Willkommen in der Zukunft
Virtuelle Realitäten, interaktive Plattformen und ein sozialerer Präsenzunterricht: Spezialisten der Abteilung Lehrentwicklung und -technologie sowie in den Departementen verwandeln die Lehre an der ETH.
Seit Mitte September füllen Studierende wieder die Räume der ETH Zürich, die Lehrveranstaltungen haben begonnen. Mit ihnen setzt die Hochschule neue Methoden ein, die das Studieren noch attraktiver und moderner machen sollen. Denn die Abteilung Lehrentwicklung und -technologie (LET) arbeitet stetig daran, die Lehre an der ETH weiterzuentwickeln. Elf Lehrspezialistinnen und -spezialisten in den Departementen unterstützen das rund 40-köpfige Team des LET. Sie pflegen den direkten Kontakt zu den Dozierenden und koordinieren Entwicklungen innerhalb der Studiengänge.
Eine der grossen Innovationen heisst Mixed Reality. Damit können Studierende mithilfe von 3-D-Brillen virtuelle Objekte erforschen. Schon Anfang Jahr kam die HoloLens von Microsoft an der ETH zum Einsatz. Die Teilnehmer der Lehrveranstaltung «Computer-Assisted Drug Design» am Departement Chemie und Angewandte Wissenschaften erforschten damit Proteine. Wer durch die HoloLens blickt, sieht den echten Raum, in dem er sich befindet, sowie ein Hologramm – in diesem Fall ein Protein –, das man umrunden, erkunden und sogar durchschreiten kann.
Mixed Reality auf dem Vormarsch
Das Projekt angestossen hat das LET. Es rief dazu auf, Vorschläge für den Einsatz der Brillen im Unterricht einzureichen. Dank der Spende eines ETH-Alumnus konnten letztes Jahr zwölf dieser Brillen gekauft werden. Andreas Reinhardt, Leiter Innovationsmanagement am LET, sagt: «Wir evaluieren zurzeit, wo Mixed Reality im Unterricht einen Mehrwert bietet.» Sein Team plant und bewertet den Einsatz neuer Technologien und Methoden und begleitet Dozierende bei der Umsetzung. Reinhardt ist sich sicher: «Virtuelle Lehrsituationen werden in Zukunft massiv zunehmen.»
Dieser Meinung ist auch Sarah Frédérickx, Lehrspezialistin am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie (D-HEST). «Ich glaube, dass Lehrveranstaltungen in 30 Jahren nicht mehr an einem realen Ort, sondern im virtuellen Raum stattfinden werden», sagt sie. «Möglich, dass wir uns dann nicht mehr in echt, sondern als Hologramme begegnen.» Benno Volk, stellvertretender Leiter des LET, sagt, es sei schwierig, so weit in die Zukunft zu blicken. Er ist aber überzeugt, dass die ETH Zürich im Jahr 2050 als physischer Ort immer noch wichtig sein wird. «Allerdings mit Räumen, die mehr auf praxisbezogenes Lernen als auf Frontalunterricht ausgerichtet sind.» Bereits heute können die Studierenden am D-HEST die Arbeit im Labor in einer 2-D-Umgebung am Computer üben. In den Simulationen von Labster ziehen sie sich virtuelle Handschuhe an, arbeiten mit Proben und benutzen Maschinen. «Damit sind sie unabhängig von der Verfügbarkeit von Räumen oder Personal», sagt Frédérickx. Zudem könne man so Experimente durchführen, die real zu gefährlich oder zu teuer wären. Seit Beginn des Herbstsemesters setzt auch das Departement für Materialwissenschaft das Programm ein. Für Labster gibt es bereits 3-D-Brillen, welche die Anwender ganz in die virtuellen Labore eintauchen lassen. «Mein Ziel ist es, dass wir diese Brillen bald auch bei uns einsetzen können», sagt Frédérickx.
«Die Rollen verändern sich»
Nicht nur virtuelle Realitäten, sondern auch Technologien wie interaktive, elektronische Unterrichtsmaterialien lösen den Frontalunterricht immer öfter ab. Ein gutes Beispiel dafür ist eine Plattform, die Frédérickx 2014 für das D-HEST entwickelt hat. In eSkript lassen Dozierende Elemente wie Videos oder Multiple-Choice-Fragebögen in ihre Unterlagen einfliessen. Studierende können das Material bewerten, kommentieren oder auf Fehler aufmerksam machen. Der Ansatz ist so beliebt, dass das LET ihn nun stufenweise übernimmt und ETH-weit anbieten wird. «eSkript ist eine klassische Bottom-Up-Innovation», sagt Reinhardt. «Wenn etwas in den Departementen entsteht, das für die ganze ETH relevant ist, übernehmen wir es nach Möglichkeit und Kapazitäten. Andere Projekte wiederum hängen wir von Anfang an zentral auf.»
Mit interaktiven, digitalen Lehrmaterialien können sich Studierende selbstständig die Grundlagen ihres Fachs aneignen. An diesen kulturellen Wandel müssten sich viele erst noch gewöhnen, sagt Reinhardt. «Die Rollen verändern sich: Die Dozierenden werden künftig stärker coachen und weniger referieren.» Volk ergänzt: «Manche Studierende sind es gewohnt, in den Vorlesungen zu sitzen und am Ende des Semesters auf die Prüfungen zu büffeln.» In Zukunft solle das aktive Lernen vermehrt während des ganzen Semesters stattfinden, was lernpsychologisch sinnvoll sei. Denn: «Wenn wir die Theorie auslagern, können wir die Präsenzzeiten für praktische Anwendungen wie Diskussionen oder Gruppenarbeiten nutzen», sagt Volk. «So wird die Hochschule als sozialer Ort für das Lernen noch attraktiver.»
Dieser Beitrag erschien im aktuellen ETH-Magazin «life».