rETHink: Erste Schritte in die Umsetzung
Am Freitag, 1. Oktober tauschten sich rund 100 ETH-Angehörige, darunter die Schulleitung, an einer rETHink-Versammlung über den Stand des Organisationsentwicklungsprojekts und erste Umsetzungsideen aus. Projektleiterin Katharina Poiger, Generalsekretärin der ETH Zürich, erzählt im Interview, wo das Projekt steht und wie es weitergeht.
Frau Poiger, letzten Freitag haben sich über 100 ETH-Angehörige an der «rETHink-Versammlung» einen ganzen Tag lang ausgetauscht. Auch die Schulleitung war anwesend. Was war der Anlass dafür?
An der rETHink-Versammlung haben wir das eigentliche Projektteam von rETHink zusammengebracht, also die über 100 ETH-Angehörigen, die in den letzten Monaten in sechs Workstreams unterschiedliche Aspekte unserer Organisation analysiert und Handlungsfelder erarbeitet haben. Die Handlungsfelder für die drei Ebenen der ETH, also die Professuren, die Departemente sowie auf Gesamtstufe für die zentralen Organe, wurden im Juni an einer Townhall vorgestellt (Download Folien der Townhall (PDF, 4.1 MB)). Wir sind nun am Anfang der Umsetzungsphase, und da sind Workstream-übergreifende Diskussionen wichtig, weil die Arbeiten in den einzelnen Workstreams nun enger vernetzt werden müssen.
Womit haben sich die Teilnehmenden konkret beschäftigt?
Zunächst haben alle Workstreams einen kurzen Überblick über ihre aktuelle Arbeit gegeben und erste Lösungsideen oder den Weg dazu vorgestellt. In Workstream-übergreifenden Gruppen wurden dann jeweils zwei dieser Ideen gespiegelt. Zudem haben wir in weiteren gemischten Workshops den bisherigen Prozess und den Stand des Projekts reflektiert. Daneben gab es in den Pausen und beim Apéro aber auch Gelegenheit für informelle Gespräche und ein gegenseitiges Kennenlernen. Viele Mitwirkende haben sich ja am letzten Freitag zum ersten Mal in Person gesehen, auch wenn sie virtuell schon viele Monate intensiv zusammengearbeitet haben. Ich hatte den Eindruck, dass an der rETHink-Versammlung aus den bisherigen sechs Projektgruppen ein grosses rETHink-Team entstand.
Was haben die Reflexionen ergeben? Wo steht das Projekt rETHink?
Wir sind auf Kurs. Allerdings mit Verzögerungen, und die Ziele beziehungsweise die Dimension der Veränderungen, die angestossen werden, sind noch nicht so konkret, wie wir uns das wünschten. Zudem ist es uns noch nicht gelungen, das Projekt in die ganze ETH hineinzutragen. Dies ist übrigens nicht allein meine Einschätzung, sondern eine Zusammenfassung der Diskussionen aus den Workshops. Positiv wurde festgehalten, dass in den Workstreams ein intensiver und produktiver Austausch zwischen ETH-Angehörigen mit den unterschiedlichsten Hintergründen stattfindet, dass man sich gegenseitig zuhört und ein gemeinsames Verständnis der Hochschule entwickelt.
Dennoch haben Sie eingangs von ersten Lösungsideen gesprochen, die vorgestellt wurden. Können Sie dazu etwas sagen?
Es gibt zwei Arten von Lösungsvorschlägen. Zum einen geht es um Massnahmen, die unsere Organisation, die Prozesse und die Governance betreffen. Dazu gab es an der rETHink-Versammlung die klare Rückmeldung, dass rETHink nicht zu weiteren Regulierungen führen darf. Gefragt seien vielmehr Handlungsprinzipien oder -anleitungen. In diesem Zusammenhang wurde die Bedeutung der Kulturdiskussion hervorgehoben. In die gleiche Richtung geht die zweite Art von Lösungsvorschlägen: Gute Ideen zu teilen. Dafür wird eine Toolbox entwickelt, die eine Sammlung erprobter Ideen, Konzepten und Instrumenten enthalten wird. Also eine Art Best-practice-Vorschläge für unterschiedliche Fragestellungen der Professuren und der Departemente.
Trotzdem wird es nicht ganz ohne neue Regeln gehen…
Selbstverständlich wird es neue Regeln geben. Doch wir können auch bestehende Regelwerke hinterfragen, sie vereinfachen oder vielleicht abschaffen. Oft wird es auch um eine Ergänzung oder Anpassung bestehender Regelwerke gehen. Wie beispielsweise bei den akademischen Profilen. Damit hat sich der Workstream Professuren intensiv auseinandergesetzt und unter anderem das Profil einer «Professorship of Practice» konzipiert. Inzwischen wurde dieses Konzept auch vom ETH-Rat aufgegriffen, der die Grundlagen für die Umsetzung des Konzepts schaffen müsste. Das Konzept befindet sich derzeit bei den Departementen und den Hochschulgruppen in einer Vorkonsultation. Die Vernehmlassung über die notwendigen Anpassungen der Verordnung folgt Anfang 2022.
