«Vor den ETH-Angehörigen ziehe ich meinen Hut»
Am 17. März hat die ETH angekündigt, dass sie auf Notbetrieb umstellt. Seither wurde der Präsenzunterricht eingestellt und der Forschungsbetrieb vor Ort bis auf das Minimum heruntergefahren. Wie die ETH im Ausnahmezustand funktioniert, erklärt ETH-Vizepräsident Ulrich Weidmann, der den Krisenstab leitet.
Herr Weidmann, wie beurteilen Sie aus Sicht des Krisenstabs die Situation an der ETH in der dritten Woche im Ausnahmezustand?
Ulrich Weidmann: Lehre, Forschung und Verwaltung haben quasi über Nacht mit einer bewundernswerten Leistung alle Prozesse, die das erlauben, ins Netz verlagert. Die ETH hat sich im Zeitraffer weitgehend dezentralisiert und digitalisiert, und sie ist funktionsfähig geblieben, auf gewohnt hohem Niveau. Vor den ETH-Angehörigen ziehe ich meinen Hut – wir sind eine starke Gemeinschaft!
In welchen Bereichen ist die Umstellung besonders rasch gelungen?
Zu erwähnen sind als Erstes die Dozierenden, Forschenden und Studierenden, die innert Tagen alle ihre Vorlesungen in den virtuellen Raum verlegt haben und die auch bereit waren, sofort ihre Experimente zu stoppen. Aber auch alle Schulleitungsstäbe, der Betrieb und die Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Umwelt (SGU) mit den Leuten vor Ort, die Informatikdienste oder HR haben ihr Bestes gegeben. Entscheidend dafür, dass dies alles recht gut geklappt hat, war die Kommunikation nach innen. Die Hochschulkommunikation hat zusammen mit SGU umgehend einen Informationshub zum Coronavirus aufgebaut. Und sie hat die bisherigen Kanäle auf den hohen Informationsbedarf ausgerichtet und ergänzt. Nicht vergessen dürfen wir in diesem Zusammenhang das Finanzmanagement. Dort hat man sofort sichergestellt, dass die ETH ihre Rechnungen rechtzeitig bezahlen kann. Das ist ein Teil der gesellschaftlichen Verantwortung, die wir in dieser Situation ebenfalls wahrnehmen müssen. Denn bei allen Schwierigkeiten: An der ETH sind wir im Vergleich zu anderen in einer sehr privilegierten Situation.
Wo stösst die Digitalisierung an ihre Grenzen?
Insbesondere die zahlreichen ETH-Forschenden, die auf ein Labor angewiesen sind, müssen im Moment schmerzhafte Einschnitte hinnehmen. Hier können wir nur immer wieder um Verständnis bitten. Wir anerkennen sehr, wie unsere Forschenden mit grossem Engagement ihre Arbeit trotz aller Einschränkungen und Hindernissen energisch vorantreiben. Auf der anderen Seite sind wir schon auch mit der Frage konfrontiert worden, weshalb Reinigungsequipen und Bauleute noch in die Gebäude dürfen, während die Forschenden zuhause bleiben müssen.
Sie sprechen es an: Ganz verwaist sind die Gebäude nicht. Wer darf denn jetzt noch an der ETH arbeiten?
Dazu haben wir Regeln erarbeitet, die man auf der Corona-Website der ETH abrufen kann. Zutritt haben zum Beispiel Dozierende, die ihre Lehrveranstaltung auf Video aufnehmen oder streamen müssen, zudem das entsprechende Supportpersonal in IT und Akademischen Diensten. In der Forschung braucht es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die jene Versuche am Laufen halten, die vom Vizepräsidenten für Forschung bewilligt worden sind. Eine Spezialbewilligung erhalten auch die bisher rund 20 Projekte, die unverzüglich zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie lanciert wurden. Im Weiteren gibt es kritische Infrastrukturen wie das Mauszentrum EPIC, die nicht heruntergefahren werden können und für die es Fachpersonal vor Ort braucht. Eine stark reduzierte Reinigung ist ebenfalls unverzichtbar, und die Bauarbeiten werden nicht gestoppt – selbstverständlich immer unter Einhaltung der Schutzmassnahmen des BAG. Dies kontrollieren wir selbst stichprobenweise. Da die Gebäude praktisch leer sind, ziehen verschiedene Handwerksbetriebe ihre Arbeiten bei uns vor und werden daher weniger stören, wenn wir wieder im regulären Betrieb sind.
