«Es geht darum, das Risiko zu senken»
Seit Montag gilt an der ETH Zürich eine allgemeine Maskenpflicht, sobald man Gebäude betritt. Warum das eine notwendige und sinnvolle Massnahme ist, erklärt ETH-Arbeitsmediziner Leonhard Sigel im Interview.
Herr Sigel, im März hiess es noch, dass Masken der Allgemeinheit nicht viel bringen und medizinischem Personal vorbehalten sein sollen. Und jetzt haben wir an der ETH eine Maskenpflicht. Was hat sich geändert?
Im März gab es in der Schweiz eine dramatische Maskenknappheit in den Spitälern, das weiss ich aus persönlichen Rückmeldungen. Einen Zustand wie in Italien, wo medizinisches Personal an COVID-19 gestorben ist, weil sie keine Schutzausrüstung hatten, galt es unbedingt zu vermeiden. Wir haben deshalb damals einen Teil unseres Maskenvorrats zur Pandemiebekämpfung an den Bund abgegeben. Von daher war es zu dem Zeitpunkt richtig zu sagen, die Masken müssen dem medizinischen Personal vorbehalten bleiben. In der Zwischenzeit sind die Lieferketten wieder intakt und es gibt genug Masken.
Verstehen Sie, dass die Menschen das Hin und Her wegen der Masken irritiert hat?
Ja, natürlich. Wir haben als Menschen immer gerne klare Schwarz-Weiss-Regelungen. Aber bei COVID-19 ist vieles grau. Auch ich war anfangs kein Fan des Maskentragens für die breite Bevölkerung, denn in der Arbeitsmedizin versucht man zuerst technische und organisatorische Lösungen zu suchen, da Masken bei der Arbeit stören können. Aber ich habe im Laufe der Zeit gelernt, dass die Masken gar kein arbeitsmedizinisches Thema mehr sind, sondern ein Public Health Issue.
Was bedeutet das?
Es hat sich weltweit die Erkenntnis durchgesetzt: Ohne Maske geht es nicht. Auch chinesische Studierende und Dozierende haben mir immer wieder gesagt: Wenn ihr jetzt Masken tragt, dann kommt das gut. Die asiatischen Länder können auf viele Jahre Erfahrungen mit Epidemien zurückgreifen und es gibt schon gute Gründe, warum sie so vehement auf Masken setzen.
Das heisst die Masken bieten Schutz?
Ja, alle Maskentypen bieten Fremd- und auch einen gewissen Eigenschutz, je nach Download Art der Maske (PDF, 110 KB). Wir haben häufig einen Perfektionsanspruch und finden schnell, wenn Masken nicht zu 100 Prozent schützen, dann setzen wir auf andere Massnahmen wie z.B. Abstand halten. Aber es hat sich jetzt stärker die Ansicht durchgesetzt, dass unser Ziel die Risikominimierung sein muss. Und da kommen wir sehr weit, auch wenn Hygienemasken nur eine 80-Prozent-Risikoreduktion bieten.
Stimmt es, dass Maskentragen nur sinnvoll ist, wenn alle mitmachen?
Nein, es ist schon viel erreicht, wenn 95% der Leute eine Maske tragen. Dann haben wir eine ausgezeichnete Wirkung. Ausnahmen wird es immer geben, da es Menschen gibt, die aus gutem Grund keine Masken tragen können. Und die dürfen nicht schief angeschaut oder gar stigmatisiert werden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir eine gute Tragerate hinbekommen werden.
Was machen Personen, die aus gesundheitlichen Gründen keine Masken tragen können?
Ich habe bereits Anfragen von ETH-Angehörigen für Ausnahmebewilligungen. Da müssen wir sehr genau hinschauen, denn es geht um Fremd- und Eigenschutz. Als formelle Vorgabe muss zumindest die oder der Vorgesetzte darüber informiert werden. Und dann rate ich den betroffenen Personen, diesen Punkt bei der nächsten Konsultation mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin zu besprechen. Denn gerade Personen, die Probleme haben beim Maskentragen, z.B. Schwangere oder Leute mit chronischen Atemwegserkrankungen, gehören eigentlich zu den besonders gefährdeten Personen und müssten sich umso besser schützen. Da wären dann die FFP2-Masken eigentlich die Masken der Wahl. Diese können jedoch den Atemwiderstand leicht erhöhen, was die zumutbare Tragedauer limitiert.
Wir brauchen jetzt einfach einen praktischen Ansatz. Das Wichtigste ist, dass das Maskentragen zum Teil des Alltags wird. Leonhard Sigel, Leiter der Sektion Arbeitsmedizin und Gesundheitsschutz
Wie wird die Maskenpflicht auf dem Campus kontrolliert?
Wir verfolgen das Prinzip Hinsehen und Ansprechen. Mitarbeitende des Betriebs und des Sicherheitsdiensts sind auf dem Campus unterwegs und weisen Leute, die keine Maske tragen, auf die Maskenpflicht hin. Sie haben auch Masken dabei, die sie an Leute abgeben können, die keine eigenen dabeihaben. Aber es ist auch an uns allen, dass wir Kolleginnen und Kollegen darauf ansprechen, wenn sie keine Maske tragen.
Warum kann ich die Maske abnehmen, wenn ich an meinen Bestimmungsort angekommen bin?
