«Die meisten ETH-Angehörigen kommen erstaunlich gut zurecht»
Halbzeit bei der dreimonatigen Erhebung der Arbeitssituation von ETH-Angehörigen in Zeiten des Coronavirus: Die Initiantin Gudela Grote gibt einen Einblick in die Zwischenresultate.
Die ETH ist seit Wochen im Notbetrieb: Für die überwiegende Mehrheit von uns bedeutet das Homeoffice. Wie geht es uns dabei? Schaffen wir es, trotzdem weiterhin effizient zu arbeiten? Können wir auch in physischer Isolation mit Kolleginnen und Kollegen verbunden bleiben?
Diese Fragen beschäftigen nicht nur uns, sie trieben auch die Schulleitung um, als sie sich gezwungen sah, Mitte März den Notbetrieb zu erklären. Gudela Grote, ETH-Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie, nahm die Ausnahmesituation zum Anlass, eine Umfrage zu starten, um konkrete Antworten zu erhalten.
Die Forscherin geht in ihren Fragestellungen aber einen Schritt weiter: Sie will wissen, ob uns die Erfahrungen, die wir im Notbetrieb machen, Impulse geben kann für die Art und Weise, wie wir künftig zusammenarbeiten.
Frau Grote, Sie haben Ende März alle Dozierenden, Forschenden und Mitarbeitenden zur Teilnahme an ihrer Studie aufgerufen. Wie sieht die Beteiligung aus?
An der ersten Befragungsrunde haben rund 3500 ETH-Angehörige mitgemacht, also ein Drittel aller Angeschriebenen. Eine erfreuliche Zahl! Jetzt macht noch knapp die Hälfte mit, davon je 700 technisch-administrative Mitarbeitende und Angehörige des Mittelbaus sowie etwa 120 Professorinnen und Professoren und Senior Scientists. Wenn ich hier gleich einen Aufruf platzieren darf: Wir würden uns freuen, wenn sich an den kommenden Erhebungsrunden möglichst viele beteiligen!
Bei Ihrer Erhebung ist nun Halbzeit: Fünf Fragerunden sind vorbei, fünf weitere ausstehend. Wie geht es den ETH-Angehörigen in der momentanen Situation?
Es zeichnet sich insgesamt ab, dass die meisten erstaunlich gut zurechtkommen. Die Grundstimmung ist gut, das Gefühl von Stress hat über die Zeit abgenommen, und insbesondere die Produktivität wird allgemein als hoch eingeschätzt. Manche zeigen sich selbst erstaunt, wie gut sie arbeiten können. Das geht aus den offenen Antworten hervor, in denen wir bisher über 2000 positive Geschichten lesen durften.
Das tönt erfreulich. Wie aber sieht es mit den negativen Seiten aus? Gibt es keine Anzeichen von psychischen Problemen durch die Isolation?
Das erfreuliche Bild zeigt sich vor allem, wenn wir die geschlossenen Fragen betrachten. Den 2000 positiven Geschichten in den offenen Fragen stehen aber ebenso viele negative gegenüber. In diesen geht es bei einem Drittel um soziale Isolation, mangelnde Nähe und hohe psychische Belastung. Auch Schwierigkeiten, sich für die Arbeit zu motivieren, werden öfters genannt.
Was raten Sie diesen ETH-Angehörigen?
Auf jeden Fall den Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen, aber auch zu Vorgesetzten suchen und nicht versuchen, alles mit sich alleine auszumachen. Unsere Erhebung zeigt, dass es generell gute Unterstützung in den Teams zu geben scheint.
Das impliziert auch Ausnahmen…
Ja, es gibt einige Aussagen, die uns aufhorchen liessen. So schrieb jemand, dass der Professor sich mehr um das Wohl seiner Büropflanzen sorgt als um ihn/sie. Jemand anders berichtet von einem Vorgesetzten, der sich weigert, an virtuellen Sitzungen teilzunehmen und nur per E-Mail kommuniziert. In solch problematischen Fällen rate ich ETH-Angehörigen, sich unbedingt an die gängigen Anlaufstellen zu wenden. Auch unsere Personalabteilung, etwa Martin Ghisletti von der Personalentwicklung, hat dafür jederzeit ein offenes Ohr.
