Die Isolation wiegt für Studierende schwer

Die Motivation der ETH-Studierenden leidet in der Pandemie, der Austausch mit den Mitstudierenden fehlt. Das zeigen die Resultate einer Ad-hoc-Umfrage vom Dezember. Der Fernunterricht indes erhält gute Noten.

Leerer Vorlesungssaal
Physikprofessor Thomas Ihn hält im April 2020 eine Online-Vorlesung vor leeren Rängen. (Bild: ETH Zürich / Alessandro Della Bella)

Die Pandemie zwang den ETH-Studierenden einen komplett neuen Studienalltag auf. Mitten im Herbstsemester mussten sie sich erneut auf Online-Unterricht einstellen. Wie ging es ihnen dabei?

Besorgt um die mentale Gesundheit der Studierenden, erteilte die Rektorin der Abteilung Lehrentwicklung und –technologie (LET) den Auftrag, eine Ad-hoc-Umfrage durchzuführen, die zwischen dem 8. und 15. Dezember stattfand. 7822 Bachelor- und Masterstudierende nahmen daran teil, wobei die Bachelorstudierenden mit 61 Prozent leicht übervertreten waren. Die Quintessenz der Resultate: Die Studierenden fühlen sich gut unterstützt, trotzdem nagt die Pandemie stark an ihrem Wohlbefinden.

Die Mehrheit der Befragten gab an, dass ihre Motivation schlechter oder deutlich schlechter war als in einem normalen Semester (65 Prozent), dass sie sich schlechter oder deutlich schlechter konzentrieren konnten (63 Prozent) oder dass sie allgemein mehr Sorgen hatten als sonst (58 Prozent). Ein Viertel der Befragten meinte zudem, dass ihnen das Studieren keine Freude bereitete – das sind deutlich mehr als die 14 Prozent, die in einer Umfrage des Verbandes der Studierenden der ETH (VSETH) im Frühling 2019 eine vergleichbare Aussage machten.

Fehlende soziale Kontakte

Das Spektrum der Gründe für die Sorgen und fehlende Motivation ist weit. Das fehlende Campusleben scheint aber besonders schwer zu wiegen; 57 Prozent der Befragten gaben an, im Studium nicht genügend sozialen Austausch zu haben. Aus Freitextantworten ging aber auch hervor, dass fehlende Tagesstruktur, Sorgen vor Erkrankung, Vermischung von Ruhe- und Arbeitsbereichen, sowie fehlende Bewegung betragen.

Luca Dahle, Präsident des Verbandes der Studierenden der ETH Zürich, sagt: «Das Zusammensein auf dem Campus, der Sport und die Anlässe, die es normalerweise gibt, helfen, mit dem Leistungsdruck an der ETH umzugehen. In der jetzigen Anonymität fehlt dieser Ausgleich.»

ETH-Rektorin Sarah Springman sagt: «Es ist eines meiner grössten Anliegen, dass ETH-Studierende gemeinsam lernen und sich unterstützen können. Deshalb haben wir für das Herbstsemester beispielsweise das Bubble-System geschaffen. Dann hat uns die Pandemie wieder gebremst. Es bleibt aber wichtig, das Schneckenhaus zwischendurch zu verlassen, zum Beispiel für etwas gemeinsame Bewegung draussen.»

Die von der Rektorin gemeinsam mit dem ASVZ lancierte Kampagne unter dem Hashtag #moveETH soll genau dazu animieren. ETH-Angehörige posten dabei kurze Videos und Bilder ihrer Aktivitäten und schaffen so zumindest virtuell etwas Zusammengehörigkeitsgefühl.

Wer nicht mehr weiter weiss, findet bei den Beratungsstellen von ETH und VSETH Unterstützung. Laut der Umfrage sind diese Angebote der Mehrheit bekannt, 6 Prozent der Befragten nutzten diese auch.

Um die Hürde für einen solchen ersten Schritt weiter zu senken, hat das Rektorat bereits vor der Pandemie einen «Stress-Meter» bereitgestellt: Die Selbsteinschätzung zur Stressbelastung soll Studierenden helfen, zu erkennen, wann sie Hilfe benötigen. Betty Friedrich aus dem Stab der Rektorin hat das Werkzeug mitentwickelt. Sie sagt: «Viele denken, ein hohes Stresslevel und Leiden gehöre zu einem ETH-Studium. Es ist aber wichtig, zu erkennen, wann der Stress zu gross wird, um alleine damit klarzukommen.»

