Schweiz will Kreislaufwirtschaft – Produkte teilen aber lieber nicht

ETH-Politikwissenschaftler:innen zeigen: Schweizerinnen und Schweizer finden Kreislaufwirtschaft sinnvoll und befürworten Massnahmen, um eine solche zu fördern. Ihre persönliche Bereitschaft, dazu beizutragen, ist jedoch gering.

Detailaufnahme von Kleiderständern aus einem Second-Hand-Shop.
Dank Secondhandläden werden Kleider in bescheidenem Mass gebraucht gekauft – die meisten anderen Konsumgüter kaufen Konsument:innen lieber neu. (Bild: Keystone / Christian Beutler)

Wiederverwenden, teilen, sammeln und recyclieren – in Zeiten stockender Lieferketten steht Kreislaufwirtschaft hoch im Kurs. Wenn Produkte und Materialien in geschlossenen Stoffflüssen zirkulieren, lassen sich Ressourcen schonen und Abfälle vermeiden. Ob das gelingt, hängt auch stark von den Einstellungen und dem Verhalten der Konsument:innen ab, indem sie Produkte so lange wie möglich nutzen, reparieren, gebraucht erwerben oder teilen.

Wie es die Schweizer Bevölkerung mit dem zirkulären Wirtschaften hält, haben nun Politikwissenschaftler:innen der ETH Zürich zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) untersucht (siehe Kasten). Ihre repräsentative Umfrage mit über 6000 Personen zeigt: Schweizer:innen halten viel von Kreislaufwirtschaft und erkennen deren Vorteile, setzen sie im Alltag aber nur wenig um. «Es gibt eine deutliche Kluft zwischen grundsätzlicher Befürwortung und praktischem Verhalten», sagt ETH-Professor Thomas Bernauer, der die Studie geleitet hat.

Mehrheit ist für Fördermassnahmen

Laut der Studie denkt eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung, dass sich kreislaufwirtschaftliche Massnahmen vorteilhaft auf die Schweizer Wirtschaft auswirken würden. Die Befragten gehen davon aus, dass die Produktion von langlebigeren Produkten aus vermehrt rezyklierten Materialien die Schweiz wettbewerbsfähiger und weniger abhängig von Energie- und Rohstoffimporten mache, ohne dabei den Arbeitsmarkt zu beeinträchtigen.

Entsprechend stimmen viele Befragte politischen Massnahmen zur Förderung von Kreislaufwirtschaft stark zu, etwa einer Reparierpflicht für Händler, einem Reparierbarkeitslabel, einer obligatorischen Deklaration von Flugtransport und Lebensdauer, oder einem Pflichtanteil an Recyclingmaterial in Verpackungen.

Lieber neu kaufen statt Teilen

Die Mehrheit der Befragten glaubt, dass sie sich umweltfreundlich verhält. Für die vier Produkte Smartphone, Staubsauger, Waschmaschine und Kleidung, die in der Studie detailliert betrachtet wurden, geben zwei Drittel an, in den letzten zwölf Monaten gebrauchte Produkte, darunter vor allem Kleidung und Smartphones, verkauft oder verschenkt zu haben.

Im Gegensatz dazu sind jedoch deutlich weniger Befragte bereit, gebrauchte Produkte selbst zu kaufen. Dank Brockis und Secondhandläden werden zwar Kleider in bescheidenem Mass gebraucht gekauft, Staubsauger, Smartphone und Waschmaschine jedoch selten. «Es gibt also eine viel grössere Neigung, gebrauchte Produkte zu verkaufen oder zu verschenken als solche selbst zu erwerben», sagt Franziska Quoss, Projektkoordinatorin in Bernauers Gruppe. Angebot und Nachfrage stehen damit in einem ungünstigen Verhältnis.