Gibt es neben der sozialen Isolation weitere generelle Aspekte, die Mitarbeitende als schwierig empfinden?
Vor allem am Anfang haben viele empfunden, dass der Druck, ausserhalb der regulären Arbeitszeiten verfügbar zu sein, im Homeoffice zugenommen habe. Das waren anfänglich über ein Drittel der Befragten, jetzt ist es immer noch knapp ein Viertel. Ich finde es wichtig, dass dieser Aspekt mit den Vorgesetzten oder aber gleich in der ganzen Arbeitsgruppe thematisiert wird.
Gibt es Gruppen von ETH-Angehörigen, die besonders unter Druck sind?
Generell sind das die Forschenden, besonders die Doktorierenden und Postdocs mit Zeitverträgen, die nicht in ihre Labors konnten. Das sollte ja nun aber wieder einfacher werden. Wir werden in den nächsten Wochen sehen, wie sich die allmähliche Rückkehr der Gruppen in die Labore auf die Arbeitssituation und das Wohlbefinden auswirken.
Kommen wir zurück auf die positiven Erfahrungen, die Sie eingangs erwähnt haben. Was sticht da heraus?
Die am häufigsten genannten positiven Erfahrungen betreffen den grossen Teamgeist und die Effektivität des virtuellen Zusammenarbeitens. Auch die Qualität der Kommunikation wird sehr positiv wahrgenommen. Die Mehrheit beurteilt auch die Unterstützung durch die ETH als sehr positiv, wobei da die Zahlen seit der ersten Erhebungsrunde leicht rückläufig sind. Die Anfangsbegeisterung darüber, wie schnell wir alle diesen Wechsel geschafft haben, ist wohl ein bisschen von der Realität eingeholt worden. Es zeigen sich auch Schattenseiten.
Die Befragungen dauern noch fünf Wochen an. Was passiert am Ende der Erhebung mit den Resultaten?
Wir stehen schon jetzt fortlaufend in Kontakt mit der Schulleitung und der Personalabteilung, damit Erkenntnisse aus der Befragung in den ETH-Alltag einfliessen können. Die Teilnehmenden geben in den Fragebogen auch selbst immer wieder sehr gute Tipps, wie sie die ausserordentlichen Herausforderungen meistern. Eine erste Auswahl werden wir noch diese Woche auf unserer Homepage zur Verfügung stellen. Das Ende der jetzigen Befragungen wird ja leider nicht das Ende dieser aussergewöhnlichen Zeit sein. Daher werden wir die Situation auch weiter verfolgen und mit umfänglicheren Auswertungen unserer Daten Hinweise für die Arbeitsgestaltung geben.
Haben die Resultate eine Wirkung über die momentane Situation hinaus?
Ich bin unter anderem auch im Projekt rETHink engagiert, konkret beim Workstream 6, bei dem es um die Kultur der ETH geht. Gerade in einer Krise zeigt sich die Kultur einer Organisation besonders deutlich. Ich verspreche mir von unserer Befragung wichtige Impulse für die laufende Kulturentwicklung. Daneben deuten die Resultate darauf hin, dass eine Arbeitswelt mit weniger Pendeln und Reisen mindestens so produktiv sein kann - das hilft uns allen in unserem persönlichen Wohlbefinden und dem Planeten.
An der Studie mitmachen
Wer sich für die Studie bereits angemeldet hat, erhält für die fünf ausstehenden Befragungsrunden weiterhin die E-Mails mit dem Login-Link. Auch wer mal pausiert hat, kann jederzeit wieder einsteigen. Aber auch neue Teilnehmende sind willkommen. Sie melden sich bei per E-Mail beim Forschungsteam ().
Weitere Informationen
Tipps zur Arbeitssituation aus der laufenden Studie und weitere Hinwesie für das Arbeiten von zuhause finden sich auf der Website der Professur Arbeits- und Organisationspsychologie.