Illustration Barrierefreiheit

«Hindernisfreiheit ist eine Daueraufgabe»

Wie barrierefrei ist die ETH Zürich? Anlässlich der «Aktionstage Behindertenrechte», die von Mitte Mai bis Mitte Juni in der ganzen Schweiz stattfinden, zieht Ulrich Weidmann, Vizepräsident für Infrastruktur, eine Zwischenbilanz zum Programm «Hindernisfreiheit an der ETH Zürich». Und zeigt auf, wo noch Nachholbedarf besteht.

Porträtfoto von Ulrich Weidmann
Ulrich Weidmann, Vizepräsident für Infrastruktur (Bild: ETH Zürich)

Herr Weidmann, seit Anfang 2021 gibt es das Programm «Hindernisfreiheit an der ETH Zürich». Wie kam es dazu?
Mit dem Thema Hindernisfreiheit bin ich zum ersten Mal in den 1990er-Jahren in Berührung gekommen – bei meiner Dissertation zum Thema Berechnung der Fahrgastwechselzeit im öffentlichen Verkehr. Da wurde mir das Thema «Design for all» bewusst. Also die Idee, dass Massnahmen für Menschen mit Behinderung eine Verbesserung für alle Menschen bringen können. Dieses Thema hat mich seitdem immer interessiert. Irgendwann war dann der richtige Zeitpunkt gekommen, diesen Punkt auch bei uns anzugehen – im Wissen darum, dass die ETH damals an vielen Stellen noch nicht barrierefrei war.

Warum ist nicht schon früher etwas passiert? Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen wurde in der Schweiz vor zehn Jahren ratifiziert, das Behindertengleichstellungsgesetz ist sogar schon seit zwanzig Jahren in Kraft…
Die ETH ist hier ein Spiegel der Gesellschaft. Hindernisfreiheit war in der Schweiz lange kein grosses Thema – zum Beispiel auch nicht im öffentlichen Verkehr. An der ETH waren wir nicht weiter oder weniger weit als in anderen Bereichen. Aber als wir das Programm dann lancierten, gab es viele positive Rückmeldungen.

Hindernisfreiheit: Darum geht’s

Die Kampagne «Design for all» soll Aufmerksamkeit für ein inklusives Lehr-​​ und Forschungsumfeld generieren, in dem möglichst keine Barrieren, Hindernisse oder Grenzen bestehen. Denn Barrierefreiheit betrifft uns alle: Jede Person ist tagtäglich mit mehr oder weniger grossen Hürden konfrontiert. Durch einen Unfall, eine Krankheit oder das Älterwerden können solche Hürden, wie beispielsweise Treppenstufen, zu kleine Schriftgrössen oder eine schlechte Raumakustik, zu unüberwindbaren Hindernissen werden, durch die Personen mit Einschränkungen oder mit Behinderungen ausgegrenzt werden.

Diese Hindernisse möglichst gering zu halten oder idealerweise komplett zu beseitigen, ist das Ziel der ETH Zürich. Die Hochschule soll so gestaltet werden, dass alle Personen weitgehend uneingeschränkten Zugang zu den Gebäuden und Dienstleistungen erhalten.

Warum ist es überhaupt wichtig, dass alle Menschen – ob mit oder ohne Behinderung – Zugang zur ETH haben?
Anders gefragt: Warum sollen sie keinen Zugang haben? Es ist eine Frage der Haltung, dass alle Menschen an der ETH studieren oder arbeiten können, die die intellektuellen Voraussetzungen und den Willen dazu mitbringen. Darüber hinaus gibt es auch gesetzliche Vorgaben. So verpflichtet beispielsweise die Kantonsverfassung Zürich alle öffentlichen Institutionen, Menschen mit Behinderungen den Zugang zu ermöglichen. Dies zeigt, dass diese Haltung auch von der Gesellschaft unterstützt und erwartet wird.

