«Eine Riesenchance für die ETH»
Zuwendungen der Dieter Schwarz Stiftung erlauben es der ETH Zürich, rund 20 neue Professuren aufzubauen. Gleichzeitig plant sie ein Lehr- und Forschungszentrum in Heilbronn, Deutschland. ETH-Präsident Joël Mesot erklärt, weshalb dieser Schritt für die ETH Zürich wie auch für Heilbronn zu einer Erfolgsgeschichte wird und was ihn daran besonders freut.
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Joël Mesot, die Ankündigung einer langjährigen Partnerschaft mit der Dieter Schwarz Stiftung ist ein Überraschungscoup. Die Freude ist Ihnen buchstäblich ins Gesicht geschrieben.
Meine Freude über diese Partnerschaft ist in der Tat riesig. Sie ermöglicht es der ETH Zürich, Forschung und Lehre im strategisch wichtigen Bereich der digitalen Transformation markant auszubauen. Die Schweiz und Europa stehen vor gewaltigen Herausforderungen: Wir müssen eine nachhaltige Energieversorgung aufbauen, die Wirtschaft dekarbonisieren, uns vor Cyberattacken schützen und endlich die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen nutzen. Und all das geschieht vor dem Hintergrund einer sehr unsicheren Weltlage. Ich bin überzeugt, dass ein verantwortungsvoller Einsatz digitaler Technologien entscheidend sein wird, um Lösungen zu finden für viele der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit. Die Partnerschaft mit der Dieter Schwarz Stiftung ermöglicht es der ETH, über die nächsten Jahre rund 20 neue Professuren aufzubauen. Das verleiht unserer Forschung und Lehre einen spürbaren Schub.
Überraschend an Ihrem Plan ist vor allem, in Heilbronn ein Lehr- und Forschungszentrum aufzubauen. Wie kam es dazu?
Heilbronn ist der Sitz der Dieter Schwarz Stiftung, die dort grosszügig in einen neuen Campus investiert, um Heilbronn als Wissensstadt international zu positionieren. Wir pflegen mit der Stiftung schon seit längerem Kontakt. Vor einem Jahr ermöglichte uns eine grosszügige Donation den Aufbau zweier neuer Informatik-Professuren sowie eine Erweiterung des Fellowship-Programms im AI Center. Wir kamen in diesem Zusammenhang auf die Vision des Stiftungsgründers Dieter Schwarz zu sprechen, Professorinnen und Professoren von Top-Universitäten nach Heilbronn zu bringen, um die wissenschaftliche Zusammenarbeit bei wichtigen und dringenden Themen zu fördern. Wir beide, die DSS und die ETH Zürich, sind überzeugt, dass für die Entwicklung von Schlüsseltechnologien wie KI und deren verantwortungsvolle Anwendung internationale Zusammenarbeit unabdingbar ist. Die ETH möchte daher Teil dieses internationalen Campus werden und wird mehr als die Hälfte der geplanten Professuren in Heilbronn ansiedeln.
Sie sprechen von der internationalen Vision. Stand heute sind aber erst deutsche Institutionen auf dem Campus in Heilbronn anzutreffen…
Das ist richtig. Mit der TU München und der Fraunhofer-Gesellschaft haben dort aber bereits namhafte Institutionen einen Ableger. Uns bietet sich nun die Gelegenheit, in Heilbronn ebenfalls eine Präsenz aufzubauen und den Campus mitzuprägen. Wir können zudem selbstbewusst davon ausgehen, dass unsere Präsenz in Heilbronn Forschende weiterer Spitzenhochschulen anziehen wird und sich – ähnlich wie in Singapur – ein attraktiver Lehr- und Forschungs-Hotspot etablieren wird. Die DSS unterhält strategische Partnerschaften etwa mit den Universitäten Oxford und Stanford, dem HEC Paris, der Hebrew University Jerusalem und ist mit der Nanyang Technological University Singapore im Gespräch.

Sie sprechen von 20 neuen Professuren. Können Sie das Engagement der DSS auch in Franken beziffern?
