Mit einer neuen Kampagne möchte die Schulleitung respektvolles Verhalten und die Eigenverantwortung der ETH-Angehörigen fördern.
«Mach einen Punkt.» Die grossen bunten Punkte mit der besagten Aufschrift auf Eingangstüren, im Foyer des Hauptgebäudes oder auf zahlreichen Bildschirmen am Hönggerberg lösten in den letzten Wochen viele Fragezeichen aus – durchaus gewollt. «Mit dieser Aktion wollten wir die Aufmerksamkeit unserer Studierenden und Mitarbeitenden gewinnen», erklärt Lukas Vonesch, Direktor Personal an der ETH Zürich.
Die Aufmerksamkeit sollte auf die neue Respekt-Kampagne der ETH gelenkt werden, die im Auftrag der Schulleitung am 25. September lanciert wurde. Die Auflösung der mysteriösen Punkte-Aufkleber erfolgte zwei Wochen später mithilfe von Flyern und Plakaten. «Lass uns die Resultate besprechen. Heute Nacht» war unter anderem zu lesen und «Du bist schlau. Für eine Frau.». Die verschiedenen provokanten Sprüche haben eines gemeinsam: Ein Punkt trennt die neutrale von der respektlosen Aussage. Genau dieser Punkt, an dem das Neutrale ins Respektlose kippt, kann aber individuell unterschiedlich sein und sollte diskutiert werden, sagt Vonesch. «Ab wann eine Aussage als diskriminierend oder belästigend aufgefasst wird, ist ein Stück weit subjektiv. Entscheidend ist, dass jeder und jede die eigenen Grenzen kennt und diese den Mitmenschen kommuniziert – eben einen Punkt setzt», so der Personal-Leiter.
ETH-übergreifender Code of conduct
Genau dazu soll die neue Respekt-Kampagne ermutigen. «Mit der Kampagne soll die Respekt-Kultur an der ETH sowie die Eigenverantwortung der ETH-Angehörigen gestärkt werden», erklärt Renate Schubert, Professorin für Nationalökonomie sowie Gender Delegierte und Leiterin der Equal-Stelle an der ETH Zürich. Seit 2008 setzt sich die Gender-Delegierte dafür ein, dass Frauen und Männer an der ETH gleichermassen gerne und erfolgreich studieren, forschen und arbeiten können. Gemeinsam mit der Personalabteilung, der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Umwelt (SGU), der Hochschulkommunikation sowie einer externen Agentur ist Renate Schubert für die Konzeption und Umsetzung der Respekt-Kampagne verantwortlich.
Ihren Ursprung hat die Kampagne in der letzten Mitarbeiterbefragung, die ergeben hat, dass das Arbeitsklima an der ETH zwar mehrheitlich als positiv und respektvoll wahrgenommen wird, Probleme aber offener angesprochen und Lösungsstrategien besser aufgezeigt werden sollten. Dies soll nun mit verschiedenen Massnahmen gefördert werden. Neben Workshops, Videos und einer eigenen Kampagnen-Webseite, wird es an der ETH bis Anfang 2018 einen hochschulübergreifenden Verhaltenscodex «Respekt» geben. Dieser «Code of Conduct» charakterisiert den respektvollen Umgang miteinander und macht klar, welches Verhalten an der ETH nicht toleriert wird. Bislang verfügen nur drei Departemente über solche Verhaltensempfehlungen. Entstanden sind diese nach der letzten Respekt-Kampagne im Jahr 2010. Damals machten verschiedene Piktogramme auf richtiges und falsches Verhalten im Arbeitsalltag aufmerksam.
«Die Schulleitung duldet kein respektloses Verhalten»
Besonders an Institutionen wie der ETH seien regelmässige Respekt-Kampagnen sehr wichtig, betont ETH-Präsident Lino Guzzella. «Studierende, aber auch viele unserer Mitarbeitenden und Forschenden, bleiben nur vorübergehend an der ETH. Deshalb müssen wir unsere Werte immer wieder neu vermitteln.» Die verschiedenen Nationalitäten und Kulturen würden die Spitzenforschung und herausragende Lehre zwar erst ermöglichen, gleichzeitig seien sie aber mit unterschiedlichen Verhaltensweisen und teilweise divergierenden Wertvorstellungen verbunden. Deshalb sei ein gemeinsames Verständnis des korrekten Umgangs miteinander besonders relevant, sagt der Präsident. «Die Schulleitung duldet kein respektloses Verhalten. Wird ein solches Verhalten dennoch festgestellt, ist es wichtig, professionell und respektvoll mit den Beteiligten umzugehen», so Guzzella.
