Ein Bauingenieur mit Blick fürs Ganze
Thomas Vogel, Professor für Baustatik und Konstruktion, hat den Schweizer Ingenieurbau geprägt und sich an der ETH Zürich in zahlreichen Funktionen verdient gemacht. Nach 28 Jahren im Dienst der Hochschule tritt der engagierte Bauingenieur in den Ruhestand.
Gross vorstellen muss man Thomas Vogel nicht. Man kennt ihn an der ETH – und auch ausserhalb der Hochschule. Vogel ist Spezialist für Baustatik und Stahlbetonkonstruktionen. Brückenbau ist sein engeres Gebiet. Er erforscht, was Tragwerke sicher und langlebig macht. Als Hochschullehrer hat er Generationen von Studierenden in die Kunst des konstruktiven Ingenieurbaus eingeführt. Stürzt irgendwo ein grösseres Bauwerk ein, klingelt Vogels Telefon. Seine Expertise ist in der Fachwelt und bei Medien gefragt.
Nun wird Thomas Vogel Ende Januar emeritiert. Mitte November hätte seine Abschiedsvorlesung in der Stadthalle Bülach stattfinden sollen. Hätte, denn der Anlass fiel – wie viele andere auch – der Pandemie zum Opfer.
Vogel hatte seinen Abschied mit viel Herzblut vorbereitet. Sagte die Veranstaltung dann aber «aus Einsicht» ab, noch bevor der Bundesrat solche Aktivitäten Ende Oktober ohnehin unterband. Das Virus sei letztlich eine Naturgewalt. «Das macht es irgendwie auch einfacher», sagt er. Nachholen wird er die Abschiedsvorlesung nicht.
Gewiss, seinen Abgang hat sich Vogel anders vorgestellt. Doch Trübsal blasen ist nicht sein Ding. Auch wenn er die letzten zehn Monate seiner Karriere fast ausschließlich im Homeoffice verbrachte – seinen Humor hat er nicht verloren. «So konnte ich schon mal den Ruhestand üben und schauen, wie es meine Frau mit mir zuhause aushält», schmunzelt er und räumt ein, die erste Welle im vergangenen Frühling hätte dafür aber eigentlich gereicht.
Der Professor, der aus der Praxis kam
Thomas Vogel wurde im Herbst 1955 in Aarau geboren und wuchs in Rheinfelden auf. Sein Vater war Forstingenieur und nahm ihn als Kind oft mit in den Wald. Der Grossvater mütterlicherseits war Professor an der ETH. Sie gaben dem Jungen zwei Dinge mit auf den Weg: seine Leidenschaft für die Natur, besonders für Bäume, und der frühe Wunsch, selber einmal Professor zu werden.
Vogel studierte Bauingenieurwesen an der ETH Zürich und schloss 1980 mit dem Diplom ab. Zunächst zog es ihn in die Praxis. Er arbeitete zwölf Jahre in Ingenieurbüros im Brücken- und Hochbau, anfangs als Projektleiter in einem Büro in Chur, dann als leitender Mitarbeiter und bald als Geschäftsführer eines mittleren Ingenieurbetriebs in Zürich.
1992 folgte der Ruf an die ETH Zürich. Der junge Praktiker trat die Nachfolge des berühmten Schweizer Brückenkonstrukteurs Christian Menn an. Seit 1995 ist Vogel ordentlicher Professor für Baustatik und Konstruktion am gleichnamigen Institut des Departements Bau, Umwelt und Geomatik.
Von Brücken, Stahlbeton und Steinschlägen
Beton ist als Werkstoff spröde und brüchig. Verstärkt man ihn jedoch mit Stahl, kann sich Beton bei zu hoher Spannung plastisch verformen, bevor er bricht. Das macht Stahlbeton zum idealen Verbundbaustoff für Tragwerke aller Art. Dringen jedoch Wasser, Sauerstoff und Salze ein, kann der Stahl im Beton korrodieren.
«Stahlbeton und Brücken brauchen Unterhalt. Man muss sie regelmässig auf Risse und Rost kontrollieren», sagt Vogel. In seiner Forschung konzentrierte er sich auf Verfahren, um Stahlbetontragwerke möglichst zerstörungsfrei auf Korrosionsschäden zu überprüfen.
In jüngerer Zeit beschäftigte sich der Baustatiker vermehrt mit Naturgefahren, insbesondere mit Steinschlägen. Solche werden in Bergregionen als Folge des Klimawandels zusehends häufiger. «Auch hier braucht es robuste Stahlbetonkonstruktionen, um gefährdete Verkehrswege und Siedlungen besser zu schützen», erklärt er.
