Neue Anlaufstelle unterstützt bei Konflikten am Arbeitsplatz
Die ETH Zürich hat ihr Reglement zum Vorgehen bei unangemessenem Verhalten und Konflikten am Arbeitsplatz überarbeitet. Seit 1. Juli 2024 ergänzt die neue Klärungsstelle das bestehende Unterstützungsangebot für Mitarbeitende. Nadia Dörflinger-Khashman im Interview zu den Anlaufstellen und was sich geändert hat.
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Frau Dörflinger-Khashman, vermutlich alle haben schon einmal Auseinandersetzungen im Team, unter Kolleg:innen oder mit Vorgesetzten erlebt. Warum ist es so wichtig, Konflikte anzusprechen und zu klären?
Nadia Dörflinger-Khashman: Konstruktive Kontroversen sind wichtig für Innovation und Weiterentwicklung. Werden Meinungsverschiedenheiten jedoch unfair ausgetragen, Personen abgewertet oder unter Druck gesetzt, hat das nicht nur negative Auswirkungen auf die einzelne Person, sondern oft auch auf das ganze Team oder die Forschungsgruppe. Wichtig ist deshalb, bei anhaltenden Reibungen so früh wie möglich hinzuschauen und zu versuchen, die Situation zu klären. So können gebundene Ressourcen wie Kraft und Aufmerksamkeit wieder für die tatsächlichen Aufgaben und Ziele freigesetzt werden.
Das Reglement unterscheidet neu zwischen Konflikten und unangemessenem Verhalten. Weshalb diese Differenzierung? Und was versteht die ETH Zürich überhaupt unter unangemessenem Verhalten?
Ich beginne mit der zweiten Frage. Die ETH hat ihr Verständnis von unangemessenem Verhalten im Verhaltenskodex Respekt festgehalten: Sexuelle Belästigung, Diskriminierung, Rassismus sowie Mobbing werden nicht toleriert.
Für die Wahl des Vorgehens ist es wichtig, zwischen Konflikten und unangemessenem Verhalten zu unterscheiden. Nehmen wir an, zwei Personen arbeiten gemeinsam an einem Projekt. Beide haben unterschiedliche Kommunikations- und Arbeitsstile, was zu Missverständnissen und Spannungen führt. Das wäre eine typische Konfliktsituation. Wenn hingegen eine der beiden Personen die andere aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft herabwürdigt, handelt es sich um unangemessenes Verhalten. Bei Konflikten kann grundsätzlich versucht werden, diese gemeinsam und auf Augenhöhe zu klären. Unangemessenes Verhalten hingegen – in unserem Beispiel Diskriminierung – ist kein Konflikt, sondern eine unerwünschte Grenzüberschreitung, ein «No-Go».
Was heisst das für die Betroffenen? Müssen sie unterschiedlich vorgehen?
Für Betroffene oder Ratsuchende macht das zunächst keinen Unterschied. Sowohl die Respekt- als auch die Klärungsstelle hilft ihnen, ihren konkreten Fall einzuordnen, und zeigt anschliessend die möglichen Handlungsoptionen auf.
An der ETH gibt es eine Vielzahl von Anlaufstellen, die Betroffene in schwierigen Situationen beraten. Wofür wurde die Klärungsstelle lanciert?
Die Klärungsstelle ist für Mitarbeitende der ETH Zürich da, die eine Situation mit den beteiligten Personen aktiv bereinigen wollen und dabei professionelle Unterstützung wünschen. Die Expert:innen der Klärungsstelle haben langjährige Erfahrung im Konfliktmanagement und kennen sowohl die Besonderheiten von Wissenschaft und Forschung als auch die der Administration. Für Betroffene kann das eine grosse Entlastung sein, weil sie sich über das Vorgehen in solchen Situationen keine Gedanken machen müssen. Die Klärungsstelle unterstützt zudem Vorgesetzte niederschwellig dabei, Konfliktpotenziale in ihren Teams frühzeitig zu erkennen, bestehende Situationen einzuordnen und gegebenenfalls geeignete Schritte zur Klärung zu unternehmen oder sich dabei begleiten zu lassen.
Die Respektstelle behandelt Anliegen von Ratsuchenden streng vertraulich. Wie wird das in der Klärungsstelle gehandhabt?
