«Die Englischkenntnisse haben sich stark verbessert»

Das Sprachenzentrum der Universität Zürich und der ETH Zürich feiert sein 20-jähriges Bestehen. Direktorin Sabina Schaffner zieht im Interview Bilanz und erklärt, wie sich die Einstellung gegenüber dem Fremdsprachenlernen verändert hat.

Sprachstudierende im Unterricht
Teilnehmende an einem Kurs für Deutsch als Fremdsprache. (Bild: Sprachenzentrum)
Portrait von Sabina Schaffner
Sabina Schaffner, Direktorin des Sprachenzentrums (Bild: Sprachenzentrum)

Zu Beginn eine etwas provokative Frage: Weshalb sollen wir überhaupt noch Fremdsprachen lernen, angesichts guter Übersetzungssoftware wie DeepL oder Echtzeit-Übersetzungsbrillen, wie Google sie kürzlich vorgestellt hat?
Sabina Schaffner: Ihre Frage ist durchaus berechtigt. Für einen rein funktionalen Sprachgebrauch braucht es tatsächlich keinen Unterricht mehr: Reisen organisieren, Hotels buchen, nach dem Weg fragen oder Essen bestellen, das alles kann ein Übersetzungstool auch. Was das Sprachenlernen attraktiv macht und kein Tool ersetzen kann, ist die direkte Begegnung mit Menschen, der sprachliche Austausch, der eine andere Qualität der Verständigung mit sich bringt und einen mit anderen kulturellen Phänomenen konfrontiert.

Was DeepL betrifft: Wir müssen solche Tools in den Sprachunterricht integrieren, das ist eine Realität! In Englischkursen auf höherem Niveau wird der Nutzen von DeepL thematisiert. Gleichzeitig zeigen wir den Lernenden auch die Grenzen solcher maschineller Online-Übersetzungen auf.

Ein Jubiläum bietet eine gute Gelegenheit für einen Rückblick. Was sind die wesentlichsten Errungenschaften?
Wir haben parallel zu den Entwicklungen an der Universität Zürich und der ETH unser Sprachlernangebot weiterentwickelt. Seit 2015 bieten wir massgeschneiderte Kurse wie Academic Writing und Workplace Communication an. Seit 2017 verfügen wir über ein zweites Selbstlernzentrum auf dem Hönggerberg. In beiden Zentren bieten wir auch Lernaktivitäten wie zum Beispiel Buchclubs, Filmabende oder virtuelle Touren durch europäische Museen an.

Und – wir wachsen laufend: Die Anzahl Sprachkurse hat im Vergleich zu 2007 um rund 40 Prozent zugenommen, die Zahl der Teilnehmenden ist auf aktuell 10'500 gestiegen. Heute können auch Alumni und Angehörige der Pädagogischen Hochschule Zürich und Zürcher Hochschule der Künste unsere Sprachlernangebote besuchen.

Last but not least: Das Sprachenzentrum leistet seit 2019 mit spezifischen Intensiv- und Semesterkursen in Deutsch als Fremdsprache einen wesentlichen Beitrag zur Integration von Geflüchteten, aktuell von Studierenden aus der Ukraine.

«Die direkte Begegnung mit Menschen macht das Sprachenlernen attraktiv.»
Sabina Schaffner

Wie haben sich die Fremdsprachkenntnisse Ihrer Zielgruppen verändert?
Generell haben sich – vor allem bei Schweizer Studierenden – die Englischkenntnisse stark verbessert, während die Französischkenntnisse leider oft auch nach jahrelangem Unterricht bis zur Matura nicht sehr solide sind.Ausserdem sehen wir uns heute vermehrt mit sehr komplexen Sprachlernbiografien konfrontiert. Viele unserer Nutzer:innen sind in einem bi- oder multilingualen Umfeld aufgewachsen. Sie beherrschen aber nicht jede ihrer Herkunftssprachen mündlich bzw. schriftlich gleich gut. Darüber hinaus stellen wir fest, dass generell die sprachliche Kompetenz, vor allem, was das Schreiben anbelangt, in den letzten Jahren abgenommen hat. 

