Simulation von Schaumbildung geknackt
Ob auf dem Cappuccino oder in Wasserfällen, Schaum ist allgegenwärtig. Schäume realitätsnah mit einem Supercomputer zu simulieren, war bis anhin nahezu unmöglich. Ein von der Forschungsgruppe von ETH- und Harvard-Professor Petros Koumoutsakos weiterentwickeltes Verfahren kann die Hürden nun überwinden.
Kaum jemand macht sich beim Genuss eines Cappuccinos Gedanken darüber, wie sich die entstandenen Bläschen der geschäumten Milch mit einem Supercomputer simulieren lassen. Ebenso wenig dürfte Kaffeeliebhabern bewusst sein, dass es sich dabei um ein komplexes Problem handelt, das Wissenschaftler und Ingenieure seit Jahren beschäftigt. Bis anhin ist es nur möglich, eine begrenzte Anzahl von einigen Dutzend fliessenden Tropfen und Blasen zu simulieren, denn realitätsnahe Simulationen wären zu rechen- und kostenintensiv. Realitätsnahe Simulationen könnten jedoch die Herstellung von Emulsionen und Schäumen mit gewünschten Eigenschaften erheblich erleichtern – beispielsweise in der Lebensmittel- oder Kosmetikproduktion.
Nun hat sich Petros Koumoutsakos, Professor für rechnergestützte Wissenschaften an der ETH Zürich und der externe Seite Harvard University, zusammen mit seinem Doktoranden Petr Karnakov und seinem Postdoktoranden Sergey Litvinov der Herausforderung angenommen, fliessende Schäume und Tropfen realitätsnah zu simulieren. Basierend auf einer bestehenden Methode haben die Forscher ein effizientes Verfahren entwickelt, das Schäume – von winzigen mikrofluiden Vorrichtungen bis hin zu tosenden Wasserfällen – inklusive der physikalischen Prozesse ihrer untereinander interagierenden Blasen simulieren kann. Die Methode wurde soeben in der Fachzeitschrift «Science Advances» vorgestellt.
Schäume sind allgegenwärtig
Schäume bestehen aus unzähligen Bläschen, die durch einen feinen Flüssigkeitsfilm voneinander abgegrenzt sind. Sie kommen bereits in geringsten Flüssigkeitsmengen vor, sogenannten Mikrofluiden, oder als Strukturelement in der Natur. Beispielsweise betten Insekten wie Schaumzikaden ihre Eier zum Schutz in eine Schaumhülle an Pflanzenstängel und Blätter. Künstlich erzeugte Schäume nutzt die Medizin, um pharmazeutische Wirkstoffe auf die Haut oder auf Schleimhäute aufzutragen. Die Industrie schäumt Kunststoffe auf, um daraus etwa Putzschwämme oder Dämmmaterialien herzustellen.
Die klassische Methode, um solche Prozesse zu simulieren, ist die sogenannte Volume-of-Fluid (VOF)-Methode, bei der die einzelnen Schaumblasen anhand eines Gitters berechnet werden. Dazu braucht es ein spezielles Verfahren, um zu verhindern, dass zwei Bläschen, die sich in derselben Gitterzelle befinden, fälschlicherweise als verbunden betrachtet werden. Hierfür nutzen Forscher zur Berechnung der einzelnen Blasen sogenannte individuelle Volumenfraktionsfelder. Allerdings sei der damit verbundenen Rechenaufwand proportional zur Anzahl der Blasen in der Simulation – und darum bereits für kleine Systeme aus einigen hundert Blasen derart hoch, dass sie selbst mit heutigen Supercomputerarchitekturen nicht zu lösen seien, schreiben die Forscher um Koumoutsakos.
Ihre Methode fasst neu mehrere dieser Volumenfraktionsfelder zusammen, wodurch die Anzahl der zu berechnenden Felder konstant bleibt – unabhängig von der Anzahl der Blasen. Das heisst, die Kosten der Simulation hängen nicht mehr von der Anzahl der zu simulierenden Blasen ab.
Simulation mit Tausenden von Blasen möglich
Die neue Methode – genannt Multi-VOF – berücksichtigt nicht einzelne, sondern mehrere Schichten aus Volumenfraktionsfeldern und kennzeichnet die Blasen mit Farben, um sie zu unterscheiden. Dadurch reduzieren die Forscher die Komplexität der Berechnungen. «Wenn ich vier Teilblasen in einer Zelle habe, muss sich der Rest der Blasen in den benachbarten Zellen befinden», sagt Petr Karnakov, Erstautor der Studie. «Wir haben einen Algorithmus entwickelt, der in andere Zellen gehen und die verbleibenden Teile der Blasen finden kann, indem er Grün mit Grün, Blau mit Blau usw. vergleicht. Anstatt Millionen von Farben für die einzelnen Blasen braucht man also nur noch vier.» Dadurch überwindet die von den Wissenschaftlern neuentwickelte mehrschichtige VOF-Methode die bisherigen Hindernisse. «Der neue intelligente Algorithmus ermöglicht es erstmals, für die Industrie wichtige Simulationen mit Tausenden von Blasen durchzuführen», sagt Koumoutsakos.
Den Forschern gelang es mit diesem Verfahren auf «Piz Daint», dem Supercomputer des Nationalen Hochleistungsrechenzentrum der Schweiz (CSCS), mit 20'000 Blasen eine nie zuvor erreichte Anzahl miteinander interagierender Blasen, die nicht miteinander verschmelzen, realitätsnah zu simulieren. Sie führten Simulationen der Schaumbildung in verschiedenen Anordnungen durch und validierten diese anhand bereits verfügbarer experimenteller Daten: Bläschenbildung in externe Seite Mikrofluiden Vorrichtungen, Blasen, die sich in einem Wasserbecken zu einem externe Seite Cluster anordnen sowie die Blasenbildung in einem externe Seite Miniatur-Wasserfall (siehe Videos).
Laut den Forschern sei der neue Algorithmus einfach in bestehende Software zu implementieren und seine Effizienz ermögliche umfangreiche Studien zur Kontrolle und Optimierung von blasenhaltigen Strömungen. Zudem sei das neue Verfahren kompatibel mit bestehenden Methoden und erfasse ohne zusätzlichen Aufwand komplexe Vorgänge, wie etwa das Aufbrechen oder Verschmelzen von Blasen. Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass sich mit der Multi-VOF Methode in Zukunft eine grosse Vielfalt von Strömungen realitätsnah simulieren lässt.
Dieser Artikel von Simone Ulmer erschien zuerst auf der Webseite des externe Seite CSCS.
Literaturhinweis
Karnakov P, Litvinov S, Koumoutsakos P: Computing foaming flows across scales: From breaking waves to microfluidics, Science Advances 2022, online publiziert 2. Februar 2022, doi: externe Seite 10.1126/sciadv.abm0590