik (D-MAVT) für Studierende im fünften und sechsten Semester des Bachelorstudiums. Wer mitmachen möchte, muss sich um die Teilnahme bewerben. Teilnehmen können auch Studierende vom Departement Elektrotechnik (D-ITET) sowie einiger weiterer Hochschulen. Varileg enhanced ist ein Gemeinschaftsprojekt von ETH Zürich und der HSR Rapperswil.

Der Arbeitsaufwand für die Fokus-Projekte ist hoch. Innerhalb weniger Monate müssen die Studierenden eine komplexe technische Aufgabe erarbeiten und begleitet von Coaches und Professoren eine Lösung entwickeln. Doch lohnen sich aus Sicht der Teilnehmenden die Anstrengungen. «Man kann so im geschützten Umfeld der Hochschule praktische Erfahrungen für später sammeln», beschreibt Qi die Hauptmotivation.

Für andere etwas beitragen

Für Qis Kollege Michael Heid stand daher schon zu Beginn seines Maschinenbaustudiums fest, dass er unbedingt bei einem Fokus-Projekt mitmachen wollte. Wie Qi gefiel ihm Varileg enhanced von allen sieben zur Auswahl stehenden Projekten aufgrund des sozialen Aspekts am besten. «Es geht nicht einfach darum, einen neuen Roboter oder einen noch effizienteren Motor zu bauen, sondern wir können mit unserem Projekt direkt dazu beitragen, dass es Menschen besser geht», begründet er seine Entscheidung. Das Thema interessiert ihn nicht nur fachlich, sondern geht ihm auch persönlich nahe. Musste er doch erleben, wie mehrere Freunde nach Unfällen plötzlich auf einen Rollstuhl angewiesen waren.

Mit diesem Projekt entsteht mittlerweile die dritte Generation von Varileg. Die erste wurde 2014 ebenfalls von einem Fokus-Team entwickelt. 2016 trat dann ein weiteres Studierendenteam mit Varileg 2 beim Cybathlon der ETH Zürich an. «Unser Ziel ist es, das Exoskelett noch besser zu machen, um dann nächstes Jahr, wenn wieder ein Cybathlon stattfinden wird, dabei zu sein», erklärt Qi.

Leichter dank Carbon

Als Neuerung setzen sie für einen Grossteil der Bauteile erstmals auf Carbon. Dadurch soll das Exoskelett leichter werden. Zudem wird jedes Knie- und Hüftgelenk einzeln gesteuert. «Wir bauen die Programmierung komplett neu auf», erläutert Qi. Während die Vorgängermodelle auf eine selbst entwickelte Software setzten, hat das Team jetzt eine Open-Source-Lösung gewählt. Diese würde kontinuierlich von Experten weiterentwickelt und habe so den Vorteil, dass sie immer auf dem neusten Stand sei.

Team Chiron
Dieser Roboter packt selbständig auf Baustellen mit an: Das Team Chiron entwickelt einen autonomen Bauroboter. (Bild: ETH Zürich / Team Chiron)

Bauroboter für ein Mondhabitat

Genau dieselben Erfahrungen hat auch das Team vom Fokus-Projekt Chiron gemacht, das einen autonomen Bauroboter entwickelt. Der Roboter verfügt über einen zwei Meter langen Arm mit einem komplexen Werkzeugwechselsystem, so dass er vom Greifer bis zur Kettensäge viele verschiedene Geräte bedienen kann. Ziel ist es, dass der Bauroboter in Zukunft in unwirtlichen Umgebungen wie zum Beispiel auf dem Mond zum Einsatz kommen könnte.

Zum Team gehören acht Maschinenbaustudierende, zwei Studierende der Elektrotechnik sowie drei von der Zürcher Hochschule der Angewandten Wissenschaften (ZHAW). Hydraulik, Materialien, Batterie, Programmierung – alles wurde vom Team selbst ausgewählt und erstellt. Um sich zu organisieren, haben sich die Studierenden genauso wie beim Projekt Varileg in Untergruppen aufgeteilt, die sich mithilfe einer Team-Chatplattform – Slack – austauschen. Am meisten Respekt hatte das Team von Chiron vor der Sponsorensuche. «Um uns darauf vorzubereiten, haben wir mit Mitgliedern früherer Fokus-Projekte gesprochen», sagt Maschinenbaustudent Flavio Regennass.

Höhepunkt für die Studierenden von Chiron wird die Teilnahme bei externe Seite Igluna im Juni sein. An diesem Event der ESA-Lab-Initiative kommen Studierende aus ganz Europa zusammen und stellen ihre Entwicklungen für ein Mondhabitat aus. «Bevor der Roboter auf dem Mond eingesetzt werden kann, müsste man ihn allerdings noch ein gutes Stück weiterentwickeln», gibt Teammitglied Peter Zhang zu.

Dem Erfolg des Projekts tut das jedoch keinen Abbruch. So oder so haben die Studierenden fachlich und persönlich viel gelernt. Oder wie es Flavio Regenass beschreibt: «Wir haben erfahren, dass wir ziemlich viel im Team erreichen können». Am 28. Mai werden die Teams von Chiron und Varileg enhanced ihre Projekte gemeinsam mit den anderen fünf Fokus-Projekten beim Fokus-Roll-out der Öffentlichkeit vorstellen.

Die weiteren Fokus-Projekte 2018/19

Adero
Autonomer Lieferroboter, der innerhalb von Gebäuden Waren selbständig ausliefern kann

Cardex
Simulator, den Ärzte zum Üben von minimalinvasiven Eingriffen am Herzen nutzen können

Dipper
Tragflächenflugzeug, das auch tauchen und unter Wasser manövrieren kann

externe Seite Formula Student Electric
Bau des kompakten und besonders leichten E-Rennwagens «Mythen»

externe Seite Ftero
Mobiles Windenergiesystem bestehend aus einem Carbon-Flugzeug, das per Seil mit einem Generator verbunden ist

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Video: ETH Zürich

Fokus-Roll-out 2019

Die Studierenden stellen ihre Projekte am 28. Mai 2019 von 12.00 bis 17.30 Uhr in den Gebäuden CLA (Glashalle) und LEE (Erdgeschoss) im ETH Zentrum aus. Zwischen 14.00 und 16.00 Uhr präsentieren sie ihre Projekte in Präsentationen im Hauptgebäude im Audi Max (HG F30).

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