Bemerken Sie einen Unterschied in der Einstellung gegenüber dem Fremdsprachenlernen im Gegensatz zu früher?
Durch die verstärkte Internationalisierung gehören Fremdsprachenkenntnisse zu einem selbstverständlichen Teil des Studiums und zum universitären Alltag. Umgekehrt ist durch diese Allgegenwärtigkeit teilweise das Bewusstsein verschwunden, dass Sprachenlernen intensive Lernarbeit bedeuten kann und nicht einfach nebenher geht.

Welches sprachliche Rüstzeug braucht man heute für Lehre und Forschung?
An unseren Universitäten ist – neben Deutsch – Englisch nach wie vor das «Must Have», sowohl für das Verfassen von Publikationen sowie für die Lehre in international ausgerichteten Studiengängen. Das birgt allerdings auch gewisse Nachteile und bringt neue Ansprüche mit sich.

«Teilweise ist das Bewusstsein verschwunden, dass Sprachenlernen intensive Lernarbeit bedeuten kann und nicht einfach nebenher geht.»
Sabina Schaffner

Können Sie das konkretisieren?
Bei gewissen Forschungsgegenständen oder -disziplinen ist die Wahl von Englisch nicht immer adäquat, weil Sprache und Denken zusammengehören. Wer etwa auf Englisch über Deutsche Philosophie diskutiert oder forscht, riskiert eventuell einen Erkenntnisverlust. Weltweit sind die meisten Publikationen auf Englisch von Nicht-Muttersprachler:innen verfasst. Damit die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand nicht verarmt, braucht es für das akademische Englisch sowohl ein sehr hohes Sprachniveau als auch spezifische fachsprachliche Kenntnisse. Hier sind wir als Sprachenzentrum gefordert; wir müssen den Lernenden aufzeigen, welche Kenntnisse in welchem Kontext vorausgesetzt werden.

Aber Englisch bleibt nach wie vor die Lingua franca?
Im Hochschulkontext wird der Abstand anderer Linguae francae wie zum Beispiel Spanisch oder Russisch zum Englischen noch eine Weile gross bleiben. Beim Russischen wird sich zeigen, ob und wie sich politische Veränderungen auf den Sprachgebrauch auswirken.

Wird Mandarin in Zukunft dem Englischen Konkurrenz machen?
Das bezweifle ich. Aktuell gibt es keine Evidenz, dass die Entwicklung in diese Richtung geht.

Welche neuen Formate wird das Sprachenzentrum in Zukunft anbieten?
Für 2023 ist ein reiner Online-Kurs «Survival Deutsch als Fremdsprache» für Studieninteressierte geplant. In Zukunft wollen wir zudem das sogenannte projektbezogene Lernen fördern: Dabei erstellt man in einem Sprachkurs zum Beispiel gemeinsam eine Website oder einen Blog. Ein solcher Kurs könnte auch im Rahmen eines «international Classrooms» angeboten werden, bei dem Studierende von mehreren Sprachenzentren aus unterschiedlichen Ländern zusammenarbeiten. Wir denken zudem darüber nach, weitere Fremdsprachen anzubieten – zum Beispiel Türkisch.

Sprachenzentrum – Zahlen und Fakten

  • Die Anzahl Sprachlernkurse liegt heute bei rund 540 pro Jahr.
  • Das Selbstlernzentrum im Zentrum verbuchte im vergangenen Jahr 3802 Besuche.
  • Unter den 10'500 Kursteilnehmenden bilden die Studierenden die grösste Gruppe, gefolgt von Doktorierenden.
  • Deutsch als Fremdsprache wird am meisten nachgefragt, gefolgt von Englisch, Spanisch, Französisch und Italienisch.
  • Im Herbstsemester 2022 bietet das Sprachenzentrum einen Anfängerkurs in ukrainischer Sprache an.

Folgen Sie dem Sprachenzentrum auf Instagram und testen Sie Ihre Sprachkenntnisse im Quiz: externe Seite www.instagram.com/sprachenzentrum.uzh.eth/

externe Seite Erfahren Sie mehr über die Geschichte des Sprachenzentrums.

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