Anerkennung in der Akademie: Chancengleichheit für Mann und Frau?

In der akademischen Welt hängt Erfolg hochgradig von der Anerkennung durch andere Akademikerinnen und Akademiker ab. Doch diese Anerkennung ist nicht immer geschlechtsneutral, wie Kolumnistin Ursula Keller aufzeigt.

Olga Holtz
Mehr Anerkennung für Frauen in Naturwissenschaften und Technik: Olga Holtz, Professorin am Institut für Mathematik der TU Berlin erhielt mehrere Auszeichnungen. (Bild: © TU Berlin/Pressestelle/Dahl)

Meine letzte Kolumne beleuchtete die Entwicklungen rund um die bevorstehende Wahl des neuen ETH-Rektors und die Tatsache, dass zwei der vier Kandidierenden in der ersten Wahlrunde Frauen waren. Umso mehr freut es mich heute, dass diese Chancengleichheit der Geschlechter auch die finale Wahlrunde auszeichnet: In der Endausscheidung stehen eine Professorin und ein Professor.

Auf meinen eigenen Erfahrungen aufbauend, möchte ich das Thema «Anerkennung durch die akademische Welt als Erfolgsfaktor für die Berufskarriere» anschneiden. Anerkennung durch die relevanten akademischen Kreise ist ausschlaggebend und kann für Männer und Frauen, die wie ich im Bereich von Forschung und Technologie tätig sind, sehr unterschiedlich ausfallen.

Wie ich schon in meiner ersten Kolumne festhielt, ist meine Tätigkeit als ETH-Professorin spannend, anregend und erfüllend. Bildung, Forschung, Innovation und Wissenstransfer sind meine Hauptverantwortlichkeiten. Ich vergleiche das gerne mit einem kleinen High-Tech-Unternehmen, das ich in der Doppelfunktion CEO/CTO zu leiten habe. Die «Produkte» des Unternehmens sind meine Studierenden auf Bachelor-, Master- und Doktoratsebene sowie die Resultate, die meine Forschungsgruppe aus Studierenden, Postdocs und Senior Scientists erzielt.

Das Unternehmensbudget setzt sich aus ETH-Förderbeiträgen und externen Finanzierungsmitteln zusammen, die das Ergebnis von entsprechenden Anträgen sind und aus SNF-, KTI-, EU-Quellen und der Industrie stammen. Kurz gesagt: Je besser meine «Produkte» sind, umso erfolgreicher werde ich bei der Erschliessung externer Finanzierungsquellen sein.

Besteht diesbezüglich ein Unterschied zum einem Unternehmen in der freien Wirtschaft? Der Erfolg eines Handelsunternehmens hängt von seiner Kundenzufriedenheit ab. An einer Universität wird «Erfolg» jedoch massgeblich durch die akademische Anerkennung bestimmt, und die eigenen Kolleginnen und Kollegen sind oft die direkte Konkurrenz. Meine Forschungsergebnisse werden in Fachzeitschriften publiziert, die von Fachkollegen (Peers) freigegeben und beurteilt werden. Andere Forschungsgruppen können die Ergebnisse somit reproduzieren. Hinzu kommt, dass die «Angestellten» in meinem kleinen High-Tech-Unternehmen nur vier Jahre bleiben.

Sie bringen anfänglich kaum Praxiserfahrung mit, doch nach vier Jahren sind sie bestens ausgebildet und qualifiziert und wandern ab – bei einem Handelsunternehmen in der freien Wirtschaft wäre das äusserst kontraproduktiv. Doch hier an der ETH haben wir einen Bildungsauftrag und haben uns der Weiterentwicklung unserer Studierenden verpflichtet, was wiederum der Industrie und anderen Hochschulen zugute kommt. Auch die ETH rekrutiert im Gegenzug hochqualifizierte Postdocs anderer Universitäten.

Im Verlaufe einer akademischen Laufbahn macht man sich zunächst einen Namen als Doktorierende(r) und als Postdoc, indem man für renommierte Professorinnen und Professoren tätig ist und möglichst oft im Rahmen wissenschaftlicher Publikationen als Co-Autor(in) zitiert wird. Sind der Professor oder die Professorin (so quasi als CEO/CTO) der Senior-Autor oder die Senior-Autorin der betreffenden Fachartikel, bürgt das für deren Qualität und dient sozusagen als «Markenname». Davon profitieren sowohl der Professor / die Professorin als auch seine oder ihre Forschungsgruppe – eine faire, etablierte und effiziente Methode, um sich Anerkennung in wissenschaftlichen Kreisen zu verschaffen.

