2040 Essay Contest: Public Voting 2022
Im Frühjahr 2022 hat der Strategic Foresight Hub die ETH-Community zum zweiten Mal dazu eingeladen, ins Jahr 2040 zu reisen und Zukunftsvisionen zu teilen. Lese die ausgewählten Essays und stimme bis zum 1. Juli für deinen Lieblingsessay!
Unsere Zeitreisenden haben in inspirierenden Essays Visionen ihres Alltags an einer hybriden Universität im Jahr 2040 geteilt! Die anschaulichen Beschreibungen beinhalteten spannende Ideen wie:
- Studierenden, die in dezentralen Hubs leben
- KI-assistierten Studienprogrammen
- 15-minütigen Videos, welche herkömmliche Vorlesungen ersetzen
- Arbeiten und studieren to go
- Hybridisierung von Sozial- und Naturwissenschaften
- Hybridisierung aller Universitäten zu einem globalen Universitätsnetzwerk
- Studierende, die sich in virtuellen Universitätswelten treffen
- Vorlesungen, die aufgrund der hohen Temperaturen nachts stattfinden
- Assistierende Roboter, die durch die eigenen Gedanken gesteuert werden
Das SFH-Team hat vier Aufsätze fürs public voting ausgewählt. Kriterien für die Auswahl waren Relevanz in Bezug auf die Fragestellung, Kreativität, unterliegende Ideen und Lesefluss/ Spannung. Die Abstimmung läuft bis zum 1. Juli.
Der vom Publikum gewählte Essay, sowie einer vom SFH gewählter, werden weiterentwickelt, mithilfe von Foresight Methoden analysiert und als Booklet veröffentlicht.
Welcher Essay gefällt
Dir am besten?
Die Abstimmung ist abgeschlossen.
Download Essay 1 (PDF, 45 KB)
Wahlfreiheit
Gedanken verloren sitze ich in der Küche und schaue meinem Sohn beim Apfel essen zu. Nächstes Jahr wird er 20. Wie die Zeit fliegt, bin ich versucht zu sagen. Es scheint gestern, als er sich mit frechem Lächeln an die ersten Schritte gewagt hat. Aber dann kommen mir die turbulenten Jahre in den Sinn, die hinter uns liegen. Geboren wurde er mitten in der Coronapandemie.
Damals, insbesondere mit einem Baby, schien es mir ein Privileg von zu Hause aus zu arbeiten. Wie fortschrittlich wir uns damit doch fühlten, alles online und auf Distanz. Im Rückblick scheint es fast primitiv.
"Mit wem arbeitest du heute? "Mein Sohn unterbricht meine Gedanken. "Ich gehe hoch zu Angelika, der Bäuerin, die gerade oft bei uns ist und helfe ihr mit den Brohnen. Vielleicht hat sie das Auge dafür, wie wir die Brummer noch verbessern können." antworte ich.
Die Brohnen - unsere Bienen-Drohnen - die wir im Kollaborativ an der ETH entwickelt haben, leisteten guten Einsatz, immerhin hatten wir nach Jahren mit weltweiten Hungersnöten wieder häufiger frisches Essen auf dem Tisch. Trotzdem waren sie nicht perfekt. Sie zeigten immer noch eine Präferenz für gewisse Blüten und Pflanzen. Die Ursache dafür in Simulationen zu entdecken, war schwierig. Vielleicht kam uns ja durch die Arbeit auf dem Hof die zündende Idee.
In Gedanken driftete ich nochmal zurück. Wie viel sich doch geändert hatte. Kaum wäre es denkbar gewesen, dass Menschen ohne passendes Studium einfach Teil der ETH werden.
Heute ist das zum Glück anders. Alle haben begriffen, dass Innovation erst dort in vollem Umfang entstehen kann, wo Diversität gelebt wird. Theo kommt mir in den Sinn, der regelmäßig vorbeischaut, um das Summen der Brohnen zu bearbeiten. Als Konzertpianist hat er ein Ohr dafür und seine Intermezzi am Flügel im Atrium sind für viele eine willkommene Denkpause. Ich muss schmunzeln.