Für eine Klärung mit den Beteiligten ist es notwendig, die Vertraulichkeit bis zu einem gewissen Grad aufzuheben, sonst kann keine Klärung stattfinden. Wichtig zu wissen ist: Die Klärungsstelle führt immer zuerst ein Vorgespräch mit der ratsuchenden, grundsätzlich klärungswilligen Person. Dieses ist vertraulich. Darin zeigt sie das weitere Vorgehen auf und bespricht mit der ratsuchenden Person, ob und wie sie fortfahren möchte.
Wie geht es dann weiter?
Ist die Person mit dem Vorgehen einverstanden, informiert die Klärungsstelle die andere beteiligte Person, dass die Klärung einer bestimmten Situation gewünscht wird. Dabei kann es sinnvoll sein, weitere Personen einzubeziehen wie zum Beispiel das Team, die vorgesetzte Person oder Human Resources. Die Vertraulichkeit wird dabei nur so weit wie nötig aufgehoben, um die Situation möglichst nachhaltig und zielführend zu klären und zu einer gemeinsamen Vereinbarung zu finden. Die Klärungsstelle arbeitet, im Sinne der Sache, sozusagen «bedingt vertraulich».
Bleiben wir beim Thema «Vertraulichkeit». Wie sieht es damit bei der externen Meldestelle aus?
Die Meldestelle hat den Auftrag, Meldungen über sexuelle Belästigung und systematische Diskriminierung nachzugehen und zu prüfen, ob oder inwiefern ein Verstoss gegen den Verhaltenskodex Respekt vorliegt. Da sie die Situation allparteilich und ohne Einschränkungen betrachtet, muss sie mit allen Beschuldigten, Beteiligten, Beobachtenden und anderen relevanten Stellen sprechen können. Dazu ist es notwendig, dass die Namen offengelegt werden. Doch auch bei der Meldestelle gilt: Das Vorgespräch ist vertraulich. Danach entscheidet die betroffene Person, ob die Meldestelle eine formalisierte Abklärung durchführen soll.
Früher konnte man sich bei Mobbing direkt an die Meldestelle wenden. Wieso wurde das geändert?
Das Gefühl, gemobbt zu werden, ist belastend. Für den Tatbestand Mobbing müssen jedoch verschiedene rechtliche Kriterien erfüllt sein, um zum Beispiel vertiefte Abklärungen in einem Team machen zu können, einen oft grösseren Kreis einzubeziehen oder ein Gutachten in Auftrag zu geben. Daher müssen wir unterscheiden, ob sich jemand gemobbt fühlt, oder ob die Art und Weise der Arbeitsbeziehung die rechtlichen Kriterien von Mobbing erfüllt. Dies erfordert jeweils unterschiedliche Vorgehensweisen. Neu hilft die Klärungsstelle, die Situation sowie den Kontext anzuschauen und die Mobbing-Vorwürfe einzuschätzen. Erfüllt der Fall die rechtlichen Kriterien, leitet die Klärungsstelle die betroffene Person an die Meldestelle weiter. Bis dahin sprechen wir nicht von Mobbing, sondern von Mobbing-Vorwürfen oder einem eskalierten Arbeitsplatzkonflikt.
Es fällt auf, dass Sie von Klärung und nicht von Lösung sprechen. Können Sie das kurz erklären?
Wir haben uns für ein realistisches Vokabular entschieden. Wir müssen uns bewusst sein: Nicht jede Situation, nicht jeder Konflikt kann gelöst werden. Oft lassen sich aber Teilaspekte bereinigen. Manchmal muss eine Situation erst aufgeklärt werden, bevor sie gelöst werden kann. Im besten Fall führt die Unterstützung durch die Anlaufstellen dazu, dass die Betroffenen wieder mit Leichtigkeit und Freude ihrer Tätigkeit an der ETH nachgehen können.
Führen die Anlaufstellen der ETH auch Untersuchungen durch?
Nein. Die Anlaufstellen haben eine Informations- und Vermittlerrolle. Sie beraten die Betroffenen, welche Angebote und Möglichkeiten in ihrem Fall zur Verfügung stehen. Das Ziel ist, sie dabei zu unterstützen, Schritte zur Veränderung ihrer Situation zu unternehmen. Auch die externe Meldestelle führt keine Untersuchungen durch, sondern eine allparteiliche, formalisierte Abklärung.
