Afrika: Vom hoffnungslosen Kontinent zum Hoffnungsträger
Afrika wächst und wandelt sich. Oft ist eine Entwicklung nach westlichem Vorbild oberstes Ziel. Doch gibt es nicht sinnvollere Wege? Diese Frage bewegte mich während eines mehrjährigen Aufenthalts in Ostafrika. Seither ist mir der Kontinent eine Quelle der Inspiration für nachhaltiges Forschen und Handeln.
Mit dem Artikel «external page Glanz und Elend Afrikas» berichtete die Neue Zürcher Zeitung am letzten Samstag über die Diskrepanz in der Aussenwahrnehmung des afrikanischen Kontinents. David Signer, der Autor des Artikels, verweist dabei auf das Titelblatt des Wirtschaftsmagazins The Economist im Jahr 2000 mit der Überschrift: The hopeless continent. Darauf ist ein Mann mit einer Panzerfaust zu sehen, das Bild ist vor einem schwarzen Hintergrund in die Grenzen des afrikanischen Kontinents beschnitten. Es ist Ausdruck einer Hoffnungslosigkeit, die sich auf dem Kontinent, aber auch in dessen Aussenwahrnehmung, verbreitet hat. Genährt durch Bürgerkriege, politische Umstürze, Armut, Perspektivlosigkeit und Hungerkatastrophen. Nur elf Jahre später veröffentlicht dasselbe Magazin erneut ein Titelblatt zu Afrika, jedoch ist der Kontinent nun als bunt gefärbter Spielzeugdrachen zu sehen, den ein kleiner Junge in den blau gefärbten Abendhimmel steigen lässt. Die Schlagzeile lautet: Africa Rising. Nicht nur David Signer fragt sich, wie sich eine Sichtweise auf ein- und denselben Erdteil in nur einem Jahrzehnt so grundlegend geändert haben kann. Sein Erklärungsversuch: Unsere Tendenz, in Afrika immer wieder die Extreme sehen zu wollen, das grösste Elend oder die glänzendste Zukunft. Aber gibt es nicht doch Hoffnung auf eine Entwicklung Afrikas, die auch Europa positiv prägen könnte?
Industrialisierung als oberstes Ziel
Von 2009 bis Anfang 2012 habe ich selbst auf diesem Kontinent gelebt, gearbeitet, gestaunt und immer wieder versucht zu verstehen. Auf meinen Reisen durch Äthiopien, meinem Arbeitsort, und den anderen Ländern Ostafrikas ist mir immer wieder ein unglaublicher Glaube an eine bessere Zukunft begegnet, befeuert von der Tatsache, das Äthiopiens Wirtschaft nach Angaben der UN und des Economist in den letzten fünf Jahren kontinuierlich um ca. acht Prozent gewachsen ist. Dies macht sie nach China und Indien die Nummer Drei der schnellst wachsenden Ökonomien der Welt. Dennoch gehört das Land nach wie vor zu den fünf ärmsten Nationen unseres Globus.
Fragt man die Menschen, wie diese bessere Zukunft aussehen würde, schwärmen sie von Hochhäusern, Fernsehen und Kühlschränken. Und auch an meinem Einsatzort, einem neuen Architekturinstitut, das ich für eine Initiative der äthiopischen und deutschen Regierung in enger Zusammenarbeit mit der ETH Zürich aufbaute, wurde mir ständig von einer Industrialisierung als oberstes Ziel der Entwicklung des Landes berichtet.
Einfuhren decken Bedürfnisse
Heute leben bereits 90 Millionen Äthiopier in dem am zweitdichtest besiedelten afrikanischen Land. Und bis zum Jahr 2025 sollen es noch 35 Millionen mehr werden. All diese Menschen wollen nicht nur überleben, sie wollen eine Ausbildung, einen Job und eine Zukunft. Der Bevölkerungszuwachs wird somit unweigerlich mehr Menschen hervorbringen, die ökonomisch aktiv ihr Leben gestalten und diesem Wunsch mit der Aneignung materieller Dinge auch Ausdruck verleihen wollen. Die Produkte dazu werden in der Regel vom Ausland importiert.
Ein Beispiel sind das Auto und der Strassenbau: Sie verursachen tiefgreifende Umwandlungen in der Stadt Addis Abeba, obwohl weniger als zehn Prozent der Einwohner der Stadt dieses Verkehrsmittel benutzen oder gar besitzen. Durchgeführt und bezahlt werden diese gigantischen Infrastrukturprojekte von der chinesischen Regierung, ohne dass die Äthiopier den Sinn und die Nachhaltigkeit kritisch hinterfragen. Das zeigt exemplarisch die Ratlosigkeit vieler afrikanischer Regierungen, wie man das eigene Land voranbringen kann, ohne auf meist unpassende Importe aus dem Rest der Welt angewiesen zu sein.
Inspiration für nachhaltige Forschung
Die Frage stellt sich, ob sich das ersehnte «mehr an Konsum» durch Produkte manifestieren muss, die in ihrer Herstellung und Anwendung natürliche Ressourcen verbrauchen und kontaminieren – oder ob es alternative Lösungsansätze gibt, die durch Forschungsarbeit gefördert und implementiert werden können. Gibt es für diese Menschen nicht alternative Wege in eine industrielle Zukunft, die nicht wie im Falle des alten Europas und des heutigen Chinas oder Indiens auf dem Verbrauch fossiler Energien beruhen, sondern ganz neue, innovative und nachhaltige Möglichkeiten eröffnen?
In Gegenrichtung auf der Import-Einbahnstrasse
In den weiteren Beiträgen dieses Blogs möchte ich solche alternative Ansätze meiner Assistenzprofessur für Architektur und Konstruktion am ETH-Forschungslabor Future Cities Laboratory in Singapur vorstellen. Wir verfolgen ein Szenario, das die vorherrschende Wachstumsideologie und die persönliche Entwicklung eines jeden Individuums vom Verbrauch fossiler Ressourcen entkoppelt. Aufbauend auf einer rauchfreien Industrie, könnte eine Entwicklung einsetzen, die der Vorstellung einer «umgekehrten Moderne» entspricht. Ich verstehe darunter Technologien, die im Süden Wertschöpfungsketten aufbauen. Sie sollen Produkte und Wissen hervorbringen, die das Potenzial haben, einen «Süd-Nord»-Weg zu beschreiten. So könnte die Import-Einbahnstrasse der letzten Jahrhunderte um 180 Grad gedreht werden.