Dass das Stresslevel in der gesamten Bevölkerung seit dem Frühling 2020 gestiegen ist, zeigt eine externe SeiteUmfrage der wissenschaftlichen Covid-Taskforce des Bundes im November 2020. Besonders stark leiden demnach Jugendliche und junge Erwachsenen zwischen 14 und 24 Jahren.

Schwierige Arbeitsverhältnisse zuhause

Für rund einen Achtel der Befragten der ETH-Studie (12 Prozent) sind die Arbeitsbedingungen zuhause zudem nicht gut genug, damit jederzeit konzentriertes Arbeiten möglich wäre.

Die Umfrage zeige, welche Bedeutung die Arbeitsplätze für Studierende an der ETH hätten, sagt Rektorin Springman: «Studierende leben in sehr unterschiedlichen Verhältnissen, manche lernen und arbeiten im Moment unter massiv erschwerten Bedingungen. Solche Situationen wollen wir mit den Studierendenarbeitsplätzen auffangen». Die Bedingungen an den Arbeitsplätzen in den Gebäuden der ETH wurden denn auch von 71 Prozent der Befragten als gut oder sehr gut bewertet.

Guter Fernunterricht hilft

Einen Beitrag zum Wohlbefinden kann aber auch der Fernunterricht selbst leisten. Das zeigen die Antworten auf Fragen zum Unterricht im Herbstsemester 2020. Von den Dozierenden und Mitarbeitenden Ihres Studiengangs fühlten sich die Studierenden generell gut unterstützt. In den frei formulierten Antworten lobten die Studierenden insbesondere Live-Vorlesungen, welche direkte Interaktionen mit Dozierenden oder Mitstudierenden ermöglichten, zum Beispiel in Form von Abstimmungen und Quizzes.

Gerd Kortemeyer, Leiter des LET, sagt: «Es fällt im Moment vielen schwer, ihre Leistungen einzuordnen. Normalerweise orientieren sich Studierende an ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen, um abzuschätzen, ob sie für die Prüfungen auf Kurs sind. Interaktive Elemente und Quizzes können dieses Manko etwas ausgleichen.»

Eine weitere Herausforderung ist die Tagesstruktur. Zwar schätzt eine Mehrheit der Befragten die Flexibilität, Vorlesungen zeitversetzt und im eigenen Tempo verfolgen zu können. Trotzdem ist den Studierenden eine regelmässige Wochenstruktur wichtig, um die Arbeit bewältigen zu können. Guter Fernunterricht zeichne sich deshalb auch dadurch aus, dass der Stundenplan auch im Fernunterricht eingehalten werde, sagt Kortemeyer – einschliesslich der Pausen. Denn das Studium sei ohnehin sehr dicht und ein Ausgleich nur möglich, wenn es auch im Fernunterricht Zeitfenster dazu gebe.

Insgesamt schneidet der Fernunterricht überraschend gut ab: Wenn sie die Wahl hätten, würden knapp 80 Prozent der Befragten auch nach der Pandemie einen Tag oder mehr Fernunterricht haben wollen.

Gerd Kortemeyer und sein Team wollen jetzt dafür sorgen, dass die bewährten Fernunterrichts-Methoden im kommenden Semester noch breitere Anwendung finden, indem sie sie mit den Studiendirektoren, den Fachdidaktikern und dem Lehrkader teilen, zum Beispiel im Rahmen der "Refresh Teaching"-Veranstaltungen.

Das Team wird darüber hinaus eine Reihe von hochschulweiten Workshops organisieren, um aus den gesammelten Daten aus Umfragen, Prüfungsergebnissen und Nutzungsstatistiken die Schlüsse für die Lehre in der Zeit nach der Pandemie zu ziehen. Diese Erkenntnisse bilden die Basis für die Weiterentwicklung der Lehre an mehreren Retreats des Rektorats im Juni und einem grossen Lehrretreat Anfang Juli.

ETH-Podcast: Studieren in Zeiten der Pandemie

In der Dezember-Episode des ETH-Podcasts sprechen wir mit Tierry Hörmann, dem alten, und Luca Dahle, dem neuen Präsidenten des Dachverbands der Studierenden, VSETH, und wie sie sich für ihre Mitstudierenden einsetzen. ETH-Rektorin Sarah Springman zum Gespräch dazu und vergleicht diese Phase mit einem Triathlon, bei dem das Ziel nicht in Sicht ist. Alle drei Gäste sprechen auch über die wenigen positiven Aspekte der Krise.

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