Lernende im Homeoffice

Mitte März musste auch die Berufsbildung innert kurzer Zeit auf Fernunterricht umstellen. Wie gehen Berufsbildende und Jugendliche mit der Situation um? Ein Einblick in die Informatik-​ und Laborberufe an der ETH Zürich.

Wortwolke Berufsbildung
«Wie geht es dir? Was war dein Highlight der Woche? Dein Wunsch für nächste Woche?» Der wöchentliche Stimmungsbarometer bei den Physiklaborantinnen und -laboranten zeigt auf, was die Lernenden aktuell beschäftigt. (Bild: ETH Zürich / Cornel Andreoli)

170 Lernende in 15 verschiedenen Berufslehren sind an der ETH in Ausbildung – und zurzeit im Homeoffice. «Am IT Lehrlabor befinden wir uns in einer komfortablen Lage. Ausser, dass wir nun von zu Hause aus arbeiten und uns über Video treffen, hat sich wenig geändert», meint Berufsbildner Martin Schneider zur Umstellung auf den Fernunterricht. Doch die Ausgangslage ist je nach Beruf sehr unterschiedlich, denn gerade Laborberufe sind auf Infrastruktur vor Ort angewiesen. Nach ihrer ersten Ausbildungsstation im Lehrlabor sind angehende Physik-, Chemie- oder Biologielaborantinnen und -laboranten normalerweise in verschiedenen Forschungsgruppen und -labors tätig. Dies ist in nun nicht mehr möglich und Aufträge aus der Forschung fallen meist weg.

Kreative Lösungen gefragt

Um die Lernenden trotz Krise ausbilden und unterstützen zu können, sind darum unkomplizierte und kreative Lösungen gefragt. So lassen sich Schwerpunkte in der Ausbildung vorübergehend verschieben – bei den Physiklaborantinnen und -laboranten wird derzeit zum Beispiel ein stärkeres Gewicht auf das Programmieren gelegt. Damit sich die Lernenden auch im Homeoffice berufsrelevantes Wissen aneignen und gleichzeitig praktische Projekterfahrung gewinnen können, greift die ETH aber auch auf verschiedene Initiativen zurück, die im Rahmen der Berufsbildung entstanden sind. Auf der berufsübergreifenden Plattform Lern mit mir können die Jugendlichen anderen Lernenden Wissen vermitteln oder Schülerinnen und Schülern Auskunft über ihren Beruf geben. Severin Zimmermann, Physiklaborant im vierten Lehrjahr, engagiert sich stark bei «Lern mit mir»: Er gibt anderen Lernenden Nachhilfeunterricht in Mathematik und Physik und bietet sogar Kurse zum Thema Raumfahrt an. Auch Limay Beron, Biologielaborantin im zweiten Lehrjahr, ist auf der Lernplattform aktiv: Da die Infoveranstaltungen zur Berufsbildung aktuell nicht stattfinden können, ermöglicht sie Sekundarschülerinnen und -schülern stattdessen per Videokonferenz Einblicke in ihren Beruf.

Eine weitere Initiative der Berufsbildung ist «Young'n'Rising» (YnR). Die Idee, dass ein berufsübergreifendes Team aus Lernenden reale Aufträge und Projekte aus der ETH bearbeitet, ist bereits vor der Coronakrise entstanden. YnR bietet den Lernenden aber auch im Homeoffice die Möglichkeit, Projekterfahrung zu sammeln. Jonas Wiesendanger, Informatiker Systemtechnik im zweiten Lehrjahr, gehört mit vier weiteren Informatik-, drei Interactive Media Design-Lernenden sowie einer angehenden Kauffrau zur ersten YnR-Generation. Im Rahmen von YnR konnte er in den vergangenen Wochen auch selber schon Aufträge ausführen: Für den Cybathlon, der Anfang Mai hätte stattfinden sollen, half er beispielsweise mit, eine interaktive Weltkarte zu entwickeln, über die die Besucher Informationen zu den teilnehmenden Teams aus aller Welt abrufen können. «Dank dem Projekt konnte ich meine Programmierkenntnisse erweitern», sagt Wiesendanger. «Es wäre toll, wenn ich dabei sein könnte, wenn die Karte dereinst in der Cybathlon-Arena zum Einsatz kommt.»

In Kontakt bleiben

Durch den fehlenden direkten Kontakt zu den Lernenden ist die Betreuung für die Berufsbildenden anspruchsvoller und zeitaufwändiger geworden. Doch unter dem Strich scheinen sowohl Berufsbildende als auch Lernende erstaunlich gut mit der Situation umzugehen. Aber wie merkt man, wenn es einem Jugendlichen einmal nicht gut gehen sollte? «Die grosse Kunst ist es, mit den Lernenden in Kontakt zu bleiben, um herauszufinden, wie sie in ihrem neuen Alltag zurechtkommen», sagt denn auch Fabienne Jaquet, Leiterin Berufsbildung.

«Die grosse Kunst ist es, mit den Lernenden in Kontakt zu bleiben, um herauszufinden, wie sie in ihrem neuen Alltag zurechtkommen.»Fabienne Jaquet, Leiterin Berufsbildung

Dass ein regelmässiger Austausch unerlässlich ist, bestätigen die beiden Berufsbildner aus Informatik und Physiklabor. «Im Fernunterricht ist es schwieriger, die Lernenden zu 'lesen'. Wir treten mindestens dreimal pro Tag mit den Jugendlichen in Kontakt und lassen den Tag auch einmal mit etwas Unterhaltung ausklingen, indem wir online 'Montagsmaler' spielen», sagt Martin Schneider. Durch den engen Kontakt merke man besser, wenn sich jemand ungewöhnlich verhalte. Auch Cornel Andreoli führt häufige Zoom-Meetings mit seinen Lernenden durch. Und er holt Ende Woche jeweils einen Stimmungsbarometer ab, indem er alle Antworten auf die Frage «wie geht es mir?» mit einer Wortwolke darstellt. «Wenn ich merke, dass sich jemand zurückzieht, versuche ich die Person direkt darauf anzusprechen.»

Was bleibt Positives?

Mangelnde Motivation, Isolation, fehlender Austausch unter den Kollegen – diese Themen beschäftigen auch die Lernenden im Homeoffice. Die aussergewöhnliche Situation kann aber ebenso neue Horizonte eröffnen und Energien freisetzen: «Die jetzige Krisenzeit gibt mir auch die Chance zu zeigen, dass ich selbständig bin und mich organisieren kann», meint der angehende Physiklaborant Severin Zimmermann. Mitte Juni hätte er die schriftliche Lehrabschlussprüfung ablegen sollen – nun sind diese schweizweit abgesagt. «Einerseits bin ich froh darüber. Andererseits möchte ich nach der Krise aber keine Lücken haben, deshalb lerne ich trotzdem weiter», sagt er. Von seiner praktischen Abschlussarbeit (IPA), die den Bau eines Ofens zur C14-Datierung zum Ziel hat, konnte er bis jetzt nur das Planen und Konstruieren am Computer ausführen. Ob er den Ofen noch zusammenbauen und testen kann, hängt davon ab, wann er wieder an die ETH gehen darf.

Auch die lernende Biologielaborantin Limay Beron kann der Krise Positives abgewinnen: «Es passiert extrem viel, obwohl man immer zu Hause ist. Dass ich nun auch in kleinen Dingen mehr sehen kann, finde ich gut. Und dass man sich in dieser schwierigen Zeit trotzdem auf unsere Ausbildner verlassen kann.»
 

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