"Weswegen lachst du in dich hinein?" wieder reisst mich mein Sohn in die Gegenwart. "Ach. Ich musste daran denken, wie schön es ist, die Wahl zu haben." antworte ich. "Gehst du heute zu deiner Stammgruppe?", frage ich ihn. Er arbeitet, seit er vor kurzem seine obligatorische Lernzeit abgeschlossen hat, ebenfalls an der ETH und wählt seine Arbeit wie alle an zwei Tagen in der Woche frei. Die restliche Zeit züchtet er Brohnen kompatible Blumen im botanischen Garten.
"Neeh." Lacht er. "Ich helfe heute im Kindergarten am Zentrum. Die sind ganz begeistert von unseren neuen, farbigen Züchtungen." Ich runzle die Stirn. In letzter Zeit ist er an seinen Flex-Tagen fast immer dort statt im Gewächshaus. "Nun ja und die Lara, die ist echt nett." schiebt er dann noch nach.
Daher weht der Wind also. Die Kindergärtnerin, ist vielleicht eher der Grund als die Begeisterung der Kleinen. "Es ist doch wirklich schön die Wahl zu haben!", sage ich und zwinkere ihm zu, vielleicht sollte ich bald mal im Kindergarten meine Arbeit vorstellen und nebenbei diese Lara kennenlernen.
Wenig später stehe ich unter den Apfelbäumen mit Angelika. Um uns herum brummen unsere Brohnen und sichern uns die nächste Ernte. Angelika hatte ihre Flex-Tage in letzter Zeit bei uns in der Gruppe verbracht, nachdem ihr aufgefallen war, dass die Brohnen die Blüten erst kurz vor dem Verwelken anfliegen, was die Ausbeute der Ernte leider gewaltig reduzierte.
Wir beobachten, rätseln und diskutieren eine lange Weile, was für Verbesserungen wir vornehmen könnten.
Neben uns spielt Angelikas Tochter mit einem Ball und fragt dazwischen, worüber wir sprechen würden. Als ich ihr erkläre, dass wir nicht verstehen, warum die Brohnen nicht sehen, wann die Blüten am schönsten seien, lacht sie. Daraufhin schliesst sie die Augen, streckt die Nase hoch in die Luft und atmet tief ein. Sie müssen nicht sehen, sie müssen riechen, ruft sie dann und rennt ihrem Ball hinterher.
Angelika und ich schauen uns an und im Bewusstsein, dass uns gerade ein kleines Mädchen einen Schritt weiter gebracht hatte und wir wohl nächste Woche im Roboter Labor Geruchssensoren studieren würden, lachen wir los.
Download Essay 2 (PDF, 51 KB)
Ein typischer Mittwoch im Leben einer Chemieprofessorin in Singapur im Jahr 2040
ins Deutsche übersetzt
Mittwoch, 12. Oktober 2040, Singapur, gegen 8 Uhr morgens.
Maria sitzt in ihrem Büro an der Universität. Es befindet sich auf zweiten Etage. Sie hat das Privileg, ein Fenster zu haben. Auch wenn das Fenster blau getönt ist, um sie vor UV-Strahlung zu schützen, kann sie die Stürme und Blitze sehen, die etwa alle zwei Tage auftreten.
Maria sitzt in ihrem ergonomischen, weichen Biostuhl und streckt ihre Füsse unter dem Schreibtisch aus recyceltem Holz und Kunststoff aus. In der Hand hält sie eine Tube mit 3D-gedrucktem Kaffee-Vitamin D. Heute ist auf der Tube ein Eichhörnchen abgebildet, um auf diese bedrohte Tierart aufmerksam zu machen. Maria braucht ihre tägliche Dosis Vitamin D, da sie nur selten nach draussen geht. Die Kombination aus hohen Temperaturen und hoher Luftfeuchtigkeit verunmöglicht beinahe das Atmen. Sie trägt legere, elegante Kleidung, ein beiges Ensemble aus Kombucha-Stoff und eine dunkelrosa Jacke aus Bambusfasern. Ihr Haar ist kurz und hellbraun. Sie hatte sich vor einigen Jahren die Haare geschnitten, um daraus eine neue Handtasche der Firma Recyclair zu machen.