Wie schon erwähnt geht es bei den Massnahmen um Risikominimierung. Auch die Abstandsregel mit 1.5 Metern beruht ja auf dem Gedanken der Risikominimierung. Je mehr Leute und unterschiedliche Personengruppen in die Gebäude zurückkommen, umso enger wird es bei Begegnungen im Gang oder beim Anstehen werden. Mit dem Tragen von Masken reduzieren wir für solche Begegnungen das Risiko einer Ansteckung, das nun mal in Innenräumen höher ist. Sobald ich an meinem Platz bin, kann ich das Umfeld besser kontrollieren, ich kann lüften und auf Abstand achten. Dann ist das Risiko ohne Maske vertretbar.
Muss ich jetzt wirklich eine Maske anziehen, wenn ich von meinem Büro über den Gang ins Nachbarbüro zu meiner Kollegin gehe?
Das kommt darauf an. Wenn dieser Gang viel und von unterschiedlichen Personengruppen frequentiert wird, dann ja. Aber wenn ich am Ende eines Flurs bin, der nicht öffentlich zugänglich ist, dann ist es auch ohne Maske okay. Ich denke, die Umsetzung jeder Regel muss man mit gesunden Menschenverstand angehen. Wir können nicht jeden Einzelfall erfassen.
Wenn jetzt die Maskenpflicht gilt, stellt die ETH Zürich den Mitarbeitenden und Studierenden Masken kostenlos zur Verfügung?
Ab Anfang September wird es im ETH-Store-Masken im ETH-Design vergünstigt zu kaufen geben. Aber die Schulleitung hat aus Kostengründen entschieden, dass sich Mitarbeitende und Studierende selber um Masken kümmern müssen. Die meisten habe ja bereits eine Maske, da sie im ÖV und neu in Zürich auch in Läden verpflichtend ist. Aber wenn ETH-Angestellte betriebsbedingt wegen unvermeidlicher enger Kontakte Masken brauchen, beispielsweise im Labor oder in der Werkstatt, sind diese Teil der persönlichen Schutzausrüstung. Dann werden von der jeweiligen Abteilung Hygienemasken zur Verfügung gestellt.
Aerosole werden immer stärker auch als Infektionsrisiko gesehen. Was bringen Masken gegen Aerosole?
Die Masken bringen etwas gegen Aerosole. Natürlich kommt es auf die Art der Masken an. FFP2 Masken halten Aerosole in beide Richtungen sehr gut zurück. Hygienemasken bieten auch noch eine 80% Risikoreduktion und bei Community-Masken geht es vor allem darum, den Tröpfchenauswurf beim Sprechen zurückzuhalten. Natürlich schliessen diese beiden Maskentypen nie so dicht ab, dass Aerosole nicht entweichen können.
Wie kann man sich zusätzlich gegen Aerosole schützen?
Lüften, Lüften, Lüften. Und dabei sollte man gar nicht so lange überlegen, was das richtige Vorgehen ist. Einfach Fenster oder Türen auf und die Luft zirkulieren lassen, dann kommt es zu Luftbewegungen und zu einer Verringerung der Aerosol-Konzentration. Und das ist grundsätzlich immer gut. Man kann Aerosolausbreitung auch durch Plexiglasabtrennungen hemmen. Und natürlich hilft Abstand. Auf lautes Sprechen ist zu verzichten, und singen sollte man gerade auch nicht. Ich würde im Moment auch enge Räume ohne Lüftung meiden. Da gehören z.B. Aufzüge dazu. Dort wurden auch schon Ansteckungen über Aerosole nachgewiesen. Im Moment würde ich den Leuten also raten, wenn es geht, die Treppe zu nutzen.
Soll bzw. darf ich einen Ventilator im Büro benutzen?
Das wird kontrovers diskutiert und ich kenne noch keine Studien dazu. Ich persönlich würde sagen, wenn der Ventilator so ausgerichtet ist, dass er nur auf eine Person zielt und in Richtung offenes Fenster, dann ist das kein Problem. Allerdings sollte der Ventilator die Luft nicht über mehrere Personen blasen.
Und wie ist das in belüfteten Laboren und Sitzungszimmern, die keine Fenster haben. Kann ich da sicher sein, dass die Lüftung den Virus nicht verbreitet?
Die Abteilung Betrieb hat schon vor Monaten die Lüftung auf maximale Frischluftzufuhr umgestellt und den Umluftanteil so weit wie möglich reduziert. Zusammen mit der Distanzregel und der flächenabhängigen Maximalbelegung, die für jeden Raum festgelegt wird, erreichen wir damit einen guten Gesundheitsschutz.
Gefährde ich mich, wenn ich eine Maske mehrmals verwende und sie, wie man es jetzt häufiger sieht, am Arm oder runtergezogen am Hals trage?
Natürlich wäre es ideal, wenn man sich vor dem Aufziehen der Maske immer die Hände wäscht und die Maske dann nicht mehr berührt. Aber als Arbeitsmediziner bin ich pragmatisch und nahe bei den Menschen und weiss, dass Lösungen, die zu kompliziert sind, nicht funktionieren. Es gibt eine Empfehlung des BAG, die ich sehr sinnvoll finde. Diese besagt, Masken bei Nichtgebrauch in Papiertüten statt Plastik einzupacken damit sie trocknen können. Ich muss gestehen, ich persönlich trage meine Maske auch am Arm, wenn ich im Freien bin. Um den Hals würde ich nicht empfehlen. Sie am Gürtel zu tragen ist auch eine Möglichkeit. Die Maske sollte einfach keine anderen Menschen berühren. Und beim Auf- und Absetzen darf sie nur an den Riemen oder Gummibändern angefasst werden. Wir brauchen jetzt einfach einen praktischen Ansatz. Wir sind ja nicht im Spital und operieren. Das Wichtigste ist, dass das Maskentragen zum Teil des Alltags wird.