Warum Weiterbildung ETH-Ideen schneller macht
Paolo Ermanni gab sein Amt als Prorektor Weiterbildung am ersten August an Stefano Brusoni weiter. Im Interview sprechen die beiden darüber, wie sich der Erfolg der Weiterbildung messen lässt und wie die Forschung von ihr profitieren kann.
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Paolo Ermanni, Sie wurden 2015 als erster Prorektor für die Weiterbildung ernannt. Was ist ihr Wert?
Die Weiterbildung macht Wissen sehr schnell nutzbar und schlägt so eine weitere Brücke zur Gesellschaft, das hat mich sehr gereizt. Darüber hinaus ist die Weiterbildung für die ETH ein einzigartiges Element der Beziehungspflege mit der Industrie, den Behörden und anderen Universitäten. Da habe ich direkt erfahren, wie wichtig es für die Industrie ist, dass die ETH mit ihrer Expertise Weiterbildungen anbietet.
Und weshalb ist die Weiterbildung der ETH so gefragt?
Ermanni: Weil wir damit einen direkten Zugang zu dem generierten Wissen und zu den neuesten technologischen Entwicklungen der ETH bieten können. Und weil sich die Technologien heute dermassen schnell entwickeln, dass sich die Ingenieure im Beruf immer wieder auf den neuesten Stand bringen müssen – und wollen.
Brusoni: Die ETH hat einen Auftrag, die Schweizer Gesellschaft mit Fachkräften und Wissen zu unterstützen. Das tun wir mit guten Bachelor- und Masterprogrammen. Der Punkt ist aber: Was wir den Bachelor- und Masterstudierenden mitgeben, entfaltet erst mit einer gewissen Verzögerung eine Wirkung in Wirtschaft und Gesellschaft. Mit Weiterbildung erreichen wir hingegen Personen, die bereits in den Arbeitsmarkt integriert und sehr oft Entscheidungsträger sind. Die Weiterbildung beschleunigt die Verbreitung neuer Ansätze und Lösungen in der Praxis. Gerade bei Herausforderungen wie jenen des Klimawandels ist Geschwindigkeit zentral.
Stefano Brusoni, Sie übernehmen als Prorektor Weiterbildung von Paolo Ermanni. Welche Bedeutung hat die Weiterbildung für Sie?
Brusoni: Für mich ist und war die Weiterbildung immer eine logische Konsequenz meiner Forschung. Ich forsche vor allem zu Innovation und dazu, was sie verhindert, respektive, wie man sie ermöglichen kann. Wir haben Methoden entwickelt, die Menschen dazu bringen, Veränderungen positiver zu begegnen. Dabei haben wir immer stark mit der Industrie zusammengearbeitet.
Paolo Ermanni
Paolo Ermanni wuchs in Bissone (TI) auf und studierte Maschineningenieurswissenschaften an der ETH Zürich. Seit 1998 ist er Professor für adaptive Strukturen und Verbundwerkstoffe (D-MAVT) an der ETH Zürich (seit 2003 ordentlicher Professor), sein Forschungsinteresse gilt unter Anderem der Erhöhung von Effizienz und Funktionalität von technischen Strukturen durch den Einsatz von Faserverbundwerkstoffen. 2015 wurde Ermanni zum Prorektor Weiterbildung gewählt. Zudem leitete er das Congressi Stefano Franscini.
Stefano Brusoni
Stefano Brusoni ist in Mailand aufgewachsen und hat an der University of Sussex Wirtschaftswissenschaften studiert, wo er später auch promovierte. 2003 wurde er Assistenzprofessor an der Wirtschaftsuniversität Luigi Bocconi in Mailand. Seit 2011 ist er Professor für Technologie- und Innovationsmanagement (D-MTEC) an der ETH Zürich. Sein Hauptforschungsinteresse gilt dem Verständnis der Fähigkeit von Organisationen und Einzelpersonen, Innovationen umzusetzen. Seit dem 1. August ist er Prorektor für die Weiterbildung.
Haben Sie ein Beispiel?
Brusoni: Wir haben vor einiger Zeit mit Gehirnscans bei Ingenieuren untersucht, wie sie auf Veränderungen reagieren. Es hat sich gezeigt, dass genügend Ideen für Veränderung vorhanden wären, aber dass sich viele nur ungern für Veränderungen engagieren. Wir haben also nach Wegen gesucht, um diese Leute zu bewegen, sich über Abteilungsgrenzen hinweg für Veränderungen zu engagieren. Das war der Anfang meiner Auseinandersetzung mit der Design-Thinking-Methode, die heute der Kern meiner Kurse darstellt. Via Weiterbildung konnten wir danach auch erforschen, inwiefern sich Design-Thinking für die Innovationsförderung eignet.
Paolo Ermanni, wenn Sie zurückblicken: wo sind wir auf Kurs mit der Weiterbildung? Und wo gibt es noch zu tun?