Home-Office und Online-Meetings benötigen entsprechende Ausrüstung. Wie stellen Sie sicher, dass Rechner, Bildschirm und Kommunikationsmittel bei allen vorhanden sind?
Mitarbeitende können ihre Computer, Monitore und weitere Geräte, die sie im Homeoffice brauchen, temporär nach Hause nehmen. Wenn sie ihren privaten Computer für die Arbeit nutzen, stellt ihnen die ETH wie bisher verschiedene Software zur Verfügung. Neu können alle ihr Telefon auf den privaten Festnetz- oder Handyanschluss umleiten. Wenn eine Webcam oder ein Kopfhörer fehlt, können diese in Absprache mit dem oder der Vorgesetzten beschafft werden; die ETH übernimmt die Kosten für angemessene Standardausrüstung. Das gilt auch für einen Anteil der Kosten für einen Drucker, falls es einen solchen aus betrieblichen Gründen braucht.
Und wie sieht es mit dem Internetanschluss aus?
Wir gehen davon aus, dass ETH-Mitarbeitende über einen solchen Anschluss verfügen. Die Kosten dafür können wir nicht übernehmen, auch wenn der Anschluss extra eingerichtet werden muss.
Bei vielen Mitarbeitenden fallen zusätzliche Kosten an, zum Beispiel für das Telefon, Toner, Papier und so weiter. Die ETH Zürich leistet dazu keinen Beitrag; warum?
Wir sind in vielerlei Hinsicht grosszügig, zum Beispiel bei der Kinderbetreuung oder – wie gezeigt – bei der IT. Wir sind aber eine privilegierte öffentliche Institution, was Solidarität erfordert. Denken wir daran: Kein Arbeitsplatz ist gefährdet, kein Lohn ist gefährdet, die ETH ist nicht gefährdet. Gleichzeitig ist vielen Menschen in der Schweiz die wirtschaftliche Existenz entzogen worden, und täglich erreichen uns Nachrichten von tragischen Schicksalen.
Sprechen wir kurz das an, was die Krise auslöste. Wie viele ETH-Angehörigen haben sich mit dem Corona-Virus infiziert?
Momentan haben wir vier bestätigte Fälle bei Mitarbeitenden registriert. Sie wurden an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten festgestellt. Ein Bezug zwischen den Fällen lässt sich aufgrund unserer Informationen nicht herstellen.
Wie werden Teammitglieder informiert, wenn sich eine Kollegin oder ein Kollege angesteckt hat?
Mitarbeitende mit Krankheitssymptomen sind aufgefordert zu Hause zu bleiben und umgehend ihren Vorgesetzten, ihre Vorgesetzte, zu informieren. Bei der weiteren Kommunikation muss der Gesundheitsschutz aller Mitarbeitenden im Sinne der Fürsorgepflicht beachtet werden. Es sind also alle Kolleginnen und Kollegen zu informieren, die mit der erkrankten Person in Kontakt waren. Darüber hinaus muss der Daten- und Persönlichkeitsschutz der erkrankten Person respektiert werden. Vorgesetzte sollen ihren Bereich angemessen und nach dem «need-to-know»-Prinzip über diese Situationen informieren, am besten in Absprache mit der erkrankten Person. Generell gilt hier: «So offen wie nötig und so zurückhaltend wie möglich».