Wir können zum jetzigen Zeitpunkt keine Summe über das ganze Engagement nennen. Noch liegt erst eine Absichtserklärung vor. Diese sieht vor, die Partnerschaft in vier Teilschritten zu entwickeln. Für jeden Schritt wird jeweils ein separater Vertrag aufgesetzt. Die jährlichen Kosten einer Professur sind allgemein bekannt. Über die ganzen 30 Jahre werden sich die Zuwendungen also auf eine sehr hohe Summe belaufen – sofern alles so läuft wie geplant.
Das tönt noch etwas zurückhaltend. Ist die Donation noch nicht in trockenen Tüchern?
Feststeht, dass beide Partner wollen. Die Absichtserklärung ist unterschrieben, und der erste Schritt ist fixiert. Dank Zuwendungen der Stiftung kann die ETH Zürich zwei zusätzliche Professuren in Zürich schaffen und das Zurich Information Security and Privacy Center (ZISC) weiterentwickeln. Nun geht es darum, die Ausgestaltung der Partnerschaft im Detail zu klären und die einzelnen Donationsverträge auszuarbeiten. In einem nächsten Schritt soll 2024 mit dem Aufbau des Lehr- und Forschungszentrums in Heilbronn begonnen werden. Die Evaluation des ETH-Ablegers in Heilbronn braucht etwas Zeit. Es gilt strukturelle Fragen zu klären, in der Schweiz wie auch in Deutschland. Es geht aber auch um inhaltliche Fragen, wie wir dieses Zentrum inhaltlich ausrichten wollen und wie das Zusammenspiel von Zürich und Heilbronn erfolgen soll. Sind diese Fragen geklärt, sollen schrittweise Professuren in Heilbronn und Zürich etabliert werden.
Passt ein Schritt nach Deutschland überhaupt in unsere Strategie?
Absolut, und zwar in doppelter Hinsicht. Erstens können wir dank der Donation wie schon erwähnt unser strategisches Handlungsfeld einer «verantwortungsvollen digitalen Transformation» auf ein neues Niveau bringen – auch in Zürich. Zweitens ist es für die ETH unabdingbar, sich mit der ganzen Welt zu vernetzen und grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten, heute mehr denn je. Wir haben schon viele etablierte Partnerschaften in Deutschland. Denken Sie zum Beispiel an das gemeinsame Max Planck ETH Center for Learning Systems oder an unsere Zusammenarbeit in medizinischer Systembiologie mit dem Max-Planck-Institut in Tübingen. Baden-Württemberg und Bayern sind die beiden Bundesländer, mit denen unsere Professorinnen und Professoren am meisten Forschungskontakte pflegen. Es gibt also schon viel, das uns mit Deutschland verbindet. Mit dem nun geplanten nächsten Schritt können wir diese Zusammenarbeit vertiefen. Gleichzeitig ist es ein Bekenntnis, wie wichtig uns die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarn ist.
«In Heilbronn sind in einem ersten Schritt Weiterbildungsprogramme und ein Masterstudiengang vorgesehen.»Joël Mesot
Anders als beim ETH-Ableger in Singapur soll in Heilbronn auch ein Lehrangebot aufgebaut werden. Ist es wirklich Aufgabe der ETH Zürich, im Ausland Fachkräfte auszubilden?
In Heilbronn sind in einem ersten Schritt Weiterbildungsprogramme und ein Masterstudiengang vorgesehen. Woher die künftigen Studierenden kommen und wohin es sie verschlägt: Darüber können wir heute nur spekulieren. Wir wissen aber, dass der Arbeitsmarkt immer globaler wird. Und wir wissen, dass die überwiegende Mehrheit der ETH-Absolventinnen und Absolventen – auch solche aus dem Ausland – zwei Jahre nach Studienabschluss in der Schweiz tätig ist.
Gibt es weitere Vorteile für die Schweiz?
Ein grosser Teil der Zuwendungen wird direkt in Forschung und Lehre, aber auch in die Infrastruktur hier in Zürich fliessen. Auf diese Weise können wir das Lehrangebot in der Schweiz ausweiten, und zwar in stark nachgefragten Fachbereichen wie Cybersicherheit oder künstlicher Intelligenz. Die ETH und die Schweiz haben also einen unmittelbaren Nutzen. Im Gegenzug bilden wir auch in Heilbronn Fachkräfte aus. Das Spannende an dieser Ausgangslage ist, dass wir dort auf der grünen Wiese auch neue Konzepte in der Lehre ausprobieren können, die wiederum die Lehre in Zürich beeinflussen könnten. Eine Win-Win-Situation.
Die ersten neuen Professuren werden im Informatik-Departement verankert. Werden auch andere Departemente vom Ausbau profitieren?
Zurzeit ist noch offen, in welchen Departementen die kommenden Professuren aufgebaut werden. Im Bereich verantwortungsvolle digitale Transformation und Datenwissenschaft ist ein hohes Mass an interdisziplinärere Zusammenarbeit gefragt. Insofern kommen viele Departemente in Frage. Ganz ähnlich, wie wir das schon beim ETH AI Center vorleben. Da arbeiten alle 16 Departemente und über 120 Professuren mit. Übrigens sind viele von ihnen Mitglieder beim European Laboratory for Learning and Intelligent Systems (ELLIS). Dieses europaweite Exzellenznetzwerk beschäftigt sich mit allen Aspekten der künstlichen Intelligenz, von der Grundlagenforschung über technische Innovation bis zu den gesellschaftlichen Auswirkungen.
Wenn nach der Machbarkeitsprüfung alle Zuwendungen an die ETH fliessen, ist die ETH dann ihre Finanzsorgen los?
Nein! Wir dürfen diese Themen nicht vermischen. Der Spardruck des Bundes trifft uns unabhängig von dieser Donation. Mit Blick auf das anhaltende Studierendenwachstum und die zunehmenden Aufgaben, die an uns herangetragen werden, hilft eine solche Donation zwar, in einem zentralen Gebiet zu wachsen. Sie ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir auf mehr Bundesmittel angewiesen sind. Es sind die jahrzehntelangen Investitionen des Bundes in die Grundlagenforschung und Ausbildung unserer Hochschule, die dem Leistungsausweis der ETH Zürich zugrunde liegen. Und es ist dieser Leistungsausweis, der die Dieter Schwarz Stiftung dazu bewogen hat, eine Partnerschaft in dieser Dimension mit uns einzugehen. Ausserdem ist die Donation das Resultat der ausgezeichneten Arbeit der ETH Foundation.
«Wir wählen unsere Partner bewusst aus und lehnen ab, wenn ein Angebot nicht zur ETH Zürich und letztendlich nicht zur Schweiz passt.»Joël Mesot
Gibt es bei Drittmitteln in diesem Umfang auch Tabus? Oder anders gefragt: Kommen für Partnerschaften mit der ETH alle in Frage, sofern das Portemonnaie dick genug ist?
Bei solchen Partnerschaften geht es nicht nur ums Geld. Für uns ist genauso entscheidend, dass potenzielle Partner unsere Werte teilen und gleiche Visionen verfolgen. Bei der Dieter Schwarz Stiftung ist dies zu hundert Prozent der Fall, das war mir nach dem ersten Gespräch sofort klar. Das grundlegende Verständnis der Stiftung zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sich die Zuwendungen nicht nur für neue Professuren vorgesehen sind, sondern auch für den dafür notwendigen Ausbau der Infrastruktur. Und auch die Lehr- und Forschungsfreiheit wurde zu keinem Zeitpunkt auch nur im Entferntesten in Frage gestellt. Heilbronn befindet sich in einem uns freundschaftlich verbundenen Land, das uns von den Wertvorstellungen her sehr nahe ist. Um auf die Frage zurückzukommen: Nein, wir wählen unsere Partner bewusst aus und lehnen ab, wenn ein Angebot nicht zur ETH Zürich und letztendlich nicht zur Schweiz passt.
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