Das Projekt rETHink hatte unter anderem zum Ziel, die Diskussionskultur an der ETH Zürich zu fördern. Doch haben die Bemühungen gefruchtet? Lesen Sie die Einschätzungen von zwei ETH-Mitarbeitenden in der aktuellen Sonderausgabe des Magazins «life». Und was ist Ihre Meinung?
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Pro
Pius Krütli, Co-Leiter TdLab am D-USYS
Völlig objektiv ist die Frage wohl nicht beantwortbar, aber basierend auf meinen Beobachtungen und Erfahrungen in rETHink würde ich sagen: Ja.
Der Beginn des Projekts war schon anders als zuvor. Es kam ein neuer Präsident, der sich mit alten Problemen beschäftigen musste. Häufig wird in solchen Fällen gleich mit Umstrukturieren begonnen. Anders hier: zuerst breit darüber nachdenken, wo wir stehen – und gleichzeitig einen Kulturwandel initiieren. Das ist rETHink. Ein Top-down verordneter, aber Bottom-up durchgeführter Prozess. Breit abgestützt und ergebnisoffen. Ein partizipativer Prozess, an dem sich mehr als 600 Leute aktiv beteiligt haben.
Die Arbeitsgruppen, die sehr autonom auch Themen innerhalb des rETHink-Rahmens selbst benannten und bearbeiteten, waren zusammengesetzt aus Vertretenden aller Stände. Da wurde viel und anständig diskutiert, kontrovers auch: Neues entworfen und manchmal wieder verworfen – und vor allem hat man sich zugehört. Und gleichzeitig etwas kreiert. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit bei einem kreativen Prozess. Nicht aber überall verbreitet, auch nicht bei Wissen-Schaffenden. Manchmal geht es um Pfründe, die in Gefahr scheinen, oder um Deutungshoheit. Interessen werden tangiert. Da kann es schnell unwirsch werden. Ende der Diskussion. Dekretiert.
«Bei rETHink zählte das bessere Argument, nicht der zugewiesene hierarchische Status.»Pius Krütli
Der Rahmen bei rETHink: Augenhöhe. Das bessere Argument zählte, nicht der zugewiesene hierarchische Status. Für mich war der Lackmustest die Sache mit der Exzellenz. Einer der fünf Werte des ETH-Selbstbildes. Eine harte Nuss, mit der sich viele schwertaten. Exzellenz ist jetzt keiner der ETH-Werte mehr – ergebnisoffen, eben. Die ETH strebt aber weiterhin nach Exzellenz – das steht neu in der Mission.
Hat sie sich nun verändert, die Diskussionskultur? Aus der subjektiven Perspektive der rETHink-Erfahrung: Ja. Aber ein Zweifel bleibt. War es doch nur Angelegenheit einer Minorität? Hat die Mehrheit allenfalls gar nichts mitbekommen (und mitgenommen) von rETHink? Und leben einige, die vielleicht auch Anlass für rETHink waren, ihre eigene «Kultur» einfach weiter? Das ist nicht auszuschliessen. Aber da sind wir alle gefragt. Denn wir leben und beleben die Unternehmenskultur. Und wir müssen all jenen die Grenzen aufzeigen, welche eine offene und liberale Unternehmenskultur zu ihren Gunsten «ausdehnen». Da braucht es dann die etwas andere (Diskussions-)Kultur.
Kontra
Christian Mimjähner, Business Developer bei Campus Services
In meiner Funktion als Business Developer in der Abteilung Campus Services sowie in meiner Rolle als PeKo-Mitglied erlebe ich immer wieder verschiedenste, anspruchsvolle und vor allem interessante Diskussionen. Haben sich diese in den vergangenen zwei Jahren verändert? Nein, das nehme ich nicht so wahr.
Ich begegne täglich unterschiedlichsten Ansprechpersonen und bewege mich frei innerhalb aller Führungsstrukturen und Organisationen. Hier erlebe ich immer wieder Situationen, die mich länger beschäftigen und zum Grübeln bringen. Oft scheitern Diskussionen nicht an unterschiedlichen Meinungen, sondern an entgegengesetzten Wertvorstellungen und fehlender Bereitschaft zu Veränderungen. Wer ständig unterbrochen wird und nicht sagen kann, was er oder sie möchte, wird wütend oder steigt innerlich aus dem Gespräch aus. Die Folge: Die Diskussion eskaliert oder wird zum Monolog. Das erlebe ich sehr oft. Klar, jede Meinung ist wichtig. Doch blosse Meinungsäusserungen, Behauptungen und Schlagworte führen dazu, dass die Fronten sich weiter verhärten. Wenn das Gegenüber den Argumenten nichts mehr entgegensetzen kann, heisst das noch lange nicht, dass man es überzeugt hat: Eine Diskussion ist kein Wettkampf.
«Eine Diskussion ist kein Wettkampf.»Christian Mimjähner
Bei einer Diskussion gilt für mich dieselbe Faustregel wie bei einem Interview: Wer verstehen möchte, wie die andere Person tickt, sollte möglichst viele offene Fragen stellen und dem Gegenüber auch nicht eine Antwort in den Mund legen. In jedem Gespräch lassen sich Gemeinsamkeiten finden, wenn man aufmerksam zuhört. Es lohnt sich, diese Gemeinsamkeiten auch anzusprechen. Damit wird eine gute Atmosphäre für wertschätzende Diskussionen geschaffen.
Ich arbeite sehr gerne an der ETH Zürich, doch bei der Diskussionskultur sehe ich noch deutliches Potenzial für eine langfristige und nachhaltige Verbesserung. Die veränderte hybride Arbeitsweise stellt uns vor weitere Herausforderungen, da wir das Gegenüber nicht physisch vor uns haben. Das erschwert die Wahrnehmung und bedingt neue Kompetenzen in der Diskussionskultur. Ausserdem denken wir mehrheitlich noch viel zu stark in «Gärtli». Dies basiert auf der Struktur der Hochschule, den einzelnen Individuen und einer wenig ausgeprägten Bereitschaft zur Veränderung. Ich habe die grosse Hoffnung, dass sich dies mit den überarbeiteten Werten und den neuen Führungskompetenzen mit der Zeit verbessern wird.
Ich persönlich habe mir auf jeden Fall fest vorgenommen, meinen Beitrag zu einer besseren Diskussionskultur zu leisten. Ich hoffe, ihr alle auch.
Dieser Artikel ist in der rETHink-Sonderausgabe des life-Magazins erschienen.
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