Steh ein für Respekt.
Einzuschreiten, wenn sich jemand einer anderen Person gegenüber unangemessen verhält, erfordert Mut. Wie schafft man es, einen Punkt zu machen, wenn andere ihn nicht machen? Die aktuelle Respekt-Kampagne der ETH Zürich zeigt, wie man von einer passiv beobachtenden Person zum aktiven Upstander wird.
«Du bist weit gekommen für eine Frau.» «Ich finde ihn ganz schön schwul.» «Eine gute Idee, aber ohne Doktortitel nichts wert.» Kommt Ihnen die eine oder andere Äusserung vielleicht bekannt vor – in dieser oder ähnlicher Form? Es handelt sich dabei um verschiedene Aussagen der neuen Respekt-Kampagne, mit der alle ETH-Angehörigen für die verschiedenen Arten von unangemessenem Verhalten im (Hochschul-)Alltag sensibilisiert und dazu motiviert werden sollen, für mehr Respekt einzustehen. Im Rahmen der Kampagne werden die Aussagen verkürzt, sodass sie den Kampagnenslogan «Mach du einen Punkt, wenn andere ihn nicht machen.» perfekt wiedergeben – also: «Du bist weit gekommen.», «Ich finde ihn ganz schön.» oder «Eine gute Idee.» Punkt.
Upstander im Fokus
Respekt ist an der ETH aber nicht erst seit Kurzem ein Thema. Bereits 2004 wurde eine erste Kampagne zu diesem Thema lanciert, weitere Sensibilisierungskampagnen folgten 2017/18, und 2019 wurden der Verhaltenskodex sowie weitere Massnahmen eingeführt. Im Herbst 2021 geht die Respekt-Kampagne nun in eine neue Runde. Neu stehen dabei die sogenannten Upstander im Fokus. Wie können wir uns aktiv in einer Situation von unangemessenem Verhalten einsetzen und so einer betroffenen Person helfen? «Wir möchten mit der Kampagne alle ETH-Angehörigen darin bestärken, von einer passiven, beobachtenden Person zum aktiven Upstander zu werden», fasst Ernestine Hildbrand, Projektleiterin bei Human Resources, das Ziel der Kampagne zusammen. «Oft fällt es betroffenen Personen von unangemessenem Verhalten schwer, sich dagegen zu wehren. Verhaltensweisen wie Mobbing, Belästigung oder Diskriminierung können zu Stress, Angst und psychischen
Problemen führen. Daher ist es wichtig, dass wir an der ETH in solchen Situationen füreinander einstehen. Denn wir alle prägen die Kultur unserer Hochschule.»
Von der Theorie in die Praxis
Doch wir kennen es alle: Was in der Theorie gut klingt, ist in Realität oft schwierig umzusetzen. Nicht allen fällt es leicht, ein zuschreiten, wenn die Kollegin während einer Sitzung unangemessene Sprüche über sich ergehen lassen muss. «Dass Personen zögern, zum Upstander zu werden, ist verständlich, denn es gehört durchaus Mut dazu», so Julia Dannath, Vizepräsidentin für Personalentwicklung und Leadership. Aber es gibt Tipps, wie man in solchen Situationen reagieren kann. «Upstander zu werden ist etwas, das man trainieren kann. Und das sich auszahlt», so Julia Dannath. «Schliesslich ist ein respektvoller Umgang ein wichtiger Pfeiler hervorragender Teamarbeit. Und darauf fusst unter anderem die Exzellenz unserer Hochschule.»
«Einige meiner Kolleginnen meiden bestimmte Orte aus Angst, dort belästigt zu werden. Das finde ich schlimm, und man sollte unbedingt helfen, wenn man solche Situationen beobachtet. Sich als Freund der betroffenen Frau auszugeben, wäre zum Beispiel eine Möglichkeit.»
