Wachstums-Entschleunigung für die ETH
Die ETH Zürich ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Gestiegen sind damit auch die langfristigen finanziellen Verpflichtungen. Um auch in Zukunft mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln die Kernaufträge Lehre, Forschung und Wissenstransfer bestmöglich erfüllen zu können, muss die Hochschule das bisherige Wachstum in den kommenden Jahren verlangsamen. Wie sieht dies konkret aus und welche Massnahmen wurden und werden ergriffen?
Ein wichtiger Punkt vorneweg: Die ETH Zürich ist finanziell nach wie vor gesund aufgestellt und verfügt über eine solide Eigenkapitalbasis. Fakt ist aber auch, dass die Hochschule in den letzten Jahren stark gewachsen ist und entsprechende finanzielle Verpflichtungen aufgebaut hat.
Wachstum auf allen Ebenen
Sämtliche Departemente haben viele Ideen für eigene Schwerpunkte und Professuren in die Planung eingegeben und sind in den letzten Jahren zum Teil deutlich gewachsen. Die Schulleitung ihrerseits hat in enger Kooperation mit mehreren Departementen verschiedene Schwerpunktthemen gestärkt und damit neue akademische Felder von hoher gesellschaftlicher Relevanz erschlossen (Energie, Gesundheit, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Quantentechnologie etc.). Damit konnte die ETH auch der wachsenden Zahl der Studierenden gerecht werden, die seit 2007 von gut 13’000 auf heute über 23’000 angestiegen ist (+77%). Interdisziplinäre Themenfelder erschloss die Schulleitung zudem mit dem Förderungsinstrument ETH+ und baute dazu die freien Reserven ab – ein expliziter Auftrag des Bundes. Parallel zu dieser Entwicklung ist auch der Aufwand für die Zentralen Organe und die Technologieplattformen angestiegen.
Wachstum muss finanzierbar sein
Ein derart starkes Wachstum bringt viele langfristige Verpflichtungen in Lehre und Forschung mit sich und erfordert substanzielle Investitionen in die Infrastruktur. Unser künftiger Budgetmittelbedarf wird dadurch weiterhin spürbar ansteigen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Finanzierungsbeitrag des Bundes in den letzten vier Jahren nicht wie erwartet um 2 bis 2,5% pro Jahr gewachsen ist. Dank der Zunahme von Drittmitteln und Donationen sowie Anlageerträgen konnte die ETH dies einigermassen kompensieren. Weil unsere Hochschule zu mehr als 70% direkt aus Bundesmitteln finanziert wird und der Bund aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie grosse Haushaltsdefizite macht, blicken wir in den kommenden Jahren voraussichtlich finanziell herausfordernden Zeiten entgegen.
Massnahmen jetzt ergreifen
Um weiterhin die Kernaufträge Lehre, Forschung und Wissenstransfer bestmöglich zu erfüllen und gleichzeitig ihre Finanzen im Lot zu halten, muss die ETH Zürich das ausgeprägte Wachstum der vergangenen Jahre deutlich bremsen. «Dies bedeutet nicht, dass wir insgesamt abbauen oder uns gar verkleinern müssen», stellt ETH-Präsident Joël Mesot klar. «Aber wir müssen jetzt Massnahmen ergreifen und unsere Wachstumspläne neu priorisieren. Nur so bleibt uns weiterhin genügend finanzieller Spielraum für strategische Entwicklungen. Unsere Bremswege sind lang, weil viele Ausgaben, z.B. für Bauprojekte oder die Umsetzung der Professurenplanung, sehr langfristiger Natur sind.»
Bereich Immobilien: Zusatzbudget und Solidaritätsbeiträge
Der Wachstumskurs der letzten Jahre stellt vor allem den Bereich Immobilien vor grosse Herausforderungen. Das letzte Jahr war ein Ausnahmejahr mit einem ausserordentlich hohen Investitionsvolumen wegen mehrerer parallel laufender Grossprojekte. Auch in den kommenden Jahren wären die Investitionen in Bauprojekte und Sanierungen deutlich über einem nachhaltigen Mass gelegen. Hier will die Schulleitung nun mittelfristig das Budget auf ein solide finanzierbares Niveau von 180 bis 200 Mio. Franken pro Jahr reduzieren. Dazu musste sie unter anderem das Projekt zur Sanierung und Erweiterung des MM-Gebäudes und der Polyterrasse stoppen. «Wir haben nicht zuletzt auf dieses Erweiterungsprojekt verzichtet, um die grossen akademischen Vorhaben realisieren zu können», sagt Ulrich Weidmann, Vizepräsident für Infrastruktur.