Vogel brachte sein Wissen auch in Sicherheitsstandards und Normen des Bauwesens ein. Ab 1995 präsidierte er während fünf Jahren die Zürcher Sektion des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA). Und von 2005 bis 2013 sass er in der Geschäftsleitung der Internationalen Vereinigung für Brücken- und Hochbau (IVBH), der er seit 2015 auch als Vizepräsident dient.
Auf ihn kann man sich verlassen
Thomas Vogel ist Ingenieur durch und durch. Er denkt strukturiert, ist immer top organisiert, arbeitet effizient und lösungsorientiert. «Das heisst, dass man Probleme nicht sucht, sondern löst», sagt er. Doch als Bauingenieur könne man die entwickelte Lösung kaum je testen. Deshalb gehe man stets auf die sichere Seite. «Damit man sich auf Anhieb darauf verlassen kann.»
Verlassen konnte man sich stets auch auf ihn: Vogel gilt als ausgesprochen engagierter und verantwortungsbewusster Macher. Engere Weggefährten streichen aber auch seine sensible Seite hervor. Wer Vogel näher kennenlernt, dem offenbart sich ein einfühlsamer und humorvoller Mensch, ein geselliger Naturfreund und nicht zuletzt ein spannender Gesprächspartner, der sich weit über sein Fachgebiet hinaus für so vieles interessiert, was das Leben bietet.
Vom Problemlöser zum Prorektor
Es überrauscht kaum, dass Vogel von Anfang an auch übergeordnete Aufgaben übernahm: Dreimal stand er dem Institut für Baustatik und Konstruktion vor. Als erster Studiendelegierter des Studiengangs Bauingenieurwissenschaften engagierte er sich auch für die Lehre. Ab 1997 vertrat er die Professorenschaft im Mitwirkungsorgan der ETH, der Hochschulversammlung. Zwei Jahre später wurde er deren Präsident für sechs Jahre.
2005 trat Vogel aus der Hochschulversammlung zurück und widmetet sich wieder der Forschung und Lehre, bis ihm Rektorin Heidi Wunderli-Allenspach 2008 die Position des Prorektors Doktorat anbot. Vogel entgegnete verblüfft, das gehe wohl kaum, er habe selber ja gar nicht doktoriert.
Wunderli-Allensbach überzeugte ihn dann, dass seine Erfahrung als Doktorvater und Studiendelegierter durchaus reichen würde. Vogel amtete als Prorektor Doktorat auch ohne Doktortitel erfolgreich acht Jahre lang unter drei Rektorinnen und Rektoren.
Im letzten Sommer gab Vogel sein bisher jüngstes Amt als Vorsteher des Departements Bau, Umwelt und Geomatik ab.
Zeit für Flussfahrten, Saxophon und Bienen
Nach 28 Jahren geht seine akademische Karriere nun zu Ende. «Für mich war es immer ein grosses Privileg, an der ETH Zürich studieren und arbeiten zu dürfen», blickt Vogel zurück. Das Schönste sei für ihn, dass man oft mit jungen, motivierten Menschen in Kontakt ist. Diese positive Grundstimmung auf dem Campus hat er in den letzten Monaten im Homeoffice vermisst.
Der Arbeit hat er indessen nicht alles geopfert: «Es gab für mich auch ein Leben neben der ETH», erzählt er. Zusammen mit seiner Frau geniesst er Fluss- und Kanalfahrten auf dem Hausboot. Dann arbeitet er leidenschaftlich gern mit Holz. In einem Sabbatical entdeckte er das Saxofon. Seit elf Jahren spielt er in der Big Band Zürich. Vogel liebt den Wald und seinen Garten. Als weiteres Hobby kam kürzlich die Imkerei dazu.
Und natürlich rufen bereits wieder neue Aufgaben: Seit Anfang Jahr sitzt Vogel in der Beschwerdekommission des ETH-Bereichs. Als weiteres Engagement kommt das Präsidium der Waterkiosk Foundation hinzu, einer Stiftung, die in Tansania die Aufbereitung von Trinkwasser mit Solarenergie breit fördert. Langweilig wird es Thomas Vogel nicht.
Abschiedsrede im Eigenverlag
Thomas Vogel wird den Inhalt seiner nicht gehaltenen Abschiedsvorlesung in den kommenden Wochen digital veröffentlichen, zunächst auf der Webseite des Instituts für Baustatik und Konstruktion (IBK), später in der Research Collection der ETH.