Alle schauen gespannt auf die Monitore an der Wand.
10 – 9 – 8 – …
Anderthalbjahre wurde der Start immer wieder verschoben. Erst sollte der Launch am 14. November stattfinden, dann am 21., nun also am 22. Und jetzt sind wir tatsächlich hier, im Kontrollzentrum des European Space Operations Centre ESOC der Europäischen Weltraumagentur ESA in Darmstadt. Und wir nähern uns dem Countdown. Nach letzter Stärkung und Nervennahrung warte ich mit ungefähr 200 Leuten im Konferenzraum auf den Start, vom Generaldirektor der ESA, den im Projekt involvierten Wissenschaftlern bis zu den Technikern und Ingenieuren – alle haben jahrelang diesen Moment herbeigesehnt. Die drei Satelliten der SWARM-Mission sollen heute starten. Vom nordrussischen Weltraumbahnhof in Plessezk aus geht die Reise ins All, auf Forschungsreise durch das Erdmagnetfeld. Die drei high-tech Passagiere mit den originellen Namen Alpha, Bravo und Charlie werden von einer extra dafür zu einer dreistufigen Rockot-Rakete um- und ausgebauten SS-19-Interkontinentalrakete ins All gebracht. - Das ist doch mal eine schöne zivile Nutzung dieser ehemaligen Atomrakete! - Im All sollen A, B und C für mindestens vier Jahre das Magnetfeld der Erde in bisher nie erreichter Präzision vermessen.
7 – 6 – 5 – …
Es geht los! Begrüsst werden wir von Thomas Reiter. Heute ist Thomas Reiter Direktor für Bemannte Raumfahrt und Missionsbetrieb bei der ESOC in Darmstadt, aber wir kennt ihn von seinen Aufenthalten im All - inklusive «Mir» und ISS. Das ist ja schon einmal faszinierend, einen echten Raumfahrer aus nächster Nähe zu erleben. Ihm und allen nachfolgenden Vortragenden stehen Freude, Aufregung und Anspannung ins Gesicht geschrieben. Uns übrigens auch. Uns, das sind Wissenschaftler der ETH Zürich und ihre Kollegen aus allen möglichen europäischen und Übersee-Ländern, die gemeinsam das Projekt vor elf Jahren bei der ESA eingegeben haben. Und ich selbst - seit neuestem SWARM-Groupie. Da focusTerra derzeit eine Satellitenausstellung zeigt, in der auch die drei SWARM- Satelliten und ihre Mission samt 1:5 Modell vorgestellt werden, und ich täglich durch E-Mails von der ESA auf den Start eingepeitscht worden war: «Heute haben sich die Techniker von den Satelliten verabschiedet; jetzt sind die Satelliten wie Sardinen in ihrer Rakete eingepackt; nun wurden sie zur Startrampe gefahren etc.», hat mich das SWARM Fieber gepackt. Und jetzt stehen alle Lämpchen auf Grün.
4 – 3 – 2 – …
Fast 13 Uhr. Der Lift-off ist für 13:02 Uhr unserer Zeit geplant. Wir schalten schon mal zum Weltraumbahnhof nach Plessezk. Und wir sehen - nichts. Oder fast nichts. Die übelste Nebelbrühe liegt über dem Kosmodrom. Undeutlich erkennt man in der Suppe etwas, das wir ein Startturm aussieht. Zwei Lichter leuchten … mhh… . Zur Sicherheit suche ich an meiner neuen Kamera schon einmal den Filmknopf. Und während ich noch suche und an den Knöpfen drehe, hört man plötzlich ein gewaltiges Dröhnen. Schnell schaue ich zum Bildschirm und sehe – wieder nichts. Ausser grauer Suppe natürlich. Das war‘s. Wie das war‘s? Das war…
… – 1 – Lift-off?
Wo war der Countdown? Wieso sagt denn niemand etwas? Schnell mache ich noch ein Foto vom tristen Bildschirmnebel in Russland. Die «Rockot» ist schon auf dem Weg, um vom Grau des Nebels im Schwarz des Weltalls zu verschwinden. Der Bildschirm zeigt nun die Animationen vom Flug, der Auslösung der ersten Phase, der zweiten. Bald erwarten wir erste Signale – noch liegt Anspannung über dem Raum. Da melden sich nach gut 90 Minuten und der ersten Erdumrundung Alpha und Bravo via Satellitenstation in Kiruna und ein paar Minuten später auch Charlie via der Station in Svalbard! Aufatmen, Klatschen, Freudestrahlen! In den nächsten Tagen werden sie sich noch ausfalten, positionieren und orientieren, aber wir hier unten können schon mal feiern. Mit Champagner und Lachstückchen in Satellitenform. Schön. Und am Schluss wird noch einmal der Start gezeigt und ich sehe endlich zwei Sekunden Zündung samt orangefarbener Feuerbälle und Lift-off! Und jetzt darf ich sogar noch in den richtigen Kontrollraum. «Darmstadt – we have no problem!»