Da derzeit gleich vier Immobilien-Grossprojekte kurz vor ihrer Vollendung stehen, sind trotz dieses Verzichts die Mittel von 2021 bis 2024 für kleinere und mittlere Projekte äusserst begrenzt. Für 2021 hat die Schulleitung daher ein einmaliges Zusatzbudget von 25 Mio. Franken und weitere Zusatzmittel in der Höhe von über 8 Mio. Franken gesprochen. Zudem haben sämtliche Departemente zugestimmt, einen ersten Solidaritätsbeitrag von insgesamt 15 Mio. Franken für das laufende Jahr zu leisten. Für jedes Departement bedeutet dies eine Verschiebung von Reserven in der Höhe von 2,27% des jeweiligen Grundauftragsbudgets.
Zusätzlich sind alle Departemente auch in den kommenden drei Jahren aufgefordert, gemeinsam weitere 15 Mio. Franken pro Jahr beizutragen, um geplante, ETH-weite Infrastrukturprojekte zugunsten von Lehre und Forschung zu finanzieren. «Die ETH ist wegen des akademischen Wachstums und der daraus entstehenden Raumbedürfnisse darauf angewiesen, dass wir wichtige Infrastrukturprojekte weiterführen. Mit dem verfügbaren Budget der Schulleitung allein werden wir diese nicht finanzieren können. Wir brauchen hier die gemeinsame Unterstützung durch die Departemente und gehen davon aus, dass in den nächsten Monaten die Modalitäten für diese Beiträge geklärt werden», kommentiert Robert Perich, Vizepräsident für Finanzen und Controlling. «Das wäre ein starkes und positives Zeichen der Solidarität, das zeigt, dass wir in herausfordernden Zeiten alle am gleichen Strick ziehen.»
Abstriche nur auf den Wunschzetteln
Parallel zu dieser Entwicklung im Bereich Immobilien hat die Schulleitung bereits im vergangenen Herbst die Departemente aufgefordert, die Planung ihrer zukünftigen, zusätzlich beantragten Professuren zu überprüfen und zu priorisieren. Mit dieser Massnahme möchte die Schulleitung das langfristige Wachstum dämpfen und sicherstellen, dass die Professuren und die dafür benötigte Infrastruktur auch in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten nachhaltig finanzierbar bleiben. Das gleiche galt auch für die zentralen Schulleitungsbereiche, Stäbe, Abteilungen und Technologieplattformen. Auch diese waren im letzten Sommer dazu angehalten, ihre Bedarfsplanung zu revidieren und für die kommenden Jahre um rund 20 Mio. Franken pro Jahr nach unten anzupassen.
«Für viele von uns, die sich an das Wachstum der vergangenen Jahre gewöhnt haben, mögen die ergriffenen Massnahmen überraschend kommen und nicht leicht sein. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir im internationalen Vergleich sehr komfortabel dastehen und wir grundsätzlich nicht auf Bestehendes verzichten müssen. Die Abstriche machen wir in erster Linie auf unseren Wunschzetteln», betont Joël Mesot. «Ich bin überzeugt, dass wir damit die Grundlage schaffen, um weiterhin ein gutes und finanziell ausbalanciertes Funktionieren unserer Hochschule sicherzustellen und sie – trotz schwierigen Rahmenbedingungen – für die Zukunft fit zu machen.»
Nachgefragt bei Robert Perich
Robert Perich, die Departemente sind aufgefordert, einen Solidaritätsbeitrag zu leisten und ihre Professurenplanung zu überdenken. Geht der ETH das Geld aus?
Nein. Die ETH Zürich ist grundsätzlich finanziell gesund aufgestellt und verfügt über eine solide Eigenkapitalbasis. In den vergangenen fünf Jahren hat die Hochschule auch unter dem neuen, transparenteren IPSAS-Rechnungslegungsstandard immer ein positives Jahresergebnis ausgewiesen. Wir sehen uns nun einfach mit einem geringeren Wachstum der Bundesbeiträge konfrontiert und müssen damit rechnen, dass diese künftig eher sinken als steigen. Somit ist es unsere Pflicht, rechtzeitig zu reagieren und unser eigenes Wachstum entsprechend zu verlangsamen. Damit wir trotzdem wichtige Infrastruktur-Projekte nicht ausbremsen, müssen alle – sowohl die zentralen serviceorientierten Einheiten als auch die Departemente – ihren Anteil leisten.
