Wie die ETH Zürich mit dem Wachstum der Studierendenzahlen umgehen will

Rektor Günther Dissertori erklärt, was sich bei der Zulassung an der ETH ändern soll und weshalb ein Numerus Clausus aktuell kein Thema ist. Die Schulleitung hat im März eine neue Zulassungsstrategie verabschiedet.

Rektor Günther Dissertori trägt einen blauen Anzug und steht auf der Polyterasse. Im Hintergrund ist die Stadt Zürich zu sehen.
Rektor Günther Dissertori sagt, wie die ETH Zürich mit dem Wachstum der Studierendenzahlen umgehen will. (Bild: ETH Zürich / Markus Bertschi)

Günther Dissertori, es fehlen Fachkräfte und an der ETH bewerben sich immer mehr Studierende. Warum also ist das Wachstum ein Problem?
Günther Dissertori: Die Zahl der Studierenden wächst seit Jahren, und es ist keine Trendwende in Sicht. Gleichzeitig werden die zur Verfügung stehenden Mittel – vor allem für Personal und Infrastruktur – in den künftigen Jahren mindestens stagnieren. Das wirkt sich unter anderem auf das Betreuungsverhältnis aus und gefährdet die Qualität der Lehre.

Wäre ein Numerus Clausus dafür nicht das einfachste und effektivste Mittel?
Ein Numerus Clausus ist für die ETH Zürich aktuell kein Thema, denn das ist ein sehr pauschales und starres Werkzeug. Das widerspricht schon nur der grossen Nachfrage nach Fachkräften, etwa in der Informatik oder im Gesundheitsbereich. Darauf muss die Zulassung Rücksicht nehmen können. Zudem ist die Situation nicht überall gleich: In manchen Departementen und Studiengängen laufen wir hinsichtlich Betreuung hart am Limit, in anderen nicht. Wir müssen also definieren, was wir mit den vorhandenen Ressourcen leisten können.

… das heisst aber doch, dass wir Limiten definieren müssen pro Fach?
Ja, wir werden Kapazitätsgrenze definieren müssen.

Wie unterscheiden sich Kapazitätsgrenzen von einem Numerus Clausus?
Eine Kapazitätsgrenze ist kein Automatismus und löst keinen direkten Aufnahmestopp aus. Kapazitätsgrenzen sollen von den Departementen spezifisch pro Studiengang definiert und regelmässig aktualisiert werden. Sie wirken als Schwelle, ab welcher gewisse Steuerungsmassnahmen zum Einsatz kommen.

Welche Steuerungsmassnahmen sind das?
Da sprechen wir tatsächlich über eine strengere Selektion von ausländischen Studierenden auf Masterstufe. Das ist aber nichts Neues: Wir selektieren in diesem Bereich schon heute nach Leistung. Künftig werden wir das in manchen Fächern noch systematischer tun müssen.

Wie meinen Sie das?
Eine grosse Herausforderung ist es aktuell, die Leistungen der ausländischen Studierenden an ihren Herkunftsuniversitäten zu beurteilen und zu vergleichen. Die Notenskalen und Bewertungssysteme sind sehr unterschiedlich. Manche Departemente verwenden bereits ein Statistik-Tool, welches anhand der Daten aller bisherigen Bewerber einer bestimmten Uni ermittelt, in welcher Leistungsperzentile sich eine Bewerberin oder ein Bewerber an der Herkunftsuni befindet. Künftig soll dieses Tool an der ganzen ETH angewendet werden. Dadurch können wir evidenzbasiert selektieren.

«Wir brauchen eine Haltungsänderung, weg von einer Zulassung und hin zu einer Rekrutierung.»
Günther Dissertori, Rektor ETH Zürich

Das bremst aber noch nicht das Wachstum…
Nicht direkt, aber die Methode legt die Grundlage, gezielter auszuwählen. Wir brauchen bei der Zulassung zum Master eine Haltungsänderung, weg von einer Zulassung und hin zu einer Rekrutierung. Die Zulassungsstrategie schlägt vor, dass die Departemente auch Zielgrössen für die Zusammensetzung der Kohorten nach Bildungsherkunft bestimmen, also die Anteile von ETH/EPFL-Bachelors, übrige Schweizer Bachelors, EU/EFTA-Bachelors und den weiteren ausländischen Studierenden. Die Zusammensetzung soll den Zielen der ETH für die Lehre folgen. Das oberste Ziel ist, qualifizierte Fachkräfte für den Arbeitsmarkt in der Schweiz auszubilden. Weiter wollen wir den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern und drittens eine gut durchmischte, internationale Studierendenschaft haben.

Eine strengere Selektion bedeutet, dass nicht alle ausländischen Studierenden ihr Wunschstudium an der ETH beginnen können…
Das ist schon heute so. Aber selbst wenn das aus Kapazitätsgründen öfter geschehen sollte, bleibt im Gegensatz zu einem starren Numerus Clausus die Möglichkeit, ein Studium in einem anderen Fach zu beginnen.

Lässt sich das Wachstum denn überhaupt brechen?
Brechen werden wir es nicht können – und das wollen wir auch gar nicht. Nochmals: Wir brauchen die Fachkräfte. Mit einer strengeren Selektion können wir aber das Tempo des Wachstums drosseln.

Das heisst, die ETH muss mit dem Wachstum leben?
Wir können das Wachstum als ETH einfach nur beschränkt beeinflussen. Und selbst wenn wir strenger selektieren, wird sich das Wachstum noch verstärken. Ich bin aber überzeugt, dass wir Dinge vereinfachen und dadurch den Aufwand für die Lehrenden und die Administration verringern können. Gerade hat ein Projekt begonnen, mit dem wir das Prüfungswesen vereinfachen und im akademischen Kalender mehr Freiräume öffnen wollen. Eine weitere Massnahme ist die Stärkung von computerbasierten Prüfungen, welche z.B. zur Entlastung von Assistierenden beitragen soll. Ein Beispiel für eine kurzfristige Entlastung wäre, Service-Lehrveranstaltungen besser auf die Departemente zu verteilen, also jene Kurse, die ein Departement für Studierende anderer Departemente anbietet.

Zielt die Strategie nur auf das Masterstudium?
Nein, wir diskutieren auch beim Bachelor über mögliche neue Zulassungsmassnahmen. Wir beobachten, dass auch dort die Anzahl Bewerbungen rasch ansteigt, wenn auch nicht ganz so schnell wie beim Master. Eine Möglichkeit wäre, bei ausländischen Bewerbenden eine Mindestabschlussnote der Maturität zu verlangen.

Wie fielen die Reaktionen aus den Departementen aus?
Wir haben diese Massnahmen in einer breit abgestützten Taskforce und zusätzlich an einem grossen Lehrretreat zu Beginn des Jahres entwickelt und besprochen und viel Zustimmung erfahren. An dem Retreat haben unter anderen die Studiendirektorinnen und Studiendirektoren aus allen Departementen sowie je eine Delegation der Studierenden und Doktorierenden teilgenommen. Wichtig: Wir sprechen von einer Strategie mit Grundsätzen und nicht von einem Reglement. Es ist "work in progress" und bei der Umsetzung haben die Departemente Handlungsspielraum.

Was kommt mit der Strategie auf die Departemente zu?
Sie werden als Erstes Kapazitätsgrenzen definieren müssen, hauptsächlich basierend auf personellen Ressourcen, insbesondere bei den Assistierenden. Dort ist die grösste Last. Daneben werden auch Räume oder Laborplätze eine Rolle spielen. Ich erwarte von den Departementen, dass ihre Zulassungskommissionen die Mittel, die wir nun definieren, nutzen.

Taskforce Wachstum Studierendenzahlen

Eine von Rektor Günther Dissertori eingesetzte Taskforce untersucht, wie die ETH mit dem Wachstum der Studierendenzahlen umgehen kann, sodass die Qualität der Lehre nicht leidet. Ein erstes Resultat der Taskforce ist die neue Strategie für die Zulassung, welche im Januar 2023 an einem grossen Lehrretreat besprochen und von der Schulleitung verabschiedet worden ist (Schulleitungssitzung vom 7. März). Darüber hinaus arbeitet die Taskforce an Prognosen der Studierendenzahlen, an einer Vision der Lehre für 2040 und an einem Impact-Assessment für die Lehre.

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