Die Schweiz und Horizon Europe – wie weiter?
Die Schweiz hat derzeit nur beschränkten Zugang zum weltgrössten Forschungs- und Innovationsförderprogramm Horizon Europe: Weshalb das auf lange Sicht für den Forschungs- und Innovationstandort Schweiz zum Problem wird.
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Die Schweiz riskiere ihre wissenschaftliche Stärke zu verlieren, wenn sie beim europäischen Forschungs- und Innovationsförderprogramm Horizon Europe nicht assoziiert werde, mahnte ETH-Präsident Joël Mesot kürzlich in der externe Seite Neuen Zürcher Zeitung. Auch Detlef Günther, Vizepräsident für Forschung, doppelte an einem von EU GrantsAccess organisierten Event zu diesem Thema nach: «Je länger die Schweiz von Horizon Europe ausgeschlossen ist, umso schwerwiegender sind die Konsequenzen für Forschung und Innovation in der Schweiz.» Betroffen vom Ausschluss sind nicht nur arrivierte Forschende, sondern besonders die Talente, die sich überlegen, ob sie nach Zürich kommen oder ihre Laufbahn in einem Land fortsetzen, das voll an Horizon Europe assoziiert ist und in dem man sich um europäisch evaluierte ERC Grants bewerben kann.
Der Ausschluss betrifft namentlich die Personenförderung. Da sind Forschende in der Schweiz einerseits bei den Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC Grants), die Spitzenforschung fördern, ausgeschlossen, anderseits bei den Marie-Skłodowska-Curie-Fellowships, die Nachwuchsforschende unterstützen. Immerhin verwendet der Bund die Mittel, die er für Horizon Europe vorgesehen hat, um finanziell gleichwertige Förderformate in der Schweiz zur Verfügung zu stellen: So gibt es «Übergangsmassnahmen» für Marie-Skłodowska-Curie-Fellowships und für die ERC Grants. Diese umfassen die SNF Starting Grants, SNF Consolidator Grants und SNF Advanced Grants. Dennoch dürfte der Ausschluss aus dem europäischen Wettbewerb langfristig ein Problem werden, selbst wenn die Fördersummen der Schweizer Übergangsmassnahmen jenen in Europa entsprechen.
Das Problem der Übergangslösungen
Diese Übergangslösungen orientieren sich zwar so weit wie möglich an den europäischen Ausschreibungen, aber die Evaluation der Forschungsvorhaben aus der Schweiz geschieht nicht über die weltweit anerkannten Expert:innen-Panels. Entsprechend fehlt der direkte Vergleich der Schweizer Forschenden mit anderen Spitzenforschenden in Europa, wenn die Schweiz im Alleingang Forschungsvorhaben begutachtet und fördert.
Dieser direkte, internationale Vergleich sowie der Gütenachweis des ERC ist für die Spitzenforschenden in der Schweiz jedoch eminent wichtig, wie Tilman Esslinger, ETH-Professor für Quantenoptik am Institut für Quantenelektronik am Event «Die Schweiz und Horizon Europe» darlegte. Auch wenn es letzten Endes die erzielten Forschungsresultate seien, die eine geförderte Wissenschaftler:in auszeichneten und nicht die Etikette der Fördermittel, so seien doch Expert:innen-Panels, die bei ihrer Evaluation ganz auf die wissenschaftliche Exzellenz fokussierten, so wie das der ERC etabliert hat, unter Forschenden und im internationalen Forschungswettbewerb besonders anerkannt und bedeutsam.
Das zeigen auch die – am Event vorgestellten – konkreten Erfahrungen von Forscher:innen von ETH, UZH in Horizon Europe und seinen Vorgängerprogrammen: Auch sie machen deutlich, dass sich der Wert dieses Forschungsprogramms nicht allein an den eingeworbenen Forschungsgeldern misst, sondern vor allem auch an den Chancen, die die internationale Zusammenarbeit eröffnet: aufbauend auf Projekten europäischer Konsortien lassen sich ganze Postdoc-Karrieren entwickeln. Sie bieten Natur- wie auch Geistes- und Sozialwissenschaftler:innen die Möglichkeit zu internationaler Vernetzung, und auch ein Startup kann die Finanzierung seiner Produktentwicklung mit der europaweiten Zusammenarbeit mit Expert:innen verbinden.
Auch in der Projektförderung ist der Zugang teils eingeschränkt. Zum Beispiel sind Forschenden in der Schweiz Initiativen wie namentlich «Quantum SGA» verschlossen. Besonders schmerzhaft ist, dass Forschende in der Schweiz keine Horizon-Projekte koordinieren dürfen. «Damit entfällt oft die Rolle der Impulsgeberin oder des Wegbereiters», sagt Detlef Günther, «es gibt Beispiele aus der Erdbebenforschung und der Klimamodellierung, bei denen die Führungsrolle von der ETH nach Spanien abgewandert ist.»
Natürlich gibt es weiter viele Bereiche in Horizon Europe, an denen sich die Schweizer Forschenden immer noch beteiligen können (und dazu auch die Unterstützung von EU GrantsAccess erhalten): Zum Beispiel an den ERC Synergy Grants, bei denen bis zu vier Forschende zusammenarbeiten, können Forscherende in der Schweiz teilnehmen und EU-Fördergelder erhalten.
Um wieder voll an Horizon Europe teilzunehmen zu dürfen, müssen sog. Drittstaaten wie die Schweiz einen Assoziierungsprozess durchlaufen und ein Programmdachabkommen («specific agreement») abschliessen. Hiermit steht die Schweiz noch ganz am Anfang. Eine Herausforderung dabei wird, dass seit dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs (Brexit) und dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU eine verstärkte Politisierung der Assoziierungsfrage am Horizon-Förderprogramm zu beobachten ist. Bislang ist es nicht gelungen, Forschung und Politik wieder zu entflechten (z.B. mit der Initiative «externe Seite Stick to Science»).
Übergangs- oder Ersatzmassnahmen?
Seit dem Ausschluss der Schweiz aus Horizon Europe ist von Übergangs- oder Ersatzmassnahmen die Rede. Das ist der Unterschied:
- Übergangsmassnahmen: Für die Horizon Europe-Programme, zu denen die Forschende in der Schweiz nicht zugelassen sind, hat die Schweiz für 2021 und 2022 insgesamt 1226 Mio. Schweizer Franken bereitgestellt.
- Ergänzungsmassnahmen: Ab 2023 stellt der Bund neue Fördermittel für Forschung und Innovation bereit, die unabhängig von der Assoziierungsfrage sind und inhaltlich keine Entsprechung bei Horizon Europe haben.
- Ersatzmassnahmen: das sind Fördermassnahmen, die eingerichtet würden, falls die Schweiz über 2024 hinaus nicht assoziiert würde. Dazu wird 2023 ein Bericht für den Bundesrat erstellt.
Weitere Details finden sich auf dieser externe Seite SBFI Webseite.
Weitere Informationen
- EU GrantsAccess
- Die Schweiz und Horizon Europe (EU GrantsAccess)
- externe Seite Horizon Europe und Euratom (Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI)
- externe Seite Update Massnahmen Horizon Europe (Schweizerischer Nationalfonds SNF)
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