Dieser Spardruck kommt für viele überraschend. Noch vor Kurzem hiess es, die ETH müsse ihre Reserven abbauen und wolle in strategischen Feldern weiter wachsen. Hat sich die ETH verrechnet?
Eines ist mir ganz wichtig: Wir können in keiner Art und Weise von Spardruck sprechen, wie ihn zahlreiche private Unternehmen und Branchen zur Zeit erleben, verbunden mit Kurzarbeit, Betriebsschliessungen und Mitarbeiterentlassungen. Wir sprechen davon, dass wir unser bisheriges Wachstum in dieser Form in den kommenden Jahren nicht mehr aufrechterhalten können. Wir müssen unsere Prioritäten nochmals überdenken, noch selektiver entscheiden, wo wir investieren und wo wir auf den einen oder anderen Wunsch verzichten können. Zugegeben, wir haben aufgrund langjähriger Erfahrungen mit durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten des Finanzierungsbeitrags des Bundes von 2.5 bis 3% auch für die Zukunft mit einer besseren Entwicklung der Bundesbeiträge gerechnet. Unsere Planungen sind jedoch immer mit solchen Unsicherheiten verbunden. Wir sind jetzt noch in der komfortablen Lage, rechtzeitig zu reagieren und unsere künftigen Vorhaben so anzupassen, dass wir auch in Zukunft grundsolide dastehen.
Jetzt müssen die Departemente in die Bresche springen und ihr Budget für zentrale Infrastruktur-Projekte reduzieren. Das dürfte wenig Freude auslösen…
Ich habe volles Verständnis dafür, dass da keine Freude aufkommt. Man erhält weniger, als man sich eigentlich gewünscht hat. Man muss vielleicht vorerst auf die eine oder andere geplante neue Professur verzichten. Das tut weh. Aber letztlich leben wir alle an der ETH vom gleichen Globalbudget. Auch Investitionen in Infrastrukturbelange sind ja nicht Selbstzweck, sondern kommen unmittelbar den akademischen Einheiten zugute. Wir alle, egal ob Departemente oder zentrale Organe, müssen nun unseren Teil dazu beitragen, dass die ETH auf einem nachhaltig finanzierbaren Entwicklungspfad bleibt.
Müssen wir auch in Zukunft mit solchen Überraschungen rechnen?
Wie gesagt, jede Planung geht von Rahmenbedingungen und Annahmen aus, die mit Unsicherheiten verbunden sind und sich ändern können. Kommt hinzu, dass wir als ETH besonders weit vorausplanen müssen, da unsere heutigen Entscheidungen zumeist mit sehr langfristigen finanziellen Verpflichtungen verbunden sind. So bedeutet eine neu geschaffene Vollprofessur ein Commitment der ETH Zürich über durchschnittlich 23 Jahre und stellt – auf Vollkostenbasis – ohne weiteres ein Investment von 40 bis 80 Millionen Franken dar. Wir alle müssen daher mit Unsicherheiten leben und akzeptieren, dass eine Planung auch mal angepasst werden muss.
Die anhaltende Corona-Krise hat sich noch nicht unmittelbar auf die Finanzierung der ETH ausgewirkt, aber irgendwann wird der Bund den Rotstift ansetzen müssen. Was könnte dies für die ETH bedeuten?
Im Moment ist es noch zu früh, um über konkrete Auswirkungen auf die ETH-Finanzen zu sprechen. Angesichts der enormen Neuverschuldung des Bundes im Zusammenhang mit bereits beschlossenen und allfälligen noch zukünftigen Corona-Abfederungsmassnahmen (man spricht von deutlich über 30 Mia. Franken) ist aber klar, dass der Bund in den kommenden Jahren vor grossen finanziellen Herausforderungen steht. Es wäre daher naiv und fast ein wenig überheblich darauf zu pochen, dass wir davon nichts spüren werden. Umso wichtiger ist es, dass wir selber Massnahmen initiieren, um unsere langfristigen Verpflichtungen weniger stark ansteigen zu lassen.