Interviews mit Gewinner:innen des Diversity Awards 2024
Victoria Herbig und EquipSent wurden für ihr vorbildliches Wirken an der ETH Zürich mit edem diesjährigen Diversity Award ausgezeichnet. Wir haben mit den Preisträger:innen über ihre Erfahrungen gesprochen und nach Tipps für den Arbeits- und Studienalltag gefragt.
Interview mit EquipSent
Herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des Diversity Award 2024! Was bedeutet Ihnen diese Anerkennung?
EquipSent: Vielen Dank! Wir möchten uns auch bei der Jury und allen bedanken, die uns nominiert haben. Es ist wirklich eine Ehre, diesen Preis zu erhalten. Er bedeutet EquipSent sehr viel, weil er dazu beiträgt, unsere Sichtbarkeit an der ETH Zürich zu erhöhen. Diese Sichtbarkeit ist für EquipSent von entscheidender Bedeutung, um mehr Materialspenden zu erhalten und um auf das Bewusstsein für die globalen Ungleichheiten beim Zugang zu Lehr- und Forschungsmöglichkeiten innerhalb der akademischen Gemeinschaft aufmerksam zu machen.
Dies zeigt sich insbesondere daran, dass wir derzeit eine viel höhere Nachfrage nach Ausrüstung haben als die Spenden, die wir erhalten. Darüber hinaus hat EquipSent beschlossen, das erhaltene Preisgeld zu spenden, um eine Lieferung an eine High School in Pakistan zu ermöglichen. Diese Lieferung wäre sonst nicht möglich gewesen, da der Empfänger nicht genügend Mittel aufbringen konnte, um die Versandkosten und Einfuhrzölle zu decken.
Warum sind gelebte Diversität und Inklusion an der ETH Zürich so wichtig?
EquipSent: Vielfalt und Inklusion sind für den Erfolg jeder Institution von entscheidender Bedeutung. Die überholte Vorstellung, dass Genialität rein angeboren ist, muss in Frage gestellt werden. Was eine Universität wirklich grossartig macht, ist ihre Fähigkeit, jeder:m Studierenden zu helfen, die beste Version ihrer:seiner selbst zu werden, und allen die gleichen Chancen zu bieten, sich hervorzutun und zu glänzen.
Als weltweit führende Hochschule, die Wissenschaftler:innen und Studierende aus der ganzen Welt anzieht, hat die ETH Zürich die Verantwortung, ihre Bemühungen zur Förderung von Vielfalt und Gleichberechtigung in der Hochschulgemeinschaft sowohl hier in Zürich als auch weltweit weiter zu verstärken.
Jedes Mitglied der ETH-Gemeinschaft kann zu einem integrativen Umfeld beitragen. Welche Empfehlungen haben Sie dazu?
EquipSent: Durch bewusstes und überlegtes Handeln kann jedes Mitglied der ETH-Gemeinschaft dazu beitragen, ein integrativeres Umfeld zu schaffen. Ein wichtiger Schritt ist die Förderung der Chancengleichheit für alle, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht. In der Lehre und Forschung ist es wichtig, Studierende und Kollegen mit unterschiedlichem Hintergrund und unterrepräsentierte Minderheiten aktiv einzubeziehen und zu unterstützen. Zusätzlich bieten verschiedene Organisationen an der ETH, wie zum Beispiel die beiden anderen diesjährigen Finalisten des Preises – CSNOW und die AG Fokusgruppen – Möglichkeiten für Engagement und Unterstützung.
Wenn wir global denken, sollten wir danach streben, allen Menschen gleiche Chancen zu bieten, unabhängig von ihrem Land, ihrer sozialen Schicht oder ihrer politischen Gesinnung. Bei EquipSent setzen wir uns für die globale wissenschaftliche Inklusion ein, indem wir Material spenden und den Zugang zu experimenteller wissenschaftlicher Ausbildung für diejenigen ermöglichen, die sonst keinen Zugang dazu hätten. Angehörige der ETH-Gemeinschaft können diese Mission unterstützen, indem sie unbenutzte Geräte aus ihren Labors spenden, auf unsere Arbeit aufmerksam machen oder freiwillig beim Verpacken und Versenden von Ausrüstung helfen.
Interview mit Victoria Herbig
Herzliche Glückwünsche zum Gewinn des Diversity Awards 2024! Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Victoria Herbig: Merci vielmals! Diese Auszeichnung bedeutet mir wirklich viel, da sie nicht nur meine Arbeit, sondern auch die Werte anerkennt, die mir am Herzen liegen. Sie ist eine Bestätigung der Überzeugungen, die mich durch herausfordernde und von Widerständen geprägte Zeiten gebracht haben. Immer wieder musste ich mich in Kontexten behaupten, in denen Diversität eher als Belastung wahrgenommen wurde und in denen die Existenz der Problematik rund um Biases und fehlender Gleichberechtigung verkannt wurde.