Porträtfoto von Thomas Bernauer
«Mit der vielbeschworenen Sharing-Economy ist es also noch nicht weit her.»
Porträtfoto von Thomas Bernauer
Thomas Bernauer

Die Gründe dafür sind laut den Befragten, dass es sich für sie finanziell nicht lohne, etwa Smartphones oder Kleider gebraucht zu kaufen oder reparieren zu lassen. Zudem befürchten sie bei gebrauchten Waren eine verminderte Qualität. Viele geben jedoch schlicht an, dass sie selbst lieber neue Produkte kaufen und besitzen wollen.

Wenig Sinn für Sharing

Insgesamt weist die Schweizer Bevölkerung ein schwach ausgeprägtes Kreislaufverhalten auf. Ob Kleider, Handy, Bohrmaschine oder Staubsauger – Schweizer Konsument:innen sind nur sehr begrenzt bereit, Konsumgüter mit anderen Personen zu teilen, zu mieten, reparieren zu lassen oder gebraucht zu kaufen. «Mit der vielbeschworenen Sharing-Economy ist es also noch nicht weit her», bilanziert Bernauer.

Interessanterweise ist dieser Befund ziemlich unabhängig davon, wie teuer bestimmte Güter sind – Mieten und Teilen spielen auch bei Auto und Waschmaschine eine geringe Rolle. Weil diese teureren Produkte eher repariert und recycliert werden, ist bei ihnen die Diskrepanz zwischen grundsätzlicher Befürwortung und praktischer Umsetzung von Kreislaufmassnahmen etwas geringer.

Zudem zeigen Forschenden mittels Entscheidungsexperimenten: Beim Kauf eines Produkts gewichten Konsument:innen Preis und Lebensdauer viel stärker als kreislaufwirtschaftliche Merkmale wie Reparierbarkeit oder Rezyklierbarkeit. Die Zahlungsbereitschaft für kreislauffähige Güter ist also ziemlich beschränkt.

Handlungsspielraum für die Politik

Trotz ernüchterndem Gesamtbild liefert die Studie mehrere Handlungsoptionen für die Politik. So hätten staatliche Vorschriften wie eine Reparierpflicht für Händler, eine Deklarationspflicht der Lebensdauer oder ein Verbot unverkaufter Produkte gute Chancen, politisch mehrheitsfähig zu sein.

«Ein Reparierbarkeitslabel, das angibt, wie leicht sich ein Produkt reparieren lässt, wäre allerdings gerade bei günstigen Gütern nur beschränkt nützlich, wenn reparierbar per se nicht kaufentscheidend ist und gekaufte Produkte nur selten repariert werden», gibt Bernauer zu bedenken.

Sinnvoller wäre es vermutlich, die Nachfrage nach gebrauchten Gütern gezielt zu stärken, etwa durch finanzielle Anreize und Informationskampagnen, um die Vorteile für das eigene Portemonnaie und die Umwelt zu verdeutlichen, ergänzt Quoss.

So könnte die Ökonomie des Teilens helfen, Ressourcen zu schonen und Kosten zu sparen. Ihr volles Potenzial lässt sich aber erst erschliessen, wenn Sharing dereinst schick und gebraucht kaufen cool sein werden.

Schweizer Umweltpanel

Seit 2018 befragen Forschende der ETH Zürich zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt zwei Mal pro Jahr mehrere Tausend zufällig ausgewählte Personen in der Schweiz zu ihren Einstellungen zu umweltpolitischen Themen, Massnahmen und Trends und zu ihrem Verhalten. Die Panelbefragung dient als Informationsbasis für Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Öffentlichkeit.

Mehr zum Umweltpanel und zum Bericht «Kreislaufwirtschaft»

Literaturhinweis

Quoss F, Gomm S; Wäger P, Wehrli S, Amberg S, Linder J, Maissen P, Pahls H, Seidlmann E, Bernauer T (2023); Schweizer Umweltpanel: Welle 8 Kreislaufwirtschaft, ETH Zürich. DOI: externe Seite10.3929/ethz-b-000590736

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