Meine Berufskarriere begann mit Angewandter Physik und Lasertechnologie. Es war seinerzeit von Vorteil, dass niemand meine Forschungsergebnisse in Frage stellen konnte – die Lasertechnologie setzte laufend neue Massstäbe. So konnte ich meine Fachartikel relativ problemlos publizieren, und selbst meine stärkste akademische Konkurrenz mussten die Forschungsresultate anerkennen. Meine SESAM-Technologie hat die Messgrenzen im Bereich der ultraschnellen Lasertechnologie gesprengt, ist der neue Standard in der Industrie geworden und hat viele neue Anwendungsmöglichkeiten für Industrie und Grundlagenforschung geschaffen. Dies erfüllt mich mit grosser Freude und Zufriedenheit – und meine Kundinnen und Kunden ebenso!

Nach meiner Tätigkeit im Bereich der Angewandten Physik begann ich nach rund 8 Jahren ETH-Zugehörigkeit mit der Grundlagenforschung im wissenschaftlichen Attosekunden-Messbereich. Hier wurde es schon schwieriger, Anerkennung seitens der relevanten akademischen Kreise zu bekommen: Die eigenen Forschungsresultate werden nämlich vor allem von konkurrierenden Fachkollegen beurteilt. Zu jenem Zeitpunkt konnte ich glücklicherweise schon auf einen guten Erfahrungsschatz zurückgreifen und hatte mir einen Namen im Bereich der Angewandten Physik gemacht. Auch hatte ich die Liste meiner Publikationen kontinuierlich ausgebaut, und so blieb auch der weitere Erfolg nicht aus und ich hatte eine fundierte Basis für die Beantragung von Fördergeldern für meine wissenschaftliche Arbeit.

Besteht hier ein Unterschied zwischen Mann und Frau – und falls ja, weshalb? Anerkennung in den eigenen Reihen zu finden ist eine Herausforderung für alle Akademikerinnen und Akademiker. Es zeigt sich dabei immer deutlicher, dass die Fähigkeiten und Qualifikationen von Frauen strenger bewertet werden als diejenigen ihrer männlichen Kollegen – und dies sowohl durch Männer als auch durch die Frauen selbst.

2013 ist eine Studie von Corrine Moss-Racusin (Yale Universität) erschienen: Das fiktive CV eines Mannes und einer Frau, das vom Inhalt her absolut identisch war, wurde an Entscheidungsträger(innen) in akademischen Kreisen versandt mit der Aufforderung, den potentiellen Kandidaten bzw. dessen weibliches «Pendant» einer hierarchischen Stufe ihrer akademischen Institution zuzuordnen. Das Salär für die weibliche Kandidatin fiel dabei deutlich niedriger aus.

Stereotype wie diese beeinflussen auch die Art und Weise, wie die Studierenden ihre Professorinnen und Professoren beurteilen. Amy Bug veröffentliche im Jahr 2010 eine Studie in «Physics World»: Speziell geschulte Schauspielerinnen und Schauspieler unterrichteten dieselbe Schulklasse in Physik und verwendeten dabei dasselbe Lehrmaterial in genau derselben Art und Weise. Danach wurden ihre pädagogischen Fähigkeiten durch die Schulklasse beurteilt. Das Ergebnis? Der «Professor» wurde deutlich besser bewertet als die «Professorin».

Sowohl Männer als auch Frauen müssen über eine bessere Kenntnis solcher Stereotype verfügen, denn Reaktionen wie diese beeinflussen unser tägliches Handeln und die Resultate, die wir dabei erreichen. Wir müssen uns unserer unbewussten Neigungen bewusst werden und wissen, wie man sie überwinden kann, damit wir talentierten Forscherinnen und Ingenieurinnen Wertschätzung entgegenbringen und Frauen in Führungspositionen unterstützen.

Solange unbewusste Klischees wie diese noch in den Köpfen überwiegen, sind zusätzliche Massnahmen erforderlich, die Frauen in MINT-Berufen (d.h. Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) den Rücken stärken. Die ETH Zürich ist die Schmiede für zukünftige Managerinnen und Manager der freien Wirtschaft und für Professorinnen und Professoren im akademischen Bereich. Sie trägt somit die Verantwortung für die adäquate Ausbildung der nachfolgenden Generationen und ihre Vorbereitung auf eine diversifizierte, frauenfreundlichere Führungskultur.

Zur Person

Ursula Keller

Ursula Keller ist seit 1993 an der ETH und seit 2010 Leiterin des nationalen Kompetenzzentrums NCCR MUST («Molecular Ultrafast Science and Technology»). Sie wurde 1959 in Zug geboren. 1984 erhielt sie ihr Diplom an der ETH Zürich und promovierte 1989 an der Stanford University. Sie war zunächst mit ihrem eigenen Forschungslabor an der AT&T Bell Laboratories tätig, bevor sie an die ETH zurückkehrte. Mit ihrer derzeitigen Forschungsgruppe untersucht sie die (Mess)-Grenzen in den ultraschnellen Wissenschaften und in der Lasertechnologie. Ursula Keller erhielt mehrere Preise und hat einen Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC) erhalten. Derzeit ist sie die amtierende Präsidentin des ETH Women Professors Forums (externe SeiteETH WPF).

Ähnliche Themen

Persönlich

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert