«Wir dürfen jetzt nicht nachlassen»

Auf den Campus der ETH kehrt seit Anfang Juni langsam wieder etwas Leben ein. Inzwischen hat der Bundesrat weitere Lockerungen beschlossen. ETH-Vizepräsident Ueli Weidmann, Leiter der Covid-19-Taskforce unserer Hochschule, erklärt, worauf wir uns in den kommenden Monaten einstellen müssen.

Ueli Weidmann

Intern aktuell: Herr Weidmann, der Bundesrat hat am 19. Juni weitere Lockerungen beschlossen, und unter anderem den Schutzabstand von 2 Metern auf 1,5 Meter verringert. Wie beeinflusst der Bundesratsentscheid die Regeln, die an der ETH gelten?
Ueli Weidmann: Zunächst: Wir sind erfreut über die aktuelle Situation, erachten sie aber noch als sehr labil. Wir müssen weiterhin alles unternehmen, um Infektionsherde an der ETH Zürich zu vermeiden. Diese würden die Sessionsprüfungen in Frage stellen, was für uns eine Katastrophe wäre. Bezüglich der Distanzregeln haben wir immer jene des Bundes übernommen; damit gelten nun die 1,5 Meter grundsätzlich auch bei uns. Zur Risikominimierung empfehlen wir aber, wo möglich bei den bisherigen 2 Metern zu bleiben. Zur Belegung von Arbeitsräumen und Sitzungszimmern macht der Bund keine neuen Aussagen. Es gilt daher weiterhin: Für Arbeitsplätze pro Person 10 Quadratmeter, in Sitzungszimmern 4 Quadratmeter. Und immer die Abstandsregel einhalten!

Wie sieht es denn mit der Einhaltung der Abstandsregel an der ETH aus?
Unsere ETH-Angehörigen sind unwahrscheinlich diszipliniert, in Studium und Arbeit, aber auch vor dem Eingang eines Gebäudes oder bei einem Verpflegungsbetrieb. Ein ganz grosses Kompliment und danke! Sobald aber Gruppen von Leuten beieinanderstehen, kommen sie sich auch mal näher. Bisweilen beobachtet man eine gewisse Sorglosigkeit, die wir ausserhalb der ETH oft sehen. Deshalb mein Aufruf: Wir dürfen jetzt nicht nachlassen, auch wenn wir in der Schweiz glücklicherweise tiefe Infektionszahlen haben.

Dennoch hat der Bundesrat weitere Lockerungen beschlossen, etwa im Bereich der Veranstaltungen…
Wir bleiben als Hochschule auf der vorsichtigen Seite. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Swiss National COVID-19 Science Task Force haben bezüglich der neuesten Lockerungen zu mehr Vorsicht gemahnt. Diese Worte haben für uns ein hohes Gewicht. Mit unseren Kolleginnen und Kollegen, die in dieser nationalen Task Force mitarbeiten, sind wir in engem Kontakt, zum Beispiel zur Frage, wie eine zweite Welle aussehen könnte und wie sich die ETH darauf vorbereiten soll.

Was aber bedeutet das mit Blick auf weitere Lockerungen an der ETH?
Bis 2. August gelten die bestehenden Regeln, die wir per 8. Juni eingeführt haben. Diese haben sich erfreulich gut eingespielt, erlauben zahlreiche Aktivitäten und bieten gleichzeitig Schutz und Nachvollziehbarkeit. Das Reservationssystem für die Studierendenarbeitsplätze funktioniert gut, die Arbeitsplätze sind belegt, waren bisher aber nie bis auf den letzten Platz ausgebucht. Aufgrund von Rückmeldungen der Studierenden werden wir das System weiter flexibilisieren, um die Arbeitsplätze möglichst voll auszulasten. Wir bieten zum Beispiel neu auch tageweise Buchungsmöglichkeiten und wir wenden Belegungsoptimierungen an. Der ASVZ arbeitet an Abstandsregeln für die Garderoben, die deren Öffnung ermöglichen werden.

Wie geht es im August weiter?
Der August steht ganz im Zeichen der Prüfungen. Wir schauen zusammen mit den Akademischen Diensten an, welche Voraussetzungen wir dafür schaffen müssen. Gegebenenfalls werden wir weitere Gebäude öffnen, um die Durchführung der Prüfungen unter den Schutzvorkehrungen gewährleisten zu können. Für die Durchführung der Prüfungen gelten die Bestimmungen der von der Rektorin erlassenen DownloadWeisung.

«Wir arbeiten derzeit am Masterplan für eine allfällige zweite Welle. Kernpunkt ist, dass wir einen ETH-weiten Lockdown mit allen Mitteln verhindern wollen.»Ueli Weidmann

Ein emotionaler Punkt ist das Homeoffice. – Wo steht die ETH Zürich?
Grundsätzlich vermindert jede Person, die im Homeoffice arbeitet, das Risiko, dass die Infektion in die ETH Zürich hineingetragen wird. Erinnern wir uns: Infizierte Personen sind bereits einige Tage, bevor sie erste Symptome verspüren, ansteckend. Wir erlauben uns deshalb weiterhin die starke Empfehlung, auch im Juli beim Homeoffice zu bleiben. Immer unter der Voraussetzung, dass es betrieblich möglich und menschlich zumutbar ist. Gerade mit Blick auf eine sichere Durchführung der Präsenzprüfungen wollen wir vermeiden, dass sich die Gebäude füllen. Lässt es die Lage zu, soll ab August für ETH-Mitarbeitende wieder eine koordinierte Teilpräsenz vor Ort möglich sein. Unser Ziel ist, dass generell an den Arbeitsplatz zurückgekehrt werden kann, selbstverständlich unter Einhaltung der bestehenden Schutzkonzepte.

Und wie sieht es mit Veranstaltungen aus?
Bis Ende August werden keine Events an der ETH bewilligt. Ab September können sie ins Auge gefasst werden, wobei wir den Veranstaltungen aus dem Akademischen Kalender Priorität einräumen, also den Einführungs-, Antritts- und Abschiedsvorlesungen. Im September startet ja auch das Herbstsemester mit teilweisem Präsenzunterricht, was eine Belebung der Campus mit sich bringt. Manche Räume werden durch die Lehre bis 20 Uhr belegt sein und einer Buchungssperre unterliegen. Zudem stehen grossen Veranstaltungen die eingeschränkten Raumkapazitäten im Weg. Wir rechnen damit, dass in den Räumen deutlich weniger als 50 Prozent der Plätze benutzt werden können.

Unter welchen Voraussetzungen können aber Veranstaltungen durchgeführt werden?
Generell gilt, dass die Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten und das Contact Tracing sichergestellt werden muss. Gäste müssen sich anmelden, Apéros in halböffentlichen Räumen, beispielsweise vor dem Audimax, sind nicht möglich. Ausserdem müssen die Veranstalterinnen und Veranstalter jederzeit damit rechnen, dass Events abgesagt werden müssen. In diesem Fall müssen sie selbst für die Kosten aufkommen.

Ist diese Regelung nicht etwas rigid, angesichts der Tatsache, dass draussen wieder Veranstaltungen mit bis zu 1000 Personen durchgeführt werden dürfen?
Wir sind uns bewusst, dass Veranstaltungen für viele ETH-Angehörige eine Gelegenheit bieten, sich auszutauschen. Persönlich bedaure ich auch, dass wir hier nicht offener sein können. Doch unser oberstes Ziel ist es, unseren Studierenden im Herbstsemester möglichst viel Präsenzunterricht zu ermöglichen und einen weiteren generellen Lockdown an der ETH zu verhindern. Zudem eignen sich unsere Räume schlecht für die sichere Durchführung von Grossveranstaltungen unter Corona. Limitierend sind nicht nur die Raumkapazität, sondern auch die Zugangs- und Pausenbereiche.

Damit sprechen Sie die zweite Welle an. Was wird passieren, wenn sich ETH-Angehörige mit dem Covid-19-Virus infizieren?
Wir arbeiten derzeit am Masterplan für eine allfällige zweite Welle. Kernpunkt ist, dass wir einen ETH-weiten Lockdown mit allen Mitteln verhindern wollen. Sollte sich in der Schweiz eine zweite Welle abzeichnen, so würden wir uns an der ETH Zürich nur noch in kleinen, überschaubaren Gruppen bewegen. Dies begrenzt die Ausbreitung und wir wüssten auch, welche Personen mit einer infizierten Person in engerem Kontakt standen. Nur diese werden vom Kantonsarzt für 10 Tage in häusliche Quarantäne genommen. Einen grossen Beitrag zur Eingrenzung des Personenkreises wird auch das Contact Tracing leisten. Wir sind überzeugt, dass die SwissCovid-App von den ETH-Angehörigen breit genutzt wird, gerade als Personen an einer technisch-naturwissenschaftlichen Universität. Im Bereich der Lehre sind ähnliche Überlegungen zur Bildung von Studierendengruppen im Gang. Gelingt dieses Konzept, so kämen wir auch ohne Totalschliessung der ETH Zürich durch die zweite Welle.

Welche Rolle spielen Tests in Ihren Überlegungen?
Im Moment können sich alle Menschen testen lassen, die milde Symptome zeigen. Wer solche Symptome hat, dem oder der empfiehlt die Schulleitung, sich unverzüglich beim Hausarzt oder dem Ärztefon zu melden, um sich testen zu lassen. Es sieht so aus, dass künftig auch alle zum Test zugelassen werden, die über die SwissCovid App eine Benachrichtigung erhalten, dass sie in engem Kontakt mit einer infizierten Person standen. Die Tests werden unter anderem am Zentrum für Reisemedizin durchgeführt und funktionieren gut. Jeder Test ist zwar eine Momentaufnahme, er kann aber die beschriebenen Massnahmen unterstützen. Der Bund hat entschieden, dass er ab 25. Juni sämtliche Kosten für Coronatests übernimmt, wenn der Test ärztlich angeordnet wird.

Nehmen wir an, dass die Infektionszahlen in der Schweiz tief bleiben und das Contact Tracing funktioniert. Wäre in diesem Fall mit weiteren Lockerungen der Regeln an der ETH zu rechnen?
Wir beobachten die Entwicklung der Pandemie in der Schweiz, aber auch international genau und werden selbstverständlich reagieren, wenn sich die Situation massgeblich ändert. Innerhalb der ETH steht die Covid-19-Taskforce in engem Austausch mit den Zentralen Organen, Departementen, aber auch mit den Studierenden und dem ASVZ. Wir nehmen Bedürfnisse entgegen und versuchen, wo immer möglich, pragmatische Lösungen zu finden. Priorität haben bei unseren Überlegungen immer der sichere Betrieb von Forschung und Lehre. Und dass die ETH ihre Dienstleistungen für die Gesellschaft erbringen kann.

Die ETH-​Taskforce unter Leitung des Vizepräsidenten für Infrastruktur beobachtet die laufenden Entwicklungen rund um das Coronavirus und definiert Massnahmen. Laufend aktualisierte Informationen finden Sie auf der Seite Coronavirus COVID-19.

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