Leitplanken für eine gute Zusammenarbeit im Doktorat
Wer ab diesem Herbst ein Doktoratsstudium an der ETH beginnt, tut dies unter neuen Regeln. Nach zwei grossen Vernehmlassungsrunden hat die Schulleitung die neue Doktoratsverordnung am 26. Januar verabschiedet. Sie bringt unter anderem die obligatorische Zweitbetreuung und präzisere Regeln für die Zusammenarbeit zwischen Professorin oder Professor und den Doktorierenden.
Einen Artikel der neuen Doktoratsverordnung könnte Antonio Togni, Professor für Anorganische Chemie und Prorektor für das Doktorat, vermutlich im Schlaf aufsagen: Es ist der Sechsundzwanzigste, jener, der die Zweitbetreuung von Doktorierenden regelt.
Das Thema gab bereits zu reden, als die Schulleitung im Sommer 2019 das Massnahmenpapier zur Revision der Doktoratsverordnung präsentierte. Die Debatten dazu prägten die zwei grossen Vernehmlassungsrunden bei den Departementen und Hochschulgruppen. Und selbst die allerletzten Justierungen betreffen diesen Artikel.
Genauere Regeln für die Betreuung
Diese grösste Neuerung im Doktorat stellt sicher, dass die Doktorierenden intensiver und besser betreut werden und persönliche Abhängigkeiten verringert werden, weil die Betreuung auf mehrere Köpfe verteilt wird. Kritische Stimmen befürchteten eine Überregulierung der Zusammenarbeit zwischen Doktorierenden und Professorinnen und Professoren und den Verlust von Autonomie. Ein oft gehörter Einwand lautete, dass einzelne öffentlich gewordene Fälle schlechter Betreuung kompliziertere Regeln für all jene bringen würden, die seit langem eine gute Kultur und Zusammenarbeit pflegten.
Togni entgegnet: «Es ging bei der Arbeit am Doktorat nicht nur um die negativen Einzelfälle, sondern um ein neues Verständnis der Zusammenarbeit im Doktorat. Die Auseinandersetzung mit dem Thema war notwendig und gut. Die Arbeit der Doktorierenden trägt viel zum Forschungserfolg der ETH bei. Sie verdient unsere Aufmerksamkeit.»
Nach neuem Reglement muss für alle Doktorierenden eine Zweitbetreuerin oder ein Zweitbetreuer bestimmt werden. Der Verordnungstext dazu lautet: «Der Leiter oder die Leiterin der Doktorarbeit bestimmt im Einvernehmen mit der Doktorandin oder dem Doktoranden eine fachlich ausgewiesene Person, die den Doktoranden oder die Doktorandin zusätzlich fachlich begleitet und unterstützt. Diese Person muss spätestens bei Einreichung des Doktoratsplans bestimmt sein».
Im Grundsatz stand die Zweitbetreuung nicht zur Diskussion. Intensiv diskutiert wurden aber die Rollen und Kompetenzen. Im ersten Entwurf der Verordnung sollte der Korreferent, der das Gutachten erstellt, die Doktorierenden zusätzlich betreuen. Die Diskussionen in der Vernehmlassung führten aber dazu, die Rollen zu trennen. Das Gutachten erstellt neu ein sogenannter Ko-Examinator, der erst bei der Anmeldung zur Doktorprüfung bestimmt wird. Togni sagt: «Indem wir die Rolle des Ko-Examinators von der Betreuung entkoppeln, bekommt die Betreuung mehr Gewicht. Die Unabhängigkeit der zweitbetreuenden Person ist grösser, wenn sie nicht per Definition auch als Prüferin feststeht.»
Zwar kann die zweitbetreuende Person am Schluss auch als Ko-Examinatorin walten, weil dieser Entscheid aber erst am Schluss und im Einvernehmen der Doktorierenden fällt, bleibt ihre Unabhängigkeit gewahrt.
