Wir müssen unsere Studierenden befähigen, mit schnellem Wandel umzugehen
Worauf kommt es in der ETH-Lehre künftig an, damit sie erfolgreich bleibt? Rektor Günther Dissertori spricht im Interview über die Vision für die Lehre, der die Schulleitung im Sommer zugestimmt hat.
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Günther Dissertori, warum brauchte es eine Vision für die Lehre?
Günther Dissertori: Wir leben in einer Zeit des beschleunigten Wandels: Technologien entwickeln sich rasch und die Rahmenbedingungen auch. Wir müssen uns fragen, was die Qualität in der Lehre ausmacht. Die Vision ist ein Kompass für langfristige strategische Diskussionen und Entscheide, zum Beispiel hinsichtlich Lehrinfrastruktur oder Lehrpersonal. Vordringlich beschäftigt uns die Frage, wie wir mit stagnierenden Mitteln weiterhin eine hochqualitative Lehre anbieten können.
Worauf kommt es in Zukunft an?
Dissertori: Die Studierenden sollen mit den Unsicherheiten, die der schnelle Wandel bringt, umgehen können und Werkzeuge in der Hand haben, um heute noch unbekannte Probleme zu lösen. Dazu benötigen sie zusätzlich zum Fachwissen auch soziale und persönliche Kompetenzen, Resilienz im Umgang mit Misserfolgen und Anpassungsfähigkeit.
Wie vermitteln wir das?
Dissertori: Zum Beispiel durch projekt- und problemorientiertes Lernen in Teams. Dafür gibt es heute schon viele gute Beispiele. Die Studierenden üben dabei den Umgang mit dem Unbekannten und lernen sehr schnell, wie sie ihr Wissen anwenden können und wo Lücken sind. Diese Art des Lernens fördert ein tiefes Verständnis für die Prinzipien und Werkzeuge ihres Faches, es macht die Studierenden agil im Umgang mit Wissen. Und die Gesellschaft erwartet von uns, dass wir Menschen ausbilden, die ihr Wissen reflektieren, anwenden und weitergeben können.
Projektbasierte Lehre ist aufwändig. Das steht doch im Widerspruch dazu, dass wir mit weniger Ressourcen auskommen müssen?
Dissertori: Es stimmt, dass es meistens aufwändiger ist, Studierende bei Projekten zu coachen als eine Vorlesung zu halten. Unsere Vision ist aber, dass die Dozierenden ihre Zeit mit den Studierenden sehr gezielt einsetzen und darauf achten, dass in dieser Zeit Wissen möglichst kontextualisiert und nicht nur vermittelt wird. Die Zeit soll für den Austausch mit den Studierenden, für Diskussionen genutzt werden.
Bleiben dabei nicht die fachlichen Grundlagen auf der Strecke?
Dissertori: Auf keinen Fall, ohne die soliden fachlichen Grundlagen verlieren methodische, soziale und persönliche Kompetenzen ihre Wirkung. Ich bin aber überzeugt, dass die reine Wissensvermittlung in Zukunft digitaler und individueller werden wird, in welcher Form auch immer. Die Studierenden werden in diesem Bereich selbstständiger werden. Und nicht zuletzt wird mit PAKETH die Basis geschaffen, damit den Studierenden genügend Raum und Zeit dafür zur Verfügung steht.
Der erwähnte schnelle Wandel wird auch für die Lehre Konsequenzen haben. Wie rüsten wir uns am besten dafür?
Dissertori: Die Studiengänge und ihre Lehrpläne müssen sich schneller und mit weniger administrativem Aufwand entwickeln können. Das ist ein zentrales Ziel des Reformprojektes PAKETH, es wird dafür die Grundlagen schaffen. Wahrscheinlich wird die Lehre auch in ihrem Aufbau flexibler werden. Die klassische Karriere Bachelor-Master-Berufseintritt oder Doktorat wird sich aufweichen. Studierende werden vielleicht früher schon Berufserfahrung sammeln wollen und ihr Wissen nach einem Abschluss schneller auffrischen müssen.
Welche Rolle wird der Campus in Zukunft spielen?
Dissertori: Er ist unverzichtbar, aus mehreren Gründen. Etwa für unsere forschungsorientierte Lehre, wenn Studierende in Labors arbeiten. Aber auch, wenn Studierende gemeinsam an Projekten lernen sollen. Nur im Austausch mit anderen werden sie mit unbekannten Sichtweisen, Ideen und Fachkulturen konfrontiert. Abgesehen davon macht das Lernen zusammen einfach mehr Freude. Der Wissenserwerb ist nachhaltiger und es entstehen die besseren Ideen. Ohne Campus ist es auch schwierig, neue Studierende in eine Fachcommunity zu integrieren, das hat die Corona-Zeit schmerzlich gezeigt. Nicht zuletzt ist der Campus für den Austausch mit der Gesellschaft enorm wichtig, er bietet Raum dafür. Unsere Weiterbildungsprogramme zum Beispiel eignen sich sehr gut als Drehscheibe zwischen Wissenschaft und Industrie.
Zum Schluss: Was soll sich nicht verändern?
Dissertori: Wir bleiben eine universitäre Hochschule, Lehre und Forschung sollen sich weiterhin sehr nahe sein, wir bleiben dem Humboldt’schen Ideal also treu. Die ETH soll auch in Zukunft international ihre Spitzenstellung behalten und dadurch ein attraktiver Lehrort für die besten Studierenden bleiben. Dazu braucht es weiterhin die besten Expert:innen in ihrem Fach. Aber auch eine hervorragende Lehrinfrastruktur und eine gut funktionierende Studienberatung und -administration.
Weitere Informationen
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