Zwischen Afrika und Asien

Ein Umzug von Äthiopien nach Singapur ist wie eine 180-Grad-Wende. Kolumnistin Marta Heisel-Wisniewska berichtet über ihre Erfahrungen aus zwei gegensätzlichen Welten.

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Marta in Addis: «Meine Bindung mit den Schülern war stark und unvergesslich». (Bild: Marta Wisniewska-Heisel)

Für jemanden, der nie auf Reisen war, ist die eigene Mutter die beste Köchin. - Afrikanisches Sprichwort

Es gibt viele Gründe, im Ausland neue Erfahrungen zu sammeln. Manche gehen schon während ihrer Ausbildung, andere sind auf der Suche nach einem spannenden Job, und andere wieder – so wie ich – werden von ihrem Forschungsdrang und ihrer Entdeckerlust angespornt. Ein Umzug in ein anderes Land bietet einen viel tieferen Einblick in diese «fremde Welt» als eine Woche Pauschalurlaub. Durch einen Umzug lernt man auch Einheimische kennen und bekommt dadurch auch einen Einblick in die fremde Kultur, die für Touristen oft verschlossen ist, sei durch eine Einladung an eine traditionelle Hochzeit, die Einweihung in die Geheimnisse der lokalen Kochkünste, eine Osternacht auf dem Gipfel eines heiligen Berges…

Ich habe schon immer davon geträumt, Afrika zu bereisen. Ich bewarb mich um verschiedene Stellen auf dem afrikanischen Kontinent und erhielt schon bald ein interessantes Angebot aus Äthiopien. Nur zwei Wochen nach nach meinem Architekturdiplom an der West Pomeranian University of Technology (ZUT) im polnischen Stettin sass ich schon im Flugzeug. Als ich meinen Freunden meinen Umzug nach Afrika verkündete, führte dies zu unterschiedlichen Reaktionen: Das Land am Horn von Afrika ist kein Ziel für Touristen und war den meisten unbekannt. Manche Freundinnen und Freunde machten sich Sorgen und sahen mich schon in einer selbstgebauten Lehmhütte enden, irgendwo mitten im Urwald. Andere fanden dies aber spannend und interessierten sich ebenfalls für eine Ostafrika-Reise. Einige von ihnen sollten mir später folgen.

Ein Jahr arbeitete ich in Addis Abeba am Äthiopischen Institut für Architektur, Bauwesen und Stadtentwicklung (EiABC), das auch von der ETH Zürich unterstützt wird. Als Dozentin für Architektur musste ich rasch lernen, wie man Hunderte von Studienanfängern in einer einzigen Aula unterrichtet – bei ständigen Stromausfällen, Platznot und fehlender Infrastruktur. Dies verlangte mir ein hohes Mass an Flexibilität und Improvisationstalent während des Unterrichts ab. Die Situation stärkte gleichzeitig die Bindung zwischen Studierenden und Lehrenden - eine für mich unvergessliche Erfahrung. Dieses Auslandsjahr gehört zu den wertvollsten und lehrreichsten Erfahrungen meines Lebens und beeinflusst meine Einstellung, wie ich mit neuen Situationen umgehe.

Kurz bevor mein Arbeitsvertrag in Afrika endete, nahm ich eine neue Stelle als Forschungsassistentin von Dirk Hebel, Professor am Departement Architektur, am Future Cities Laboratory (FCL)(Link) in Singapur an. Das Institut steht auf einem neuen Campus, der bei verschiedenen Architektur-Events schon einige Preise erhalten hat. Auf Schritt und Tritt kann man den äusserst modernen, «ökologischen» und «nachhaltigen» Geist spüren, der dort herrscht. Die Arbeitseffizienz ist hoch: Es gibt keine unerwünschten Unterbrechungen - höchstens einmal, um die Klimaanlage zu reinigen oder eine Brandschutzübung durchzuführen. Alles funktioniert einwandfrei – und so wird das Alltagsleben vor Ort vorhersehbar und manchmal sogar etwas langweilig. Selbst der Regen kommt pünktlich zu selben Zeit. Dank meiner FCL-Kolleginnen und -Kollegen, verfalle ich nicht in starre Routine. Die meisten FCL-Forschenden werden direkt in Singapur rekrutiert, so dass das Team vor Ort sehr international ist. Dies ist nicht nur für die Forschung wertvoll, sondern die Mitarbeitenden können kulturelle Unterschiede aus erster Hand erfahren.

Mein Umzug von Äthiopien nach Singapur, vor rund zwei Jahren, war wie eine 180-Grad-Wende. Beide Länder könnten nicht unterschiedlicher sein, und könnten doch viel voneinander lernen. In Singapur fehlen mir die Offenheit und Herzlichkeit der Afrikaner; ihre Begeisterung und Aufmerksamkeit für kleine Dinge, ihre Wertschätzung und Pflege von Kontakten. Im Gegensatz dazu haben mir der asiatische Unternehmergeist und der geschickte, wenn auch manchmal etwas raue Umgang mit den Mitarbeitenden in Singapur gezeigt, dass sich die Afrikaner manchmal durch ihre Mentalität selbst im Weg stehen, wenn es um den Erfolg geht. So könnte man weitere, spannende Vergleiche zwischen diesen beiden Welten ziehen, die unsere Forschungsprojekte inspirieren können. Ein Beispiel hierfür ist, mein Vorgesetzter in Singapur derzeit an Low-Tech-Materialien forscht, die die meisten Entwicklungsländern leicht bekommen können, und kombiniert diese mit einer High-Tech-Komponente.

Schon in wenigen Monaten komme ich zurück nach Europa. Dank meiner internationalen Forschung bin ich in der glücklichen Lage, jederzeit wieder nach Afrika oder Asien reisen zu können, um meine neuen Freunde wiederzusehen. Sie sind meine neue Familie geworden. Drei Jahre auf drei verschiedenen Kontinenten zu leben und zu arbeiten, haben meine berufliche Tätigkeit und mein Leben sehr beeinflusst. So sehr ich mich auf einen neuen Lebensabschnitt in einem weiteren Land freue: Ich bin dankbar für die Erfahrungen, die ich in Afrika und Asien machen durfte, und ich weiss, dass das Wissen, das ich dort erworben habe, niemals verloren gehen wird. Diese Zeit wird stets ein Quell an Erfahrungen, Begebenheiten und Anekdoten sein, von denen ich in den kommenden Kolumnen berichten werde.

 

Zur Person

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Marta Heisel-Wisniewska  ist derzeit als Forscherin am Future Cities Laboratory (FCL) in Singapur im Auftrag der Professur für Architektur und Bau tätig. Von 2004 bis 2011 studierte sie am Departement Architektur und Städteplanung der Westpommerschen Technischen Universität Stettin (ZUT) in Polen sowie am Departement Architektur der Hochschule für Künste in Berlin. Bevor sie zum FCL nach Singapur berufen wurde, war sie Dozentin und Koordinatorin des Architekturprogramms am Äthiopischen Institut für Architektur, Bauwesen und Städteentwicklung in Addis Ababa, wo sie Mitglied einer Forschungsgruppe war, die sich mit dem Design von Flüchtlingsauffangeinrichtungen befasste. Für ihr Engagement wurde sie von EiABC-Studentenrat im Jahr 2011 mit dem 'Best Teaching Award' ausgezeichnet.

 

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