Zwischen Wirtschaft und Labor

Neben Lehre und Forschung ist der Wissens- und Technologietransfer eine der Hauptaufgaben der ETH Zürich. ETH transfer unterstützt die Forschenden dabei, ihre Erkenntnisse aus den Laboren in die Wirtschaft zu bringen.

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Das Leitungsteam von ETH transfer: Silvio Bonaccio (Gesamtleitung und Spin-off-Gründungen). Marjan Kraak (Spin-off-Gründungen und Pioneer Fellowship Program), Tomas Brenner (ieLab), Andreas Klöti (Forschungsverträge) und Silke Meyns (Patente, Lizenzen und Software) (v.l.) (Bild: Nicola Pitaro / ETH Zürich)

«Es ist purer Zufall, dass ich hier gelandet bin – und gleichzeitig ist es meine Traumstelle», sagt Silvio Bonaccio, und das Leuchten in seinen Augen verrät die Leidenschaft, mit der der 52-Jährige die Stabstelle «ETH transfer» seit über elf Jahren leitet. Nach einigen intensiven Lehr- und Reisejahren bei Nestlé kam der promovierte Chemiker für kurze Zeit in die Schweiz zurück. Gerade als er eigentlich in die internationale Wirtschaft zurückkehren wollte, erzählte ihm ein ehemaliger Studienkollege von einer offenen Stelle beim  «Technologietransfer» an ihrer ehemaligen Hochschule. Die Verbindung von Wirtschaft und Naturwissenschaften und die Möglichkeit, die neusten Forschungsergebnisse in die Gesellschaft zu bringen waren für Bonaccio damals ausschlaggebend – und sie faszinieren den St. Galler noch heute. «Für mich ist meine Arbeit ein grosses Privileg. Und ich liebe die Abwechslung: Jeder Tag ist anders und Langeweile kommt bei uns nie auf», erzählt Bonaccio.

Mit der damaligen Fachgruppe, in der er seine Karriere an der ETH begann, hat die heutige Einheit allerdings wenig gemein. Aus den fünf Mitarbeitenden im Jahr 2001 sind mittlerweile 26 geworden, die jährliche Anzahl der Spin-off-Gründungen hat sich mit über 20 pro Jahr fast verdreifacht, ebenso die Anzahl der Verträge mit Dritten. Und aus der kleinen Fachgruppe ist inzwischen eine eigenständige Stabstelle geworden, die dem Vizepräsidenten für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen Detlef Günther unterstellt ist. Die Unterstützungsleistungen sind auf die  Bereiche «Forschungsverträge», «Patente, Software und Lizenzen », «Spin-off Support» und «ieLab» aufgeteilt. Auch in den nächsten Jahren sollen die bewährten Dienstleistungen weiter ausgebaut und optimiert werden.

ETH transfer
Tomas Brenner berät die Gründerin eines ETH-Spin-offs. (Bild: Nicola Pitaro / ETH Zürich)

Wichtige Anlaufstelle für Spin-offs

Für die Professionalisierung von ETH transfer war Bonaccio federführend verantwortlich, den Spin-off-Bereich haben er und sein Team vor elf Jahren von Grund auf neu aufgebaut.  Heute ist ETH transfer die Anlaufstelle für ETH-Angehörige, die ein Unternehmen gründen möchten. Neben der Beratung und Unterstützung vor und während dem Gründungsprozess hilft Bonaccios Team den JungunternehmerInnen bei der Vernetzung mit wichtigen Stakeholdern, bei der Suche nach  Räumlichkeiten, dem Zugang zur Infrastruktur der ETH sowie bei der Vermittlung von Coaches.

Zudem betreut ETH transfer das 2010 ins Leben gerufene Pioneer Fellowships-Programm, das junge Talente bei der Entwicklung innovativer Produkte und deren Markteinführung unterstützt. «Zweimal im Jahr können sich Forschende bewerben und ihr Projekt einer fachkundigen Jury präsentieren. Die besten Ideen werden mit 150‘000 Franken und einem 18-monatigen Programm im Innovation & Entrepreneurship Lab (ieLab) unterstützt», erklärt Bonaccio. Das 2011 gegründete ieLab bietet Räume auf dem Campus Hönggerberg (HPL) und im ETH-Gebäude «LEO». Gewinner des Pioneer Fellowships-Programms werden dort von erfahrenen Mentoren und Coaches – aus der Industrie oder selbst erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer – auf ihrem Weg zum Unternehmertum begleitet, unterstützt, gefördert und gefordert. Von den 68 Siegerprojekten seien mittlerweile 51 abgeschlossen und das aus Donationen finanzierte Programm habe bereits 35 Firmengründungen hervorgebracht, so Bonaccio. Die «Konversionsrate» liegt damit bei gut 70 Prozent.

Neben dem Spin-off-Support gehört die Unterstützung bei der Zusammenarbeit mit der Industrie zu den Hauptaufgaben von ETH transfer. Jedes ETH-Departement hat verschiedene Verträge mit Industriepartnern, Bundesämtern und Stiftungen, jedes Jahr kommen rund 1000 neue hinzu.  Für deren Ausgestaltung und Verhandlung ist Bonaccios Team verantwortlich. Eines der Best Practice Beispiele ist dabei das vor sechs Jahren gegründete Disney Research Lab in Zürich. Knapp 300 Forschungsprojekte und unzählige Patente sind bereits aus der Kooperation zwischen dem ETH-Departement Informatik und Walt Disney entstanden.

Doktorand
Ein Doktorand präsentiert sein Projekt am Pioneer Felloships-Anlass. (Bild: Giulia Mathaler / ETH Zürich)

Rekord bei Patentanmeldungen

Und auch die vielen Patente betreuen Bonaccios Mitarbeitende. Damit eine Erfindung patentiert werden kann, müssen eine Reihe von materiellen Voraussetzungen erfüllt sein. So muss die zu patentierende Erfindung unter anderem neu und gewerblich anwendbar sein. Neben der Einschätzung und Evaluation der Erfindung beschliesst und koordiniert ETH transfer auch die Anmeldung von Schutzrechten, kümmert sich um das Technologie-Marketing und die Lizenznehmersuche, führt die Lizenzverhandlungen und  macht das Controlling und die Verteilung der Einnahmen. Von den 215 eingereichten Erfindungsmeldungen von ETH-Angehörigen im vergangenen Jahr wurden über 100 patentiert – ein neuer Rekord. Und auch bei den Lizenzen gab es mit 78 Erteilungen einen Rekord.

Die steigende Anzahl der Patentanmeldungen, Spin-offs und Wirtschaftsverträge sei neben der zunehmenden Komplexität der Projekte und den unterschiedlichen Rechtslagen bei internationalen Kooperationen die grösste Herausforderung, sagt Bonaccio. Und um diese zu bewältigen, seien vor allem zwei Dinge entscheidend: umfassendes Know-How und ein schlagfertiges Team mit dem richtigen Spirit. Vor allem  Letzteres ist es auch, das Bonaccio nach insgesamt über sechszehn Jahren bei ETH transfer noch immer jeden Tag aufs Neue motiviert. «Wir sind wie eine grosse Familie. Das bedeutet mir sehr viel!», sagt Bonaccio. Und ganz offensichtlich gibt es an der Schnittstelle von Wirtschaft und Wissenschaft tatsächlich keine Langeweile.

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe von «life» erschienen.

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