Der Diversity Award ist für mich ein Zeichen, dass wir nicht allein sind, wenn wir für Inklusion, Transparenz und Fairness einstehen. Es ist besonders bereichernd zu sehen, dass die Bemühungen, die ich mehr als zwanzig Monate lang im Rahmen der WIDEr Teaching Initiative vorangetrieben habe, gewürdigt werden. Wir haben uns am D-GESS Departement für strukturelle Veränderungen eingesetzt und nicht zuletzt kollaborativ die Ressource Information on Performance Assessments at D-GESS erarbeitet, welche bestehende Richtlinien und Weisungen zusammenfasst und um relevante Empfehlungen ergänzt. Die einstimmige Verabschiedung dieser Ressource in der Departementskonferenz stellte einen departementsweiten Konsens dar, der vor zwei Jahren noch undenkbar gewesen wäre.
Die Anerkennung durch den Diversity Award motiviert mich auch, mich weiterhin und unablässig für eine gerechtere und offenere Zukunft einzusetzen. Dieses Jahr habe ich zum Beispiel meine Masterarbeit über inklusives Stakeholder-Engagement in partizipativen Modellierungsprozessen geschrieben und möchte meine Forschung über inklusives Policy-Making für nachhaltige Entwicklung vertiefen.
Warum sind gelebte Diversität und Inklusion an der ETH Zürich so wichtig?
Victoria Herbig: Diversität und Inklusion sind von entscheidender Bedeutung, um ein innovatives, kreatives und gerechtes Umfeld zu schaffen. Forschung und Lehre gedeihen am besten, wenn unterschiedliche Perspektiven, Hintergründe und Erfahrungen zusammenkommen. Nur so können wir wirklich umfassende und zukunftsweisende Lösungen für die entscheidenden Fragen, mit denen die Welt heute konfrontiert ist, entwickeln. Darüber hinaus sollten Universitäten wie die ETH eine Vorreiterrolle einnehmen, wenn es darum geht, eine gerechtere Gesellschaft zu fördern. Studiengänge, die von Homogenität geprägt sind - sei es in Bezug auf Geschlecht, Ethnizität oder andere Dimensionen - laufen Gefahr, eine Echokammer zu schaffen, in der relevante Interessen und Erkenntnisse vernachlässig werden, wodurch strukturelle Ungleichheiten perpetuiert werden. Ein heterogenes Umfeld ist entscheidend, um sich der eigenen Positionalität bewusst zu werden, was ich als grundlegend für relevante, legitime und glaubwürdige Forschung ansehe.
Darüber hinaus bin ich davon überzeugt, dass Bedingungen, von denen marginalisierte Gruppen profitieren, die Erfahrung für alle verbessern. Maßnahmen im Zusammenhang mit Transparenz, Klarheit und Rigorosität tragen nicht nur zur Reduktion von Biases und zu mehr Gerechtigkeit bei, sondern stellen auch für alle hilfreiche Rahmenbedingungen zur Verfügung, die es ermöglichen, sich voll und ganz auf Studium und Forschung zu konzentrieren.
Jede:r ETH-Angehörige:r kann zu einem inklusiven Umfeld beitragen. Welche Tipps haben Sie?
Victoria Herbig:
- Perspektivenvielfalt aktiv fördern: Hör zu, ohne sofort zu bewerten und schaffe Raum für unterschiedliche Perspektiven. Hinterfrage nicht nur deine Vorurteile, sondern auch die Strukturen und Normen, die diese unbewusst fördern. Fragen wie „Wer spricht hier, und wer nicht?“ können Barrieren sichtbar machen, die sonst unbemerkt bleiben.
- Zugänglichkeit und gerechte Strukturen gestalten: Transparenz und Fairness sind keine abstrakten Prinzipien, sondern praktische Instrumente. Ob bei Leistungsbeurteilungen, der Organisation von Arbeitsgruppen oder Entscheidungsprozessen - frage dich, wie deine Maßnahmen diejenigen einbeziehen, die sonst oft übersehen werden. Zugänglichkeit bedeutet, aktiv Barrieren abzubauen, sei es durch Sprache, Formate oder Entscheidungsstrukturen.
- Unterschiedliche Stimmen sichtbar machen: Diversität und Inklusion sind keine Randthemen, sondern zentrale Bestandteile jeder Gemeinschaft. Nutze deine Position, um marginalisierte Perspektiven sichtbar zu machen - sei es, indem du gezielt weniger repräsentierte Personen zu Diskussionen einlädst oder indem du die notwendigen Ressourcen bereitstellst, damit diese Stimmen gehört werden können. Achte darauf, über reinen Tokenism oder Stereotypisierung von Expertise hinauszugehen und ermögliche den Teilnehmenden, in ihrer vollen Expertise substanzielle Beiträge zu einer Vielzahl von Themen zu leisten.
- Wissen teilen und sich weiterentwickeln: Inklusion ist nicht einfach eine Checkliste, sondern eine kontinuierliche Praxis. Nimm dir die Zeit, eigene Wissenslücken zu identifizieren und aktiv zu schließen. Ob durch Literatur, Workshops oder den Austausch mit Betroffenen - jede:r von uns trägt die Verantwortung, Inklusion als Teil des Alltags zu leben.