Was ist unter einer «Professorship of Practice» zu verstehen?
Die Idee ist, hochrangige Führungskräfte aus der Industrie und angesehene Expertinnen und Experten aus dem Gesundheitswesen, aus Regierung, Verwaltung oder internationalen Organisationen für eine bestimmte Zeit für die ETH zu verpflichten, damit sie ihr umfassendes Wissens- und Erfahrungsspektrum in den akademischen Betrieb einbringen können.
Gibt es in anderen Workstreams bereits ähnliche konkrete Ergebnisse?
Ja, beispielsweise im Workstream, der sich mit der Begleitung der Professuren befasst. Die Mitglieder dieses Workstreams haben für das Handlungsfeld «Professoren als Führungskräfte» verschiedene Lücken bei der Unterstützung von Professorinnen und Professoren in ihren Führungsaufgaben identifiziert und eine ganze Reihe von Vorschlägen erarbeitet, wie diese geschlossen werden könnten.
Können Sie diese Vorschläge etwas ausführen?
Einerseits gibt es Vorschläge mit konkreten Inhalten, also welche Themen sind für die Professorinnen und Professoren hilfreich, und andererseits Vorschläge zum Vorgehen, also wie das nötige Wissen vermittelt werden kann. Bei den Inhalten sind es Themen wie beispielsweise die Organisation und Strukturierung einer Professur, die Zusammenarbeit im Team, die Mitarbeiterführung, das Zeitmanagement oder das Konfliktmanagement. Beim Vorgehen zielen die Vorschläge darauf ab, Professorinnen und Professoren für das Thema «Führung» zu interessieren und den Erfahrungsaustausch untereinander anzustossen, beispielsweise über zusätzliche Gefässe in den bestehenden Führungskursen, Lunch&Learn-Formate oder Peer-Coachings.
Und wie geht es weiter mit diesen Vorschlägen?
Sobald konkrete Vorschläge vorliegen, werden diese offiziell der Linie übergeben, entweder dem zuständigen Schulleitungsmitglied oder der ganzen Schulleitung. Ich sage offiziell, weil die Schulleitungsmitglieder ja in die Workstreams eingebunden sind und ein regelmässiger Austausch stattfindet. In der Linie werden sie auf die Umsetzung hin angeschaut und wo notwendig nochmals in einem grösseren Rahmen reflektiert oder sogar in Vernehmlassung gegeben. Danach können sie konkret umgesetzt werden – oder zurück in den Workstream gegeben werden, falls Fragen oder neue Aspekte aufkommen.
Die erwähnten Beispiele betreffen vor allem die Professorinnen und Professoren. Wann werden andere Gruppen von ETH-Angehörigen in ihrem Arbeitsalltag erste Veränderungen durch rETHink spüren?
Nicht alle Workstreams wurden gleichzeitig gestartet und sind daher unterschiedlich weit fortgeschritten. Zudem handelt es ich bei diesen ersten Ergebnissen, die vor allem die Professorinnen und Professoren betreffen, um «low hanging fruits». Denn auch in diesen beiden Workstreams werden noch weit grundlegendere Fragen angegangen. Ich möchte aber auch vor falschen Erwartungen warnen: Es wird nicht so sein, dass sich die ETH auf einen Schlag und allein durch rETHink verändert. Denken Sie etwa an den Bereich des Vizepräsidenten für Infrastruktur, der sich ausserhalb von rETHink, aber ebenfalls unter Mitwirkung der Mitarbeitenden, neu organisiert. Hinzu kommen Veränderungen, die sich langsam entwickeln. Wenn sich unsere Führungsverantwortlichen mit ihrem Führungsverhalten auseinandersetzen, wird das Auswirkungen auf die ganze Gruppe haben.
Weil sich das auf die Zusammenarbeit und die Kultur der Gruppe auswirkt?
Ganz genau. Denn auch die Reflexion über unsere Organisationskultur – sei es in der ganzen ETH oder in einer einzelnen Gruppe – kann Veränderungen bewirken in der Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Auch die eingangs erwähnte Toolbox dient diesem Zweck. Denn der Austausch darüber, wie eine bestimmte Aufgabe an einem anderen Ort erledigt wird, aber auch die Erkenntnis, dass es bei bestimmten Schnittstellen auch andernorts harzt, löst Veränderungen aus. Eine Voraussetzung, dass wir mit rETHink etwas bewegen können, ist die Bereitschaft jeder und jedes Einzelnen, das eigene Tun zu reflektieren und wo nötig zu verändern. Insofern lade ich alle ETH-Angehörigen ein, sich mit diesen freiwilligen Angeboten auseinanderzusetzen. Denn allein mit Regelwerken können und wollen wir die ETH nicht weiterentwickeln.