Eine spektakuläre Aktion
Auf dem Campus Hönggerberg ist am Freitag ein 245 Tonnen schwerer Betonzylinder eingerichtet worden. Er dient als Gehäuse einer grossen, geotechnischen Zentrifuge, die Erdbeben und deren Auswirkungen auf Baugrund und Bauwerke simulieren kann.
Aus der Ferne sah es aus wie ein UFO, das über dem Campus Hönggerberg schwebte. So mächtig war der Betonzylinder mit seinen vier «Zähnen». Rund 25 Meter hing er über dem Boden, getragen von einem ebenso massiven Spezialkran. Dieser war nötig, um den Zylinder aufzuheben und am geplanten Ort wieder abzusenken – schliesslich wiegt so ein Konstrukt mit einem Durchmesser von zehn Metern und einer Höhe von drei Metern ganze 245 Tonnen. Allein um den Kran zusammenzusetzen, waren seit Montag rund 30 Anlieferungen per Lastwagen erforderlich, um alle nötigen Teile auf den Campus zu bringen. Der Zylinder selber ist in den vergangenen Monaten auf der HIF-Baustelle aus armierten Beton erstellt worden.
Zentrifuge simuliert Erdbeben
Um den Betonzylinder seinem Bestimmungsort zuzuführen, dauerte es am Freitagmorgen kaum eine Stunde. Nun befindet er sich im Untergrund des Innenhofs, der sich zwischen der Versuchshalle und dem neuen Erweiterungstrakt des HIF-Gebäudes aufspannt. Im HIF-Gebäude, das 1976 gebaut worden ist, und das derzeit saniert und erweitert wird, sind die Professuren des Departements Bau, Umwelt und Geomatik (D-BAUG) zuhause.
«Ich bin begeistert», freute sich Ioannis Anastasopoulos, Professor für Geotechnik, als er der Einsetzung des Betonzylinders beiwohnte, die in seinem Auftrag eingesetzt wurde. Der Zylinder selber ist erst ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer neuen geotechnischen Forschungsinfrastruktur: im nächsten Schritt wird eine Zentrifuge in den Zylinder eingefügt. Mit dieser Zentrifuge können die ETH-Forschenden künftig sehr realistisch Erdbeben simulieren oder auch Bodenverschiebungen wie Hangrutschungen oder hydrodynamische Prozesse wie Tsunami-Wellen und Flusserosionen.
Eine der grössten Zentrifugen der Welt
Diese realitätsnahen Modelle ermöglichen Rückschlüsse auf die Stabilität kritischer, für die Versorgung wichtiger Infrastrukturen, sowie auf das potenzielle Risiko von Bodenbewegungen aufgrund von Erdbeben, Erdrutschen, Tsunamis oder Flusserosionen. Die neue Zentrifuge wird dazu beitragen, dass sich verschiedene, für das Bauwesen bedeutende Probleme simulieren lassen. Ein Beispiel dafür betrifft die Fundamente von Brücken und Hochhäusern, Dämmen, Hangrutschungen, und Tunnel.
Die neue Forschungsinfrastruktur bringt die realistische Simulation solch komplizierter Prozesse einen Schritt weiter und ermöglicht es, den Entwurf von Bauwerken zu optimieren und Risiken zu reduzieren. In Europa gibt es nur drei mit einer vergleichbaren Grösse: in England, Frankreich und den Niederlanden. Mit einem Durchmesser von neun Metern und einem Leistungsvermögen von 500gTonnen gehört die geotechnische Zentrifuge gar zu den grössten weltweit. Die Kennzahl von «500 gTonnen» bezieht sich dabei auf die Tatsache, dass die Zentrifuge in einem erhöhten Gravitationsfeld von 250 g (g = Erdanziehung oder Gravitation) zwei Tonnen tragen kann. 2 Tonnen vervielfacht mit 250 g ergeben eben 500 gTonnen. So wird das Leistungsvermögen der Zentrifuge gemessen.
Betongehäuse hält Vibrationen zurück
Der Betonzylinder dient als Fundament der Zentrifuge und ruht auf speziell dafür entworfenen Stahlfedern. Diese Spezialausführung federt die Schwingungen ab, die die Zentrifuge erzeugt. Das verhindert, dass die Vibrationen in den Boden dringen und sich im Untergrund des Campus ausbreiten. Die hochpräzisen Messungen in den Labors anderer Gebäude auf dem Campus werden somit nicht gestört. «Das ist die erste schwingungsisolierte, geotechnische Zentrifuge der Welt», sagt Ioannis Anastasopoulos.
Die Zentrifuge ist nicht ganz neu, sondern vielmehr ein Beispiel dafür, wie man in der Forschung bestehende Anlagen wiederverwenden kann. In Deutschland ausgemustert, wird sie nun für die Forschung an der ETH hinsichtlich Hydraulik, Elektronik, Steuerung aufgerüstet. Im Oktober kommt sie auf den Campus Hönggerberg. Eine hochmoderne, auf der Zentrifuge montierte Schüttelanlage wird hinzugefügt, um reale Erdbeben nachzubilden.
Die neue Zentrifuge wird Teil eines neuen Forschungszentrums für Zentrifugenmodellierung am Institut für Geotechnik, das die führende Position der ETH in diesem Forschungsbereich weiter stärken und das Innovationspotenzial des Instituts erheblich erweitern wird.
Die neue Zentrifuge ist eine Schlüsselkomponente des Forschungszentrums, das noch andere Bodentestanlagen umfassen wird. Gemessen an diesen Möglichkeiten wird das Forschungszentrum weltweit einzigartig sein. In Bezug auf seismische Erschütterungen gibt es in Europa zum Beispiel nur drei Zentrifugen-Anlagen, die solche Tests durchführen können.
Impressionen
Freuen sich: Ioannis Anastasopoulos, Professor für Geotechnik, und sein Mitarbeiter, Ralf Herzog (links). Zufrieden: Rainer E. Brandstätter, Bauprojektleiter der Abteilung Immobilien.