Die Anlaufstellen können also auch keine Massnahmen oder Sanktionen verhängen?
Nein, dazu sind sie rechtlich nicht befugt. Sie können aber Empfehlungen abgeben für entscheidungsbefugte Personen wie die Vorgesetzten oder die Schulleitung. In den meisten Fällen werden diese Empfehlungen ernst genommen und umgesetzt.
Bitte noch eine Präzisierung: Wohin genau können sich Angehörige der ETH Zürich bei Übergriffen, Bedrohung, Stalking oder Gewalt wenden?
Das ist eine wichtige Frage. Wenn diese Fälle im Kontext der ETH Zürich auftreten, hilft die Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Umwelt (SGU) weiter, konkret: die Mitarbeitenden der Sektion Security und Notfallmanagement. Sie sind im Bedrohungsmanagement entsprechend ausgebildet. Sollte eine Situation akut und Hilfe vor Ort notwendig sein, ist die Alarmzentrale der ETH Zürich rund um die Uhr erreichbar. Diese bietet bei Bedarf auch die Polizei auf. In einem Notfall kann man sich selbstverständlich auch direkt an die Polizei oder eine andere Notfallstelle wenden. Anschliessend sollte jedoch unbedingt die Alarmzentrale informiert werden, damit sie die Polizei oder den Rettungsdienst in den komplexen Gebäudestrukturen der ETH einweisen kann und die Hilfe schnellstmöglich zu den Betroffenen gelangt. Wir haben die Kontakte und das Vorgehen im Staffnet aufgeführt.
Gibt es das anonyme Meldeformular weiterhin?
Auf jeden Fall. Zur Einordnung: Mit einer anonymen Meldung kann weder eine Unterstützung oder Abklärung erfolgen noch jemand beschuldigt werden. Mit dem anonymen Meldeformular können der ETH aber wichtige Informationen übermittelt werden, die ihr helfen, sich kontinuierlich zu verbessern.
Was möchten Sie Betroffenen von unangemessenem Verhalten oder Konflikten mit auf den Weg geben?
Holen Sie sich Unterstützung und melden Sie sich! Egal, worum es sich in Ihrem Fall handelt. Die Anlaufstellen sind für Sie da und helfen Ihnen weiter. Im Zweifelsfall wenden Sie sich gerne an die Respektstelle.
Nadia Dörflinger-Khashman leitet die Abteilung Diversity und Collaboration im Vizepräsidium Personalentwicklung und Leadership. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie das Respekt- und Konfliktmanagementsystem der ETH Zürich weiterentwickelt, wobei das umfassende Feedback der verschiedenen beteiligten Gruppen und Stellen der Hochschule einbezogen wurde. Im Mai 2024 hat die Schulleitung das revidierte Reglement verabschiedet.
Die Neuerungen in Kürze
Die ETH Zürich setzt sich dafür ein, ihre Mitarbeitenden bei Konflikten am Arbeitsplatz oder bei unangemessenem Verhalten noch besser zu unterstützen. Deshalb wurden die bestehenden Strukturen und Prozesse überarbeitet sowie die Prävention gestärkt. Neu unterscheidet das Reglement drei Hauptstellen, an die sich Mitarbeitende wenden können:
- Die Respektstelle bietet Orientierung, wohin sich ETH-Angehörige mit ihren Fragen am besten wenden können. Angeboten werden auch Kurzzeit-Coachings für die Ratsuchenden. Die Beratung ist vertraulich.
- Die neue Klärungsstelle berät und unterstützt bei der Klärung von Spannungen und Konflikten am Arbeitsplatz. Die Klärungsstelle kann zudem von Vorgesetzten für Unterstützung bezüglich Prävention und Früherkennung von Eskalationspotenzial aufgesucht werden.
- Die externe Meldestelle führt aufgrund einer schriftlichen Meldung zu Diskriminierung oder sexueller Belästigung eine formelle Abklärung durch.
Das revidierte Reglement trat am 1. Juli 2024 unter der erweiterten Bezeichnung «Reglement betreffend Anliegen und Meldungen von Angehörigen der ETH Zürich über unangemessenes Verhalten und Arbeitsplatzkonflikte» in Kraft.
Hilfe bei unangemessenem Verhalten oder Konflikten
Alle Informationen und Kontakte finden Sie im Staffnet.
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