Wie steht es um die Reputation der ETH?

Neben sehr guten Rankingergebnissen und wissenschaftlichen Auszeichnungen wurde in den letzten Monaten auch über angeblichen Machtmissbrauch an der ETH berichtet. Einer der wiederholten Vorwürfe in diesem Zusammenhang: Die ETH informiere nicht offen, sie vertusche. Der Kommunikationsleiter der ETH nimmt Stellung – bewusst gegenüber einem unabhängigen externen Journalisten, dem früheren Radioredaktor und heute freien Journalisten Casper Selg.

Rainer Borer, Leiter Hochschulkommunikation (Bild: Gian Marco Castelberg)
Rainer Borer, Leiter Hochschulkommunikation (Bild: Gian Marco Castelberg)

Rainer Borer, was öffentliche Kommunikation betrifft, ist das letzte Jahr für die ETH ziemlich daneben gelaufen…
Sagen wir mal so: Es gab sicher schon bessere Jahre, was die Kommunikation angeht. Aber man muss da relativieren: Im ersten Halbjahr 2018 hatten wir in den Schweizer Leitmedien rund 1100 Erwähnungen, die meisten davon waren positiv. Nur knapp 20 betrafen angeblich fehlerhaftes Führungsverhalten. Also etwa zwei Prozent. Aber es ist natürlich klar: Themen wie diese fallen wesentlich stärker auf, gerade bei einer so erfolgreichen Institution wie der ETH.

Stimmen denn die ganzen Vorwürfe? Seit Oktober letzten Jahres ist über verschiedene Fälle von Machtmissbrauch an der ETH berichtet worden. Alles Lügenpresse?
Ob diese Vorwürfe stimmen, müssen wir erst sehen. Genau das ist der Punkt: Als Institution des Bundes muss die ETH sich allen gegenüber fair verhalten und darf die Rechte von Beschuldigten nicht verletzen. Solange wir selbst nicht sicher wissen, was stimmt und was nicht, können wir den Medien gegenüber nicht konkret Stellung nehmen. Das führt dann häufig zur Anschuldigung, wir vertuschten Dinge, wir reagierten nicht auf Vorwürfe. Das stimmt aber nicht. Die Schulleitung hat in all diesen Fällen sehr schnell reagiert und Untersuchungen eingeleitet. Nur: Wir können Einzelheiten nicht kommunizieren, solange wir keine definitiven Ergebnisse haben.

Wie gross schätzen Sie den Reputationsschaden ein, der entsteht, wenn Medien über solche Vorwürfe berichten?
Er ist bisher erstaunlich klein. Wir lassen unsere Reputation regelmässig von einer externen Forschungsstelle messen. Unsere – sehr hohen – Werte sind nur marginal gefallen. Ende letzten Jahres waren wir unter den 20 resonanzstärksten Institutionen noch immer die mit der dritthöchsten Reputation der Schweiz. Die ETH profitiert hier von ihren tollen Leistungen in Forschung und Lehre. Die breite und überwiegend positive Berichterstattung darüber «puffert» uns sozusagen etwas ab. Aber ausgestanden ist die Sache damit noch nicht, sie wird uns medial noch einige Zeit beschäftigen.

Diese guten Zahlen beziehen sich auf die gesamte Öffentlichkeit. Der Schaden könnte aber wesentlich grösser sein bei denen, auf die es ankommt: bei angehenden Studierenden oder Forschenden, die sich überlegen, an welche Hochschule sie gehen sollen.
Ich denke, dass bei diesen Gruppen die wissenschaftliche Reputation den Ausschlag für ihre Wahl gibt.

«Kommunikativ müssen wir noch mehr das Gespräch mit den Medien suchen, deutlicher erklären, weshalb wir nicht jederzeit zu allem Auskunft geben können, und dann aber klar und deutlich kommunizieren, wenn effektiv Ergebnisse vorliegen.»Rainer Borer

Was ist denn eigentlich falsch gelaufen: Besteht vor allem ein Problem der Führungskultur, ist es «nur» ein Problem des Umgangs mit solchen Vorwürfen, oder liegt das Problem vor allem bei Ihnen, bei der Kommunikation?
Ich kann nur von meinem Bereich sprechen: In der Kommunikation hat es vor allem zu Beginn in der Tat gewisse Mängel gegeben, speziell in der internen Kommunikation. Da müssen und werden wir uns verbessern.