Clément Estreicher, 22, Mobilitätsstudent von der EPFL am D-ARCH
«Als einmal eine dunkelhäutige Frau mit kleinen Kindern in den Zug einsteigen wollte und von allen Seiten geschubst wurde, bin ich hingegangen und habe gesagt ‹Das geht so nicht!› und hab ihr in den Zug geholfen. Manchmal muss man die Leute einfach wachrütteln.»
Esther Birk, 50, Mitarbeiterin im Info und Service Center
«Als Mitglied der LGBTQ- Community habe ich schon oft respektloses Verhalten erlebt. Meist spreche ich die Person an, und wenn das nichts bringt, wechsle ich den Ort. Ich habe aber auch schon die Erfahrung gemacht, dass ein Mitfahrender im Zug eingeschritten ist und gesagt hat ‹Lass sie doch einfach, sie tun dir doch nichts›. Das hat geholfen.»
Sebastijan Gec, 27, Mitarbeiter ETH Store
So werden Sie zum Upstander
Eva Gottschewski arbeitet seit 20 Jahren als Psychologin und Coach. Sie ist Mitglied der internen Beratungs- und Schlichtungsstelle Respekt.
Eva Gottschewski, wie viele Anfragen erhält die Beratungs- und Schlichtungsstelle Respekt pro Jahr?
Letztes Jahr haben wir über 160 Anfragen erhalten, in denen sich Personen unangemessen behandelt fühlten. Mehrheitlich sind es Konfliktsituationen mit vorgesetzten Personen, anderen Mitarbeitenden oder Studierenden.
Gehen Sie davon aus, dass die meisten Fälle von unangemessenem Verhalten gemeldet werden?
Ich befürchte, dass die Betroffenen in vielen Situationen denken, dass eine Intervention sowieso nichts bringt oder sie gar noch schlechter stellen würde, als wenn sie gar nichts tun. In diesen Fällen möchte ich die betroffenen Personen ermutigen, sich bezüglich möglicher Schritte zumindest informell beraten zu lassen. Die Beratungen durch das Team der internen Beratungs- und Schlichtungsstelle Respekt sind streng vertraulich, und es werden ohne Einverständnis der ratsuchenden Person keine Schritte unternommen.
Wie wird eine beobachtende Person zum aktiven Upstander?
Wenn die beobachtende Person sofort in der Situation agiert. Dies ist der Idealfall, denn wenn sich die Situation gerade ereignet hat, lässt sie sich oft besser lösen, als wenn sie so weit zurückliegt, dass mutmassliche Verursacherinnen oder Verursacher sich gar nicht mehr richtig daran erinnern – oder sich damit herausreden können, sich nicht mehr zu erinnern. Ausserdem reduziert direktes Einschreiten die Wahrscheinlichkeit, dass sich Verhaltensmuster einschleifen und die Situation eskaliert. Man kann aber natürlich auch nachträglich zum Upstander werden. Zum Beispiel, wenn man einer betroffenen Person hilft und mit ihr eine Beratungsstelle besucht, nachdem der Vorfall geschehen ist.
Einzuschreiten braucht Mut. Wie bringt man diesen auf?
Ich kenne keinen «Trick», um sich Mut anzueignen. Doch je häufiger ich erlebe, dass ich mit meinem Verhalten anderen helfen kann, desto einfacher wird es, sich beim nächsten Mal wieder für einen respektvollen Umgang einzusetzen.
Gibt es Strategien, wie ich als Upstander in einer solchen Situation am besten vorgehe
Ja, die gibt es:
- Früh einschreiten und aufzeigen, dass in der Situation Grenzen tangiert werden. Das ist einfacher, als wenn die Situation bereits eskaliert ist.
- Sich zeigen, Fragen stellen, z.B. die betroffene Person fragen, ob alles in Ordnung ist. Das zeigt der mutmasslich verursachenden Person, dass sie beobachtet wird, und der betroffenen Person, dass sie nicht allein ist.
- Verbündete suchen, zum Beispiel, indem man andere Umstehende einbezieht: «Hast du das auch beobachtet? Das ist doch nicht in Ordnung!»