Neu steht allen Doktorierenden auf Wunsch sogar eine dritte Betreuungsperson zu, die eher die Rolle eines Mentors einnehmen kann. Diese dritte Betreuungsperson obligatorisch zu machen, stand Anfangs ebenfalls zur Diskussion, wurde aber in der Vernehmlassung verworfen.
Doktoratsplan definiert Mitarbeit in Gruppe
Grosse Änderungen gibt es zudem bei der Zulassung zum Doktorat und der Planung der Zusammenarbeit: Neu müssen alle Kandidatinnen und Kandidaten zusammen mit ihren Betreuern einen Doktoratsplan erarbeiten, der neben dem Forschungsvorhaben auch ihre Mitarbeit in der Lehre und der Forschungsgruppe definiert. Danach absolvieren sie ein Eignungskolloquium, in dem sie ihr Forschungsvorhaben vorstellen und verteidigen. Neu entscheidet eine dreiköpfige Eignungskommission über die definitive Zulassung.
Einmal zugelassen, berichten die Doktorierenden jährlich über den Fortschritt ihrer Forschung. Der Leiter oder die Leiterin ist ihrerseits verpflichtet, jährlich ein Standortgespräch zu führen, in welchem es nicht nur um die Forschung, sondern auch um die Zusammenarbeit in der Gruppe und um die Entwicklung der Doktorierenden geht. Genauer geregelt sind neu auch die Eskalationsstufen bei Meinungsverschiedenheiten und der Wechsel des Leiters oder der Leiterin der Doktorarbeit.
Togni sagt, die neuen Regeln sollen an der Hochschule eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe verankern. Dabei darf die Betreuung nicht zu kurz kommen, denn letztlich sind Doktorierende immer auch Studierende, die einen Lernprozess durchlaufen. «Wir sind überzeugt, dass bei der Mehrheit der Forschungsgruppen viele der neuen Regeln eigentlich schon gelebt werden, weil sie eine gute Kultur pflegen.» Was Doktorierende und Professorinnen und Professoren von einem Doktorat erwarten, habe sich in den vergangenen zehn- bis zwanzig Jahren aber stark verändert, zudem ist die ETH erheblich gewachsen. «Die alte Doktoratsverordnung wurde der neuen Realität einfach nicht mehr gerecht. Es brauchte neue und in einigen Punkten genauere Regeln».
Zwei grosse Vernehmlassungsrunden
Erarbeitet hat die Kerngruppe des Rektorates die neue Verordnung im Austausch mit einer erweiterten Gruppe mit Professorinnen und Professoren aus verschiedenen Departementen, mit Vertreterinnen der AVETH, von Human Resources und der Rechtsabteilung.
In zwei grossen Vernehmlassungsrunden holte das Rektorat zudem Rückmeldungen von allen Departementen und der Hochschulgruppen ein, einmal im Sommer 2019 zum Massnahmenplan und ein zweites Mal im Herbst 2020 zum Verordnungsentwurf. Zusätzlich zur Verordnung gab das Rektorat auch die Ausführungsbestimmungen in die Vernehmlassung.
Freiheiten in der Umsetzung
Christoph Niedermann vom Stab der Rektorin sagt: «Wir haben von Anfang an grossen Wert gelegt auf ausführliche und transparente Diskussionen zu dem Thema. Die Reaktionen in den Vernehmlassungen haben gezeigt, dass das sinnvoll und notwendig war. Viele Rückmeldungen betrafen die konkrete Umsetzung und Ausgestaltung der neuen Regeln. Die Verordnung lässt als Folge bewusst Raum dafür.»
Die Departemente können beispielsweise selber festlegen, ob die zusätzliche Betreuungsperson aus der Professorenschaft oder dem Mittelbau kommen soll. Auch bei der Ausgestaltung des Eignungskolloquiums und den Modalitäten der Doktorprüfungen haben sie Gestaltungsspielraum.
Im Herbst in Kraft
Die Schulleitung hat die Verordnung am 26. Januar verabschiedet. Nun durchläuft sie die Ämterkonsultation in Bern. Ist diese abgeschlossen und der Wortlaut final, tritt sie voraussichtlich am ersten Oktober in Kraft.