An der ETH gibt es verschiedene Anlaufstellen, an die sich Betroffene oder Beobachtende von respektlosem oder diskriminierendem Verhalten wenden können und sollen. Bisher würden zwar nicht allzu viele Fälle von Mobbing, Gewalt, Belästigung oder Diskriminierung gemeldet, jeder einzelne Fall ist aber sehr ernst zu nehmen. «Auch Beobachter von unfairem Verhalten sollten niemals wegsehen, sondern die Betroffenen ansprechen und versuchen zu helfen», sagt HR-Chef Vonesch. Wie mit den Vorfällen umgegangen wird, ist von Fall zu Fall verschieden und wird immer mit den Betroffenen abgestimmt. Auf Wunsch kann auch die Anonymität gewahrt bleiben.
Eine Übersensibilisierung soll vermieden werden
Angestellte, die von Diskriminierung betroffen sind und sich wehren, sind zudem durch das Gleichstellungsgesetz vor einer Kündigung geschützt. Machen Studierende eine Meldung wegen diskriminierenden Verhaltens, sorgt die ETH dafür, dass ihnen hinsichtlich der Fortsetzung ihres Studiums keine Nachteile entstehen.
Dass die Themen Diskriminierung und Belästigung in den letzten Jahren auch zunehmend in der Öffentlichkeit und in den Medien diskutiert werden, findet Lukas Vonesch richtig und wichtig. Gleichzeitig möchte er eine Übersensibilisierung vermeiden. «Soweit möglich ist es immer am besten, wenn die Beteiligten die Situation untereinander klären können. Oft sind auch einfach Missverständnisse schuld am Problem.» Deshalb sei ein offener, ehrlicher und direkter Umgang untereinander umso wichtiger. Zu diesem soll auch die neue Respekt-Kampagne ermuntern.
Grundsätzlich sei die Kultur an der ETH aber hervorragend und das Klima geprägt von Diversität, Ermöglichung, Leistungsbereitschaft, Motivation und Toleranz, sagt ETH-Präsident Lino Guzzella. Damit neue ETH-Angehörige diese Kultur möglichst schnell verinnerlichen, wird der Code of Conduct künftig bei Willkommensveranstaltungen vorgestellt und mitgegeben. Ausserdem ist eine zweite Phase der Respekt-Kampagne für den Frühling 2018 geplant. Dabei sollen die Mitarbeitenden und Studierenden selbst stärker in die Umsetzung der Kampagne einbezogen werden. Für die Wirkung der Kampagne sei ja schliesslich auch die Mitarbeit der ETH-Angehörigen entscheidend, sagt Guzzella und betont: «Respekt kann nicht von oben verordnet werden, Respekt muss von jedem und jeder Einzelnen getragen und gelebt werden. Diese Eigenverantwortung gilt es zu fördern.»
Das neue ETH-Magazins «life» ist da
Dieser Artikel ist die Titelgeschichte des aktuellen «life».
Mit dieser Ausgabe startet ausserdem eine vierteilige Serie über die thematischen Forschungsschwerpunkte der ETH Zürich. Der erste Einblick widmet sich ganz dem Thema Datenwissenschaft. Wie die ETH Flugreisen von ETH-Angehörigen reduzieren will, erläutert zudem ETH-Vizepräsident Ulrich Weidmann im Gespräch. Er ist überzeugt, dass die Forschungsleistung nicht geschmälert wird, wenn weniger geflogen wird.
Ausserdem berichtet «life» über die Betriebssanitäterinnen und -sanitäter an der ETH, und Linda Schädler verrät im Porträt, was sie als Leiterin der Graphischen Sammlung an ihrer Arbeit besonders schätzt.