Das Programm «Hindernisfreiheit an der ETH Zürich» wird im Frühjahr 2025 abgeschlossen. Wird die ETH dann barrierefrei sein?
Was die Infrastruktur und den Servicebereich betrifft, werden wir weitestgehend barrierefrei sein. Aber beim physischen Zugang zu den Gebäuden ist noch viel zu tun. Hier dauert es wohl noch 15 bis zwanzig Jahre, bis alle bestehenden Liegenschaften hindernisfrei sind. Anders sieht es bei Neubauten und bei Gebäuden aus, die saniert werden. Hier wird die Hindernisfreiheit seit längerem jeweils von Anfang an mitgeplant. Und auch bei der barrierefreien Signaletik, insbesondere relevant für sehbeeinträchtigte Menschen, wird es noch einige Jahre dauern, bis die gesamte ETH auf eine neue Raum- und Gebäudebeschriftung umgestellt ist.

Beispiele bereits umgesetzter Massnahmen im Projekt «Hindernisfreiheit an der ETH Zürich»:

  • Kursangebot und Sensibilisierungsworkshops
  • Informationswebseiten und Checklisten
  • Barrierefreie Lernarbeitsplätze
  • Untertitelung von Lehrveranstaltungsaufzeichnungen
  • Barrierefreie Anpassung von Gebäuden

Alle umgesetzten Massnahmen finden Sie in unserem Quartalsreporting unter «Aktuelles» (Link: Hindernisfreiheit an der ETH Zürich – Staffnet | ETH Zürich)

Weckt das Programm nicht falsche Erwartungen, wenn die ETH nach dessen Abschluss noch nicht gänzlich barrierefrei ist?
Hindernisfreiheit ist eine Daueraufgabe. Das Programm mag im nächsten Jahr abgeschlossen sein. Das bedeutet aber nur, dass dieser erste Impuls abgeschlossen ist. Ab dann muss Hindernisfreiheit Teil unseres Tagesgeschäfts sein. Auch die gesetzlichen Anforderungen an die Hindernisfreiheit werden sich weiterentwickeln. Diese müssen wir auch in Zukunft immer wieder neu berücksichtigen.

Das heisst, es braucht die Unterstützung aller ETH-Angehöriger, um unsere Hochschule wirklich hindernisfrei zu machen?
Auf jeden Fall. Beispielsweise beim Gestalten von Webseiten oder Lehrveranstaltungen sind wir darauf angewiesen, dass alle Personen, die solche Formate planen, bewirtschaften oder durchführen – wie Webautor:innen oder Dozierende – dabei die Anforderungen der Hindernisfreiheit berücksichtigen. Es braucht uns alle, damit die ETH hindernisfrei wird und bleibt.

Welche Herausforderungen könnten in Zukunft noch auf die ETH in Bezug auf Hindernisfreiheit zukommen?
Die finanziellen Mittel zur Weiterentwicklung der Hindernisfreiheit könnten unter Druck geraten. Es wird ein Prüfstein für die ETH sein, dass sie auch in finanziell herausfordernden Zeiten bereit ist, hierfür Geld zu investieren. Für mich persönlich ist Hindernisfreiheit eine Grundvoraussetzung an Lehre, Forschung und Wissenstransfer im 21. Jahrhundert.

Aktionstage Behindertenrechte

Auch dieses Jahr beteiligt sich die ETH Zürich an den externe SeiteAktionstagen Behindertenrechte. Diese finden in der Schweiz vom 15. Mai bis zum 15. Juni 2024 statt. Lernen Sie Gebärdensprache im «Café des Signes», wechseln Sie Ihre Perspektive im neu konzipierten Sensibilisierungsworkshop, erkunden Sie die ETH-Gebäude mit der neuen barrierefreien App «PolyMaps», oder besuchen Sie die neu eingerichteten und barrierefreien Lernarbeitsplätze in der ETH-​Bibliothek. Diese und weitere Veranstaltungen finden Sie auf der Webseite «Design for all».

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