Deexiwala ist Marias Büro-Dipteroboter, hergestellt von der multinationalen Firma 10M. Deexiwala sieht aus wie ein tropischer Baum aus der Familie der Dipterokarpfen, mit einem menschenähnlichen Gesicht in der Mitte des Stammes. Deexiwala steht stolz in der hinteren Ecke des Büros, seine Äste ragen durch die Decke und die Wände, um sich mit den anderen Dipterobots der Universität sowie mit dem Aussenbereich zu verbinden. Deexiwala reinigt die Luft in Marias Büro, destilliert Wasser und zeichnet alle Daten und Informationen auf, die in Marias Büro und Labor anfallen. Deexiwala ist mit GA, der Grande Armillaria, verbunden. Die GA ist das organische Netz, das alle Roboter aller Art mit einem einzigen DNA-verbesserten Pilz der Art Armillaria gallica verbindet. Deexiwala wurde so programmiert, dass er mit der Stimme von Marias Mutter spricht.
Maria (sich streckend) Deexiwala, was habe ich heute vor?
Deexiwala (monotone Stimme) 9 Uhr, Vorlesung 6 für die Studierende von Seattle über Biokraftstoffsynthese durch Libellen im Hologramm-Aufnahmezentrum.
Maria (streckt sich immer noch) Wie gehe ich noch mal zum HAC?
Deexiwala (immer noch monotone Stimme) Vom Büro aus nehmen Sie den Aufzug zur Ebene B10. Nehmen Sie die Unterführung 13 auf der linken Seite bis zum Belüftungsschacht Lee Boon Chan. Biegen Sie dann links in die Unterführung der Autobahn A3 ein. An der JEM-Unterführung nehmen Sie den Aufzug zur Ebene B5.
Maria (setzt sich plötzlich auf und sieht Deexiwala an) Warum nicht Unterführung 14?
Deexiwala (spricht jetzt mit Betonung) Die Unterführung 14 wird gerade renoviert. Die Bodentemperatur in diesem Bereich hat gestern 40 Grad Celsius überschritten, was zu Kondenswasser in der Belüftungsleitung Van Nam Pong geführt hat und die gesamte Unterführung überflutet hat.
Maria Oh, ok. (kurze Pause, sie nippt eine Weile an ihrer Tube mit festem Kaffee-Vitamin D und schaut dann auf die digitale Tafel, die an der Wand hängt.) Und nach der HAC Lektion?
Deexiwala (gelangweilt) Um 12 Uhr bringen Sie den Woofrail in die Kindertagesstätte zum Mittagessen und zu Ihrer täglichen Eltern-Kind-Bindungsaktivität.
Maria Gehen wir diese Woche in den Indoor-Park?
Deexiwala Die heutige Aktivität ist ein virtueller Spaziergang durch das alte Singapur, als Temperatur und Luftfeuchtigkeit es noch erlaubten, tagsüber draussen zu sein.
Maria (plötzlich aufgeregt, hört auf zu nippen) Toll, ich liebe das! Und am Nachmittag?
Deexiwala (spricht schnell) 14 Uhr: Erstellung von Visualisierungen für das Food on Mars Stipendium. 17 Uhr: Treffen mit der Doktorandin Amoolyia. 18 Uhr: Woofrail zur Kindertagesstätte.
Maria (scrollt jetzt durch die digitale Tafel, indem sie Gesten in der Luft nach oben und unten macht). Kommt Amoolyia zu mir ins Büro?
Deexiwala (normale Stimme) Sie sagte, sie wolle sich lieber im Labor treffen, damit sie ihr laufendes Experiment betreuen kann. Offenbar haben einige Heuschrecken ein antisoziales Verhalten, das sie dazu bringt, vermehrt Treibstoff auszuscheiden.
Maria (liest weiter) Und was war der letzte Wert, den sie für die Energieerzeugung mit dem Heuschrecken-Salmonellen-System ermittelt hat?
Deexiwala 160 Wh pro Insekt.
Maria (wieder aufgeregt) Nicht schlecht! Erinnere mich daran, sie zu bitten, eine Vorhersage zu machen, wie viele Insekten wir brauchen, um den Woofrail einen Tag lang aufzuladen.
Maria steht schnell auf, nimmt ihre Handtasche und verlässt eilig den Raum.
Download Essay 4 (PDF, 44 KB)
Hybrid
Es ist 7:30 Uhr morgens, mein Wecker klingelt. Die tägliche Routine sorgt dafür, dass ich wie die meisten Tage schon ein paar Minuten vorher wach bin. Dennoch warte ich bis der Wecker klingelt. Aus Prinzip. Es ist Mittwoch, damit die Hälfte der Woche fast geschafft. Das Frühstück beschliesse ich bei diesem schönen Wetter draussen im Park einzunehmen. Beim Buffet treffe ich Francesco und Aleen, welche dieselbe Idee hatten. Francesco ist wie ich in der Schweiz aufgewachsen, allerdings im italienischsprachigen Teil, und studiert nun mit mir Maschineningenieurwissenschaften im 3. Semester an der ETH, am Standort an der portugiesischen Küste. Aleen hingegen ist in London aufgewachsen und derzeit an einer englischen Universität eingeschrieben. Dass wir gemeinsam hier sein können, haben wir einer grundlegenden Änderung der universitären Lehre unter dem Namen «Hybrid University» zu verdanken. Hybrid ist dabei die Vermittlung der Theorie, welche fast ausschliesslich digital stattfindet und mit praktischer Forschung und Übungen vor Ort kombiniert wird. Dies bedeutet mehr Forschungszeit für Lehrende und ermöglichte, Zweitstandorte der ETH ausserhalb von Zürich und der Schweiz zu eröffnen. Nun wird nicht mehr geforscht, wo der Campus liegt, sondern der Campus liegt dort, wo geforscht werden kann. Ich interessiere mich sehr für solare Energienutzung, weshalb ich mich für den Forschungsstandort in Portugal entschieden habe, wo neben vielen anderen Dingen zu Carbon Capture Verfahren und solarer Meerwasserentsalzung geforscht wird.
Ein ähnliches Konzept wie die Hybrid-Universität wurde auch an anderen Universitäten umgesetzt. Der hiesige Standort wird deshalb auch von anderen Universitäten betrieben, der Grund weshalb Aleen hier ist. Dies ermöglicht die Vernetzung innerhalb von Europa und das Kombinieren unterschiedlicher Ansätze.
Die Hybrid Universität brachte für alle Vorteile. Für die Professor:innen bedeutete es mehr Forschungszeit, für die Studierenden eine flexiblere Lerngestaltung, damit höhere Effizienz und mehr Zeit für anderes, für die ETH mehr internationale Studierende wegen der guten Forschungsbedingungen an vielfältigen Standorten und für die Schweizer Wirtschaft international noch besser vernetzte Forscher:innen.
Nach dem Frühstück gehen wir zu den Lernplätzen im Park. Hier ist es etwas kühler als im Rest des Campus. Ab 10 Uhr haben Francesco und ich eine Übungslektion bis zum Mittag, bis dahin können wir Theorievideos schauen. Es gibt zu jedem Thema drei verschiedene Videos, welche unterschiedlich ausführlich sind. So verliert man keine Zeit mit Dingen, die man schon verstanden hat, kann aber gegebenenfalls die nötigen Erklärungen erhalten.
Über den Mittag ist es meist sehr heiss. Im Park und in den Gebäuden ist es zwar auszuhalten, aber die Sonne und das Mittagessen machen es einem nicht leicht sich zu konzentrieren, weshalb wir dann meist einen Mittagsschlaf machen. Am Nachmittag treffen wir uns dann in unserer Projektgruppe. Man kann entweder an den «grossen» Forschungsprojekten mitarbeiten, die, wegen denen der Standort hier gewählt wurde, oder selbst Projektideen einreichen. Ich habe mich für die Mitarbeit am Meerwasserentsalzungsprojekt entschieden, wo wir nun zu fünft in unserer Projektgruppe an einer Verbesserung des Grobfilterreinigungssystems arbeiten. Ich schätze sehr, dass wir in dieser Gruppe sowohl international gemischt sind als auch über verschiedene Jahrgänge hinweg zusammenarbeiten. So kann ich von älteren Masterstudierenden profitieren, und sie können Erfahrungen in der Teamleitung sammeln.
Anschliessend gehe ich relativ früh in die Abendpause. Zusammen mit meinen Freunden gehen wir essen und manchmal spielen wir noch eine Runde Volleyball. Während viele so den Tag ausklingen lassen und dafür am nächsten Morgen etwas früher aufstehen, nutze ich lieber die kühlen Abendstunden, um noch ein paar Übungsaufgaben zu lösen.
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