Was heisst das konkret?
Wir haben während dieser schwierigen Verfahren zu wenig mit den Betroffenen gesprochen. Wer sich drangsaliert fühlt, dies den zuständigen Stellen meldet und dann aber länger nichts mehr hört, der wehrt sich unter Umständen auf andere Weise, etwa indem er oder sie die Vorwürfe nach aussen trägt. Damit entsteht nicht nur ein möglicher Schaden für die Reputation, sondern es verkompliziert auch das Verfahren enorm.

Ein Kommentator hielt Ihnen vor, man lerne schon im ersten Semester Kommunikation, dass man im Krisenfall Fakten nie zurückhalten, sondern immer gleich auf den Tisch legen solle. Müssen Sie nochmals an die Uni?

(Lacht) Ich frage zurück: Was sind Fakten? Ist es ein Faktum, wenn ein Doktorand einer Professorin vorwirft, sie habe ihn schlecht behandelt? Sollen wir einen Professor entlassen, weil ein Journalist schreibt, eine Doktorandin sei von ihm gemobbt worden? Nein. In einem Rechtsstaat sind wir verpflichtet, die Rechte aller zu wahren, auch die von Beschuldigten. Es gilt erst einmal die Unschuldsvermutung und es gibt gute Gründe, weshalb solche Prozesse bei der ETH eine bestimmte Zeit dauern, bis man tatsächlich konkret informieren kann.

OK, dann lassen Sie mich umgekehrt fragen: Kann die professionelle Kommunikationsabteilung einer so renommierten Institution wie der ETH einem Journalisten nicht klarmachen, dass er mit der Publikation einer Geschichte zuwarten soll, bis die Fakten auf dem Tisch liegen?
Das geht nicht. Zum einen hat sich das Verhalten der Medien in den letzten Jahren stark verändert, insbesondere aufgrund der sozialen Medien. Es wird mehr emotionalisiert und skandalisiert in der Berichterstattung. Man ist schneller zur Hand mit Forderungen und Vorverurteilungen. Aber auch aus anderen Überlegungen geht das nicht: Die Medien sind die vierte Gewalt im Staat. Sie sollen kritisch beobachten, Missstände aufdecken. Und da ist das Thema der Doktorandenbetreuung legitim: Hier herrscht in der Tat ein starkes Machtgefälle, das – nicht nur bei der ETH – immer wieder mal zu Problemen Anlass geben kann. Das aufzugreifen ist grundsätzlich in Ordnung, da gesellschaftlich relevant.

Reden Sie denn häufig mit Redaktionen?
Aber sicher. Wir sind ständig in Kontakt mit den Redaktionen, reden laufend mit ihnen, meist über positive Dinge. Würden wir dies nicht tun, wären noch wesentlich einseitigere Geschichten erschienen.

Sie sagen es, es besteht hier ein ausgeprägtes Machtgefälle und das kann zu Problemen führen: Aber das gibt es ja nicht nur bei der ETH. Weshalb sind denn ausgerechnet Sie so stark im Fokus?
Wir wären natürlich froh, wenn das nicht so wäre. Vermutlich ist die ETH ein bisschen Opfer ihres eigenen Erfolgs. Es ist wohl interessanter für die Medien, wenn sozusagen beim Primus ein Problem auftaucht.

Wie wollen Sie gleiche Probleme künftig verhindern?
Wir müssen auf zwei Ebenen arbeiten: Kommunikativ müssen wir noch mehr das Gespräch mit den Medien suchen, deutlicher erklären, weshalb wir nicht jederzeit zu allem Auskunft geben können, und dann aber klar und deutlich kommunizieren, wenn effektiv Ergebnisse vorliegen. Ausserdem müssen wir darauf achten, dass ETH-Mitarbeitende, insbesondere Betroffene, besser einbezogen und informiert werden. Das andere ist die operative Ebene, und hier ist die ETH voll an der Arbeit: Es gibt ein grosses Projekt zur Verbesserung der Führungsprozesse, der Berufungen, der Betreuungen. Die internen Governance-Regeln werden angepasst. Auch hier wollen wir gründlich informieren, aber: erst wenn die Prozesse abgeschlossen, die Fakten klar sind.

Dieser Beitrag erschien im aktuellen ETH-Magazin «life».

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