- Vorgesetzte Personen einbeziehen. Oft sind sich diese gar nicht bewusst, dass es in ihrem Team zu unangemessenem Verhalten gekommen ist.
- Die betroffene Person ermutigen, das unangemessene Verhalten bei einer Anlauf- und Beratungsstelle zu melden und sich Unterstützung zu holen.Unangemessenes Verhalten setzt sich oft über Hierarchien hinweg.
Wie soll ich reagieren, wenn jemand in meiner Gruppe von einer vorgesetzten Person respektlos behandelt wird? Allenfalls befürchte ich Konsequenzen für mich selbst, wenn ich etwas sage.
Diese Ängste erleben wir in der Tat häufig. Oft hören wir davon, dass sich unangemessenes Verhalten von Vorgesetzten auf mehrere Personen innerhalb der Gruppe bezieht. Hier finde ich es immer wichtig, das «Upstanding» nicht als Aggression gegenüber der Führungskraft zu sehen, sondern als Feedback, welches dieser ermöglicht, sich zu verändern. Am Ende möchte keine Führungsperson in eine offizielle Untersuchung involviert sein, und frühzeitiges Feedback ist für sie hilfreich.
Lässt sich unangemessenes Verhalten verhindern, bevor es überhaupt eintritt?
Um solches Verhalten wo immer möglich zu verhindern, braucht es eine offene, wertschätzende Unternehmenskultur. Genauso, wie wir sie mit den ETH-Werten anstreben:
- Verantwortung: Als betroffene Person oder Upstander übernehme ich Verantwortung, indem ich versuche, den Konflikt zu lösen.
- Offenheit: Dies hat zwei Aspekte: Einerseits offen zu kommunizieren, wenn man ein Verhalten als unangemessen empfindet. Andererseits offen zu sein für die andere Perspektive. Oft ist es so, dass sich die mutmasslich verursachende
Person gar nicht bewusst ist, dass ihr Verhalten als unangemessen eingestuft werden kann. Offenheit bedeutet aber nicht, dass ich einfach alles akzeptieren muss. - Vielfalt: Wichtig ist zu berücksichtigen, dass Personen zum Beispiel aufgrund ihres Hintergrunds anders handeln oder sich anders verhalten, als wir es gewohnt sind, dies aber nicht respektlos meinen.
Berücksichtigen wir in der Konfliktlösung diese drei Werte, erreichen wir auch die anderen beiden Werte Teamgeistund Exzellenz.
«Ich bin mit der Kultur in meiner Forschungsgruppe sehr zufrieden. Wir sind ein interdisziplinäres Team und da ist es besonders wichtig, dass alle gleich behandelt werden und der Hintergrund von jedem anerkannt und wertgeschätzt wird. Zum Glück ist das bei uns der Fall.»
Håvar Junker, 25, Doktorand am D-MAVT
Dieser Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETH-Magazins «life».
Anlauf- und Beratungsstellen
An der ETH Zürich bieten verschiedene Fachstellen Mitarbeitenden und Studierenden professionelle und vertrauliche Beratungen an. Eine Übersicht findet sich auf der Respekt-Webseite Anlauf- und Beratungsstellen. Bei einem solch breiten Angebot kann die Auswahl schwerfallen. Doch Eva Gottschewski hält fest: «Wichtig ist, dass Sie sich melden, wenn Sie Unterstützung brauchen. Die kontaktierten Beraterinnen und Berater können auch helfen, die zuständige Stelle zu vermitteln. Sich bei Fragen an mehrere Fachstellen zu wenden, ist daher nicht notwendig.»
«Respekt Events 2021» im November
Im Rahmen der ETH-Respekt-Kampagne finden vom 10. bis 30. November 2021 die «Respekt Events 2021» statt. Alle ETH-Angehörigen sind eingeladen, sich in Workshops, Vorträgen und an Veranstaltungen mit verschiedenen Aspekten von Respekt auseinanderzusetzen. Das Programm und die Anmeldung finden Sie hier.