«Dem grössten Risiko setzt man sich in schlecht gelüfteten Räumen aus»

Aktuell steigen die Corona-Fallzahlen in der Schweiz. Massnahmen der Behörden blieben bisher aus. Leonhard Sigel, Arbeitsmediziner der ETH Zürich, schätzt die Situation ein und gibt ETH-Angehörigen Ratschläge, wie sie sich in dieser Situation am besten verhalten.

Leonhard Sigel
Leonhard Sigel, Leiter der Sektion Arbeitsmedizin und Gesundheitsschutz. (Bild: ETH Zürich / Gian Marco Castelberg)

Herr Sigel, die Coronawelle ist da, und niemand scheint es wirklich zu kümmern. Teilen Sie diesen Eindruck?
Dieser Eindruck kann in der Öffentlichkeit tatsächlich entstehen, weil man nur noch wenigen Leuten begegnet, die Masken tragen. Das Leben scheint seinen normalen Lauf zu nehmen. Nach zweieinhalb Jahren Pandemie ist das Bedürfnis nach Normalität enorm gross, und mit Blick auf die mentale Gesundheit ist das auch wichtig. Doch wie Sie sagen: Die Zahl der gemeldeten Ansteckungen nimmt wieder zu. Dass die Kantone zurzeit keine Massnahmen ergreifen, hat mit verschiedenen Eigenheiten der aktuellen Coronawelle zu tun. Das bedeutet aber nicht, dass sich niemand kümmert. Es werden verschiedene Daten erhoben, damit man – falls notwendig – rasch reagieren kann: Über das Abwassermonitoring lässt sich das Ausmass der Welle abschätzen, die Genomsequenzierung führt zu qualitativen Informationen bezüglich der Varianten, und auch die Spitalkapazitäten werden laufend überwacht. Im Übrigen hat die Ärztegesellschaft bereits dazu aufgerufen, im klinischen Bereich wieder vermehrt Masken zu tragen.

Sie sprechen von Eigenheiten dieser Welle. Was meinen Sie damit?
Wir wissen seit Neuestem, dass die aktuellen Untervarianten von Omikron, welche diese Sommerwelle antreiben, ansteckender als frühere Varianten sind. Bisher gibt es jedoch keine Anzeichen für schwerere Krankheitsverläufe. Die Zahl der hospitalisierten Patienten mit Covid-19 ist angestiegen, nicht aber die Belegung auf den Intensivstationen. Trotz der steigenden Fallzahlen ist eine Überlastung des Gesundheitssystems wenig wahrscheinlich. Dennoch ist in den kommenden Monaten eine erhöhte Wachsamkeit nötig, damit man bei Bedarf rechtzeitig Massnahmen ergreifen kann. Die Bevölkerung der Schweiz verfügt aufgrund von Impfungen und durchgemachten Infektionen über eine hohe Immunität gegenüber SARS-CoV-2. Da unser Immunsystem verschiedene Abwehrmechanismen nutzt, bleibt der Schutz vor einer schweren Erkrankung bestehen, auch wenn der Schutz vor einer Ansteckung abnehmen kann.

Doch eine Ansteckung kann immer noch Long Covid zur Folge haben…
Nach heutigem Wissen kann es bei fünf bis zehn Prozent der Erkrankten zu einer Post-Covid-19-Erkrankung kommen. In den meisten Fällen klingen die Symptome innert Monaten wieder ab. In Einzelfällen kann sich das zu einer langwierigen Geschichte entwickeln. Um diesen Personen zu helfen, sind wir in der Medizin und der Gesellschaft gefordert.

Wie gross ist zurzeit die Gefahr, sich in der Schweiz beziehungsweise in Zürich anzustecken?
Das ist sehr schwer zu sagen, weil sich viele infizierte Personen nicht offiziell testen lassen. Der grosse Anteil positiv ausfallender Tests deutet auf eine hohe Dunkelziffer hin. Doch es steht fest, dass wir zurzeit eine hohe Wocheninzidenz haben. Dem grössten Risiko setzt man sich in schlecht gelüfteten Räumen aus. Dazu zählen namentlich Restaurants und Bars, in denen zudem viel gesprochen wird, und je nach Auslastung sicher auch der Öffentliche Verkehr.

Wie sollen wir uns verhalten?
In schlecht gelüfteten Innenräumen und generell bei grossen Menschenansammlungen empfiehlt es sich, eine Maske zu tragen. An der ETH beschäftigt uns diesbezüglich die Situation in den Hörsälen. Verschiedene Experimente und Simulationen zeigten, dass die Hörsäle gut gelüftet sind. Dies bedeutet aber nicht, dass wir auf Masken verzichten können. Wenn Hörsäle voll sind, empfehlen wir weiterhin, eine Maske zu tragen, auch wenn wir uns bewusst sind, dass eine gewisse Maskenmüdigkeit herrscht. Momentan ist ja vorlesungsfreie Zeit, von daher ist diese Empfehlung für Hörsäle noch nicht so relevant, allenfalls für grössere Konferenzen…

Doch am 8. August startet die Prüfungssession. Wie sollen sich Studierende da verhalten?
In den meisten Sessionsprüfungen gibt es ausreichend Abstand, und es wird nicht gesprochen. Wer sein persönliches Ansteckungsrisiko reduzieren möchte, kann eine Maske tragen. Doch die wichtigste Botschaft lautet: Wer krank ist, bleibt zuhause, mit Symptomen kommt man nicht an die ETH. Das Rektorat wird im Bedarfsfall vor Beginn der Prüfungssession der Situation angepasste Empfehlungen beziehungsweise Vorgaben kommunizieren.

Wie kann man das Risiko kleinhalten, auf den Prüfungstermin hin zu erkranken?
Wer das Risiko minimieren möchte, meidet zwei Wochen vor der Prüfung Menschenansammlungen in Innenräumen. Allerdings bin ich mir bewusst, dass das für junge Leute eine grosse Einschränkung sein kann.

Angesichts der hohen Infektionszahlen lässt sich auch bei vorsichtigem Verhalten eine Ansteckung nicht ausschliessen. Welche Regeln gelten dann für ETH-Mitarbeitende?
Wer erkrankt, bleibt mindestens fünf Tage zuhause und kehrt erst nach zwei beschwerdefreien Tagen an die ETH zurück. Wer nachweislich positiv auf Corona getestet wurde, muss kein Arztzeugnis einreichen, sofern die Abwesenheit nicht länger als fünf Tage dauert und sofern die vorgesetzte Person nicht vorher ein Arztzeugnis einfordert. Mit dieser Regel will die ETH Arztpraxen entlasten. Entsprechend empfehlen wir allen ETH-Angehörigen weiterhin eindringlich, sich bei Symptomen testen zu lassen. Solche Tests sind weiterhin gratis.

Immer aktuell informiert

Möchten Sie stets die wichtigsten internen Informationen und News der ETH Zürich erhalten? Dann abonnieren Sie den Newsletter «Intern aktuell» und besuchen Sie regelmässig Staffnet, das Info-​​Portal für ETH-​​Mitarbeitende.

Ähnliche Themen

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert