Begrüssung der Erstsemestrigen: Mehr Orientierung

Wie sollten neue Studierende die ETH kennenlernen? Reicht hierzu ein Erstsemestrigentag? Nein, findet Kolumnistin Julia Wysling und erklärt warum.

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Neue internationale Masterstudierende bei der Begrüssung an der ETH Zürich. (Bild: Thomas Langholz)

Das Studierendenleben an der ETH dreht sich momentan nur um eines: Die anstehenden Prüfungen. Während andere sich in den Bergen beim Skifahren vergnügen, sind die Bibliotheken an der ETH bis spät am Abend zum Brechen voll, im Stundentakt begegnet man auf der Piazza auf dem Hönggerberg nervösen Studierenden kurz vor Prüfungsbeginn und der Kaffeekonsum auf dem ETH-Gelände steigt wohl gegen Ende Januar auf Rekordhöhe.

Und doch: Es gibt ein Leben nach den Prüfungen. Kurz nach dem Ende der Prüfungssession, am 17. Februar, beginnt das Frühlingssemester. Zu diesem Anlass dürfen wir auch einige neueintretende Masterstudierende begrüssen, sogenannte MoEBs (Master ohne ETH-Bachelor). Für diese gilt es innerhalb möglichst kurzer Zeit, das komplexe System ETH zu verstehen, sich in einem fremden Land zurechtzufinden und sich an den neuen Studienalltag zu gewöhnen.

Wenn ich mich an meine Anfangszeit im Studium zurückerinnere, waren meine ersten Schritte an der ETH von Unsicherheit geprägt. Kaum ist der Erstsemestrigentag vorbei, an dem die Hälfte der Veranstaltungen zu schnell gingen und alles sehr unpersönlich war, soll man schon die ersten Vorlesungen besuchen, in denen der Professor munter Sachen auf eine Art erzählt, mit der man nie zuvor konfrontiert war. Die erste Übungsserie kann man sich nur entsetzt anschauen – trotz guten Übungsassistenten gibt es kaum ältere Studierende, die einen richtig an der Hand nehmen und zeigen, dass alles nur halb so schlimm ist. Bevor man sich versieht, steht die Basisprüfung vor der Tür und danach freut man sich, dass man dank neuen Erstsemestrigen nicht mehr zu den Ahnungslosesten an der ETH gehört. Trotzdem fühlt man sich weiterhin in dem riesigen Gebilde verloren, spätestens dann wieder, wenn die Zeit kommt, sich zu spezialisieren: Auf einmal wundert man sich, welche Institute und Gruppen es am eigenen Departement überhaupt gibt und wie man mit diesen in Kontakt treten soll.

Sich dabei auch noch mit der ETH zu identifizieren, fällt vielen schwer. Trotz vielen sozialen und wissenschaftlichen Angeboten bleiben kaum Studierende nach Vorlesungsschluss auf dem ETH-Gelände. Dadurch fühlen wir uns der ETH nie wirklich zugehörig und denken nach absolviertem Studium auch nicht an sie zurück, als wäre sie ein langjähriges Zuhause, sondern begegnen ihr mit den gleichen Gefühlen wie unserer ehemaligen Primarschule. Das ist schade, da ein Zugehörigkeitsgefühl sowohl die Hochschule selbst auch als das Leben jedes Einzelnen an der Hochschule massiv verbessern könnte.

Ein Ansatz, der meiner Ansicht nach schon viel zum gemeinsamen Ziel «Identifikation mit der ETH» beitragen würde, wäre anstatt einem Erstsemestrigentag zwei oder drei zu veranstalten. An diesen könnten Studierende die ETH, die Departemente, die Studierendenorganisationen und die Stadt Zürich in einer etwas ruhigeren Atmosphäre kennenlernen. Anstatt während nur einem Tag von einer Veranstaltung zur nächsten zu hasten, wäre genug Zeit vorhanden, um das Departement und die dazu gehörenden Personen und Anlaufstellen richtig kennenzulernen und einen Einblick in die administrativen Prozesse zu erhalten. Anstatt am Erstsemestrigentag immer suchend nach jemandem Ausschau zu halten, der einem bekannt vorkommt, könnte man während dieser Tage an sozialen Anlässen Mitstudierende und Höhersemestrige in ungezwungener Atmosphäre kennenlernen und dabei die Kontakte knüpfen, die man während dem Studium so bitter nötig hat. Viele Probleme, die sich momentan im Verlauf der Studienzeit an der ETH den Studierenden in den Weg stellen, könnten durch die Kontakte und weniger Berührungsangst zu Leuten in höheren Semestern, zu Professoren und Departementsstellen einfach gelöst werden.

Diese Idee ist nicht ganz neu. Der VSETH hat der Schulleitung schon öfters Konzepte zu “Orientierungstagen” vorgestellt, bisher ohne Erfolg. Das Departement Informatik hat diese Orientierungstage sogar schon einmal durchgeführt: Von Mittwoch bis Freitag vor Semesteranfang im Jahr 2008. Die Rückmeldungen von Seiten der neueintretenden Studierenden und von der Administration des Departements war sehr positiv, eine Ausweitung des Projektes wurde gefordert, ist aber nie eingetreten. Vielleicht wäre es an der Zeit, dieses Projekt wieder in Angriff zu nehmen. Die ETH kann dabei viel gewinnen: Je schneller Studierende mit der Hochschule vertraut sind, desto schneller fühlen sie sich ihr zugehörig und tragen aktiv zu ihr bei.

Die Umsetzung eines solchen Projektes dauert natürlich eine Weile und braucht viel Kraft. Trotzdem könnte und sollte man schon jetzt den Grundstein für die zukünftigen Jahre legen. Genug Vorbilder im In- und Ausland hat man ja: Die TU Delft führt mit der OWee eine ganze Orientierungswoche durch und auch an der HSG bekommen neueintretende Studierende in der sogenannten Startwoche einen Einblick in das zukünftige Studiengebiet und die Hochschule. An der ETH muss man ja nicht gleich nach den Sternen greifen: An einigen Departementen zwei anstatt einen Erstsemestrigentag durchzuführen, würde wohl alle Beteiligten schon stark fordern und die Erkenntnisse zulassen, die für eine Weiterentwicklung des Projektes nötig sind.

Die im Frühling ankommenden MoEB-Studierenden werden – ganz gleich, ob dieses Projekt bald oder erst in ferner Zukunft umgesetzt wird – einen hoffentlich informativen Einführungstag erleben und dadurch ihre ersten Vorlesungen verpassen. Ich wünsche ihnen viel Durchhaltevermögen und Erfolg dabei, sich an der ETH zurechtzufinden und hoffe, dass sie sich zugehörig fühlen werden. Denn dieses Zugehörigkeitsgefühl macht das Studium – und da spreche ich aus eigener Erfahrung – zu einer erfüllenden Tätigkeit, in der man sich traut, über den Tellerrand zu schauen, die Möglichkeiten, die die ETH bietet nutzen kann und schliesslich das von der Hochschule erhält, für das man sie besucht: Eine sehr gute Ausbildung, nicht nur im eigenen Studienfach, sondern in allen Belangen.

Zur Person

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Julia Wysling

Im November 2013 wählte der Mitgliederrat, das oberste Organ des Studierendenverbands VSETH, Julia Wysling zu seiner Präsidentin. Sie wurde 1990 in Zürich geboren und ist in Zürich, Wien und Uster aufgewachsen. Nach erfolgreich absolvierter Matura an der Kantonsschule Rämibühl inklusive Austauschjahr in Australien studiert sie seit 2009 an der ETH Mathematik. Zuvor war Julia Wysling schon in ihrem Fachverein VMP (Verein der Mathematik- und Physikstudierenden), in mehreren VSETH-Kommissionen und im Verein SoNaFe/WiNaFe tätig. Besonders faszinierend an der Arbeit im VSETH findet sie das Zusammenspiel zwischen der politischer Vertretung der Studierenden und dem Angebot von Dienstleistungen. In ihrer Freizeit trainiert Julia Wysling für einen Triathlon.

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