Ermanni: Wir haben einiges erreicht: Zu Beginn meiner Amtszeit haben wir sämtliche Programme grundlegend analysiert, einige davon gefördert und andere in enger Zusammenarbeit mit den Programmverantwortlichen überarbeitet. Mit der Gründung der School for Continuing Education haben wir die Sichtbarkeit der ETH-Weiterbildung gestärkt und ihre organisatorische Struktur an die wachsende Bedeutung der Weiterbildung angepasst. Während meiner Amtszeit hat sich die Zahl der Programme mehr als verdoppelt. Aber: Die Anzahl Programme ist nur ein Erfolgsindikator. Wir müssen genauer verstehen, was den Erfolg der Programme ausmacht.
Und was macht den Erfolg Ihrer Meinung nach aus?
Erfolg hat die Weiterbildung dann, wenn sie einen Mehrwert für alle Beteiligten, d.h. die Studierenden, die Unternehmen und die ETH erzielt. Das ist – zugegeben – aber sehr schwer zu messen. Messbar sind etwa die Qualität der Ausbildung, wir lassen die Programme ähnlich wie Bachelor- und Masterprogramme durch die Studierenden evaluieren. Oder die Attraktivität: Wir wissen, wie viele Leute sich pro Platz bewerben, wie viele zugelassen werden und wie viele davon auch abschliessen. Und natürlich spielen auch die Finanzen eine Rolle – was kostet ein Programm und wieviel bringt es ein?
Welche Rolle spielen die Finanzen bei der Bewertung?
Die ETH hatte bislang nicht das Ziel, mit der Weiterbildung Geld zu verdienen. Man erwartet aber, dass sich ein Programm nach einer Anfangsphase finanziell selbst trägt. Zurzeit haben wir aber leider kaum Möglichkeiten, wirklich zu verstehen, wie die Bilanz eines einzelnen Programms aussieht, weil sich die Kosten nicht genau den einzelnen Programmen zuordnen lassen. Das muss sich verbessern!
Niko Beerenwinkel neuer Direktor der Congressi Stefano Franscini
Niko Beerenwinkel, Professor für Computational Biology an der ETH Zurich, ist seit dem 1. Juli 2022 neuer Direktor der Congressi Stefano Franscini (CSF). Er löst in dieser Funktion Paolo Ermanni ab. Das CSF ist die Konferenzplattform der ETH Zürich auf dem Monte Verità, die Forschenden Schweizerischer Forschungseinrichtungen subventionierte Tagungen anbietet.
Sie waren entscheidend an der Gründung der School for Continuing Education (SCE) beteiligt. Weshalb brauchte es die School?
Ermanni: Bei der Gründung der School ging es von Anfang an um die Sichtbarkeit der Programme, die Synergien zwischen den Programmen und um die Pflege der Kontake mit unseren Anspruchsgruppen. Es ist allerdings wichtig zu betonen, dass Weiterbildungsprogramme durch den freiwilligen Einsatz und die Motivation der einzelnen Professor:innen entstehen und durchgeführt werden. Der Nachteil dieses Bottom-up-Ansatzes ist, dass auf diese Weise häufig sehr spezialisierte Angebote entstehen, die Spitze sind, aber womöglich nur ein Nischenpublikum erreichen. Die Idee der School ist, solche Programme miteinander in Kontakt zu bringen, Synergien zu nutzen, sie zu clustern und dadurch auch sichtbarer zu machen.
Brusoni: Während Corona kamen diese Netzwerke sehr zum Tragen. Die verschiedenen Anbieter der Programme haben sich oft ausgetauscht und Erfahrungen geteilt. Die School fördert die Kollaborationen zwischen den Programmen, ohne irgendwelchen Zwang auszuüben. Wir brauchen die Bottom-up-Struktur, die Professor:innen und ihre Gruppen, um im Kontakt mit der Industrie neue Ideen zu finden. Wir haben während Corona aber auch gesehen, wie wichtig die Netzwerke sind. Paolo und sein Team haben sichergestellt, dass die Teams der Programme einander kennen und nicht in dieselbe Richtung laufen, ohne es zu wissen.
Paolo Ermanni, was wünschen Sie sich in Zukunft für die Weiterbildung?
Ermanni: Mir wäre es ein Anliegen, dass die Weiterbildung als Teil der Kernaufgaben der ETH angesehen wird. Dass junge Professor:innen wissen, dass ihr Engagement für die Weiterbildung honoriert wird und sie wissen, dass es wertvoll für ihre Karriere ist. Dafür werden wir uns einsetzen müssen, wenn die Studierendenzahlen an der ETH weiter steigen und die Ressourcen knapper werden. Ein zweites Anliegen betrifft die Alumni und Alumnae: mit der Weiterbildung können wir Netzwerke mit Ihnen knüpfen und pflegen – umgekehrt können wir aber auch enorm von den Alumni profitieren, weil sie eine Schnittstelle zur Industrie bilden.
Brusoni: Unbedingt. Das wollen und werden